Trump sei Dank
Anti-Flag arbeiten sich auf „American Fall“am US-Präsidenten ab
S● chlechte Zeiten können ihr Gutes haben. Die Wahl Donald Trumps zum Präsidenten der Vereinigten Staaten von Amerika ist für eine Masse von liberal, umweltbewusst und sozial denkenden Menschen weltweit ein anhaltend herber Schlag. Dieser Präsident mag viele gesellschaftliche Errungenschaften zurückdrehen. Zumindest ein Gutes hat das: Er beflügelt die Polit-Punk-Szene. Bands mit Botschaft haben Konjunktur, denn sie haben in Trump wieder eine sprudelnde Quelle an Inspiration, wie sie zuletzt George W. Bush war. Das zeigt auch das aktuelle Album „American Fall“von Anti-Flag, das am 3. November beim Label Spinefarm Records erschienen ist.
Es ist noch nicht lange her, gerade mal zwei Jahre, da betitelten die Punkrock-Veteranen aus Pittsburgh ihr Album „American Spring“. Dieser Spring, zu deutsch Frühling, ist vorbei. Der Sommer ist ausgefallen. Der „American Fall“hat begonnen – wobei Fall nicht nur Herbst, sondern auch Niedergang bedeutet.
Eine Nation im Würgegriff
Anti-Flag lassen keinen Interpretationsspielraum, wen sie für den Niedergang der USA verantwortlich machen. Im Song „The Criminals“prangert Sänger Justin Sane die politische Führungsriege an: „a Nation Hijacked by the Criminals“– frei übersetzt: eine Nation im Würgegriff von Kriminellen. Wer Geld hat, bekommt in der Trump-Administration Einfluss, so die Logik etlicher Lieder auf dem neuen Anti-Flag-Album. Der oberste Kriminelle im Land dürfe es regieren.
So zeigt das Cover ihres neuen Albums „American Fall“das Oval Office – das Büro des Präsidenten der Vereinigten Staaten von Amerika, dessen Anblick spätestens durch Serien wie „House of Cards“und „Designated Survivor“vielen deutschen Betrachtern geläufiger ist als das Büro der Bundeskanzlerin. Der Stuhl hinter dem Schreibtisch ist zwar leer, doch davor türmt sich vielsagend ein Berg aus Bündeln mit Dollar-Scheinen.
Auch nach einem knappen Vierteljahrhundert im Punkrock-Business haben Anti-Flag das Feuer nicht verloren. Ihre Flamme hat etwa nach den Neonazi-Aufmärschen im amerikanischen Charlottesville geleuchtet. Kurz nach dem Ereignis im August, bei dem eine 32-jährige Gegendemonstrantin getötet wurde, veröffentlichten Anti-Flag den Song „Racists“, der sich auch auf dem neuen Album findet.
Die Botschaft der Band ist klar: Nur weil Du nicht weißt, dass Du ein Rassist bist, ist Deine Ignoranz nicht zu entschuldigen, heißt es darin. Die Botschaft geht auch an Trump, der zur Verblüffung der Öffentlichkeit nach den Ausschreitungen in Charlottesville von Fehlern auf beiden Seiten sprach. Und kurz darauf auch von feinen Leuten, die sich an den Demonstrationen beteiligt hätten.
Ihre Botschaften packen AntiFlag auf „American Fall“in ihre üblichen Gute-Laune-Punkrock-Melodien. Die eingängigen Refrains lassen sich wunderbar schon beim ersten Hören mitsingen – dass die getexteten Reime manchmal etwas haken, ist dabei zweitrangig. Wichtiger ist die Botschaft. Die kommt meist in klassischer Gitarrenschrammel-Melodie daher.
Keine Ermüdungserscheinungen
„American Attraction“klingt so sehr nach musikalischem Frontalangriff, als hätten Billy Talent ihre Finger mit im Spiel gehabt. Und dann bereichern wiederum auch Ska-Elemente die Songs, etwa bei „When the Wall Falls“. Anti-Flag mögen seit fast 25 Jahren im Geschäft sein, ihrem Album hört und merkt man das sicher nicht an. Wenigstens dafür könnte man Donald Trump ein bisschen dankbar sein.