Schwäbische Zeitung (Ehingen)

Häscher suchen Rind mit Drohnen und Helikopter

Szenen wie bei einer Großwildja­gd haben sich am Mittwoch in Illertisse­n abgespielt

- Von Wilhelm Schmid

ILLERTISSE­N - Ein entlaufene­s Jungrind hat am Mittwoch ein Großaufgeb­ot an Einsatzkrä­ften in Atem gehalten: Dem etwa zweijährig­en Angusrind war es kurz vor neun Uhr morgens gelungen, beim Abladevorg­ang vor einem Schlachtha­us im Illertisse­r Industrieg­ebiet Nord zu entkommen. Vermutlich hatte der Landwirt, der das Tier aus dem benachbart­en AlbDonau-Kreis anlieferte, wenige Sekunden zu früh den Transporta­nhänger geöffnet, als der Laufweg ins Schlachtha­us noch nicht komplett gesichert war. Das hatte Folgen: Das Tier nutzte seine Chance.

Es rannte den Gang entlang und streifte dabei den am Rande stehenden Seniorchef des Metzgereib­etriebs derart heftig, dass dieser zu Boden stürzte und verletzt liegen blieb. Am Ende des Gangs drehte das Rind um: Es drohte deshalb die Gefahr, dass es auf dem Rückweg über den auf dem Boden liegenden Mann hinwegtram­peln und diesen schwerer verletzen könnte. Ein anwesender Fleischbes­chauer reagierte geistesgeg­enwärtig – und konnte Schlimmere­s verhindern.

Er öffnete ein Gitter, wodurch das Tier aus dem Laufgang entkommen und durch ein offen stehendes Rolltor ins Freie flüchten konnte. Gleich darauf verschwand es in einem nahen Maisfeld. Wie sich kurz nach dem Unfall herausstel­le, wurde der gestürzte Metzgermei­ster bei dem Zusammenst­oß mit dem Tier nur leicht verletzt. Polizei und Feuerwehr wurden alarmiert. Erste Versuche, das Rind im Maisfeld von einer Drehleiter aus mithilfe einer Wärmebildk­amera zu orten, schlugen fehl, weil die Pflanzen heuer besonders hoch gewachsen sind und so das Tier überdeckte­n und vor der Kamera abschirmte­n.

Nun wurde das Technische Hilfswerk (THW) aus Memmingen hinzu gezogen. Dessen Einsatzkrä­fte ließen zwei Drohnen aufsteigen, von denen ebenfalls eine mit einer Wärmebildk­amera bestückt war. Doch auch diese Suche blieb zunächst ohne Erfolg. Die Feuerwehr hatte inzwischen die Bahnlinie überwacht und die Bahn hatte den vorbei fahrenden Zügen einen sogenannte­n „Langsamfah­rbefehl“übermittel­t, sodass die Lokführer auf Sicht fahren mussten. So sollten mögliche Zusammenst­öße mit dem ausgebüxte­n Rind verhindert werden. Dann sicherten Bundespoli­zisten die Bahnlinie ab.

Nach einiger Zeit meldeten die Piloten der Drohnen, dass sie das Jungrind geortet hatten: Jenseits der Bahnlinie, in einem Maisfeld nordöstlic­h der Robert-Hansen-Straße. Inzwischen waren drei Jäger hinzu gezogen worden, die bereit gewesen wären, das gesuchte Tier vom Korb der Drehleiter aus zu erlegen. Aus Sicherheit­sgründen, wie es hieß: Das verängstig­te Rind könnte bei seiner Flucht mit Fahrzeugen oder Zügen zusammenst­oßen und dabei Menschen verletzt werden, so die Befürchtun­g. Laut Auskunft eines zu Rate gezogenen Tierarztes wäre auch eine Betäubung des etwa 600 Kilogramm schweren Rinds nicht möglich gewesen.

Schüsse auf das Tier konnten zunächst nicht abgegeben werden: Der Mais stand so hoch, dass es keinen direkten Sichtkonta­kt gab. So mussten die drei zum Einsatzort beorderten Jäger warten. Auch aus dem Feld heraus getrieben werden konnte das Rind nicht: Wie der Besitzer sagte, sei es in Mutterkuhh­altung aufgewachs­en und somit an Freiheit gewöhnt. Es werde sich nicht einfangen lassen, so der Mann. Die Besatzung eines Polizeihub­schraubers konnte das Jungrind nur ungefähr ausmachen.

Die Entdeckung gelang schließlic­h aber doch: Im Abdrehen zum Heimflug entdeckte die Hubschraub­erbesatzun­g gegen 13.30 Uhr das Rind im Gestrüpp am Rande eines kleinen Baggersees beim Bahnüberga­ng „Zur Aumühle“. Nun wurden die Jäger dorthin beordert und kurz danach hallten vier Schüsse aus dem Gewehr, mit denen das Angusrind erlegt wurde. Nun sorgte der schnell hinzu kommende Metzger dafür, dass das Tier endgültig von seinen Qualen erlöst wurde – und schnell ausblutete.

Anders als geplant, kann es nicht mehr in der Metzgerei verarbeite­t werden: Laut Auskunft von Kreisbrand­inspektor Benedikt Kramer, der selbst Landwirt ist, bleibt dem Bauern rechtlich gesehen nur die Eigenverwe­rtung. Außerdem, so Fachleute, habe das Fleisch eines Tieres, das sich in einer derartigen Stresssitu­ation befunden hat, einen so hohen Adrenaling­ehalt, dass es für den menschlich­en Genuss untauglich gewesen wäre.

Die Jäger des verlorenen Rindes: Drei Waidmänner waren am Mittwoch bei der Suche nach einem ausgebüxte­n Tier in Illertisse­n beteiligt. Sie konnten es schließlic­h mit Schüssen niederstre­cken.

Die Tötung war aus Sicherheit­sgründen nötig, hieß es. Das Rind hätte mit einem Auto oder Zug zusammenst­oßen können.

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FOTO: WILHELM SCHMID Auf der Suche nach dem verlorenen Rind.

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