Die Raserautobahn
Nicht nur Schweizer nutzen die A 96 im württembergischen Allgäu als Rennstrecke - Geschwindigkeitsbegrenzungen sollen helfen
WANGEN - Mit 209 Stundenkilometern rasen, wo nur 80 Stundenkilometer erlaubt sind – so wahnsinnig muss man erst einmal sein. Bei einem Autofahrer war dies kürzlich der Fall. Er preschte über die A 96 zwischen Wangen und Lindau. Dort wird der Verkehr bei der 730 Meter langen Brücke auf Tempo 80 heruntergebremst. Der Grund ist ein Unfall Anfang März. Dabei war auf der östlichen Fahrspur der Belag beschädigt worden, ebenso Leitplanken. Die vollständige Reparatur lässt noch auf sich warten – und damit die Aufhebung des Tempolimits. Aber zahlreiche Autofahrer scheinen die Geschwindigkeitsbegrenzung grundsätzlich nicht ernst zu nehmen.
Die Strecke bei der Argentalbrücke ist fast gerade und übersichtlich. Warum also 80 Stundenkilometer fahren, wenn auch mehr drin sind? Die Polizei wird’s schon nicht merken, dachte sich wohl nicht nur der Möchtegern-Rennfahrer. An jenem Tag, als er ertappt wurde, kontrollierte die Polizei fünfeinviertel Stunden lang. Während dieser Messzeit waren 2130 Fahrzeuge deutlich schneller als die erlaubten 80 Stundenkilometer. Einmal mehr wurde die A 96 ihrem Ruf als Raserstrecke gerecht. Und all jene, die seit Längerem zum Kampf gegen den TempoWahnsinn auf der A 96 auffordern, spüren Rückenwind. Selbst das ZDF im fernen Mainz ist auf das Thema gestoßen und hat deshalb im Mai ein Kamerateam ins württembergische Allgäu geschickt. Am 1. Juli soll der Film gesendet werden.
Viele Drängler
Schon die eigene, jahrelange Erfahrung entlang der A 96 ist alarmierend. Wer sich mit 130 Stundenkilometern auf die Überholspur wagt, hat immer wieder ein stark motorisiertes Fahrzeug drängelnd im Genick – auffallend oft mit ausländischem Kennzeichen versehen. Dass etwa Schweizer, die daheim maximal Tempo 120 fahren dürfen, auf den freien deutschen Autobahnen gerne zeigen, was unter ihren Motorhauben steckt, wird unter der Hand auch in Polizeikreisen bestätigt. Aber die Schweizer seien nur ein Teil des Problems. Deutsche würden ebenso rasen. Und die A 96 ist halt besonders beliebt. Die Verkehrspolizeidirektion Sigmaringen bietet hierzu einen Vergleich.
Ihre Beamten überwachen den baden-württembergischen Teil der A 96 bei Wangen, Kisslegg und Leutkirch, ebenso die A 81 zwischen dem Hegau und Tuttlingen. Dazu noch den Autobahn-Stummel bei Stockach im westlichen Bodenseegebiet. „Auf der A 96 haben wir prozentual gerechnet doppelt so viele Geschwindigkeitsverstöße wie auf der A 81“, sagt Jürgen Kritzer, der in der Abteilung Verkehrsüberwachung arbeitet.
Vergleichbare Streckenführung
Streckenmäßig sind die entsprechenden Abschnitte der A 96 und A 81 durchaus vergleichbar: vor allem gerade Stücke und langgezogene, überschaubare Bögen. Ein ständiges Tempolimit gibt es nur an wenigen Stellen: den jeweiligen Tunnels. Auf der A 96 ist es die Röhre bei Herfatz unweit von Wangen. Der Verkehr wird dort auf 100 Stundenkilometer heruntergebremst. Am Nordportal misst die Polizei gerne. Sind die entsprechenden Geräte aufge- baut, blitzt es meist in schneller Folge. Dabei werden die Autofahrer mit Hinweisschildern an das Tempolimit herangeführt.
Wer nach Erklärungen für die Häufung von überhöhten Geschwindigkeiten sucht, muss sich mit Spekulationen zufriedengeben. So ist die A 96 im Vergleich zu Autobahnen in Ballungszentren relativ wenig befahren. Stuttgarter Kreuz und Wangen - Leutkirch sind ein Unterschied wie Tag und Nacht. Mag sein, dass die vorherrschende freie Fahrt in Versuchung führt. Komischerweise gibt es aber bei der A 81 im Hegau bei noch weniger Verkehr diese Häufung von Tempoverstößen laut Polizei nicht. Tatsache ist aber wiederum, dass die A 96 in Internetforen als oft gerade verlaufende Amateur-Rennstrecke ohne große Geschwindigkeitslimits gepriesen wird. Existiert vielleicht zwischen München und dem östlichen Bodenseeraum eine größere Sportwagendichte als zwischen Stuttgart und dem westlichen Bodenseeraum? Die Frage muss offen- bleiben. Klar sind dagegen die Folgen jeglicher Raserei. Hier hilft die Statistik.
So war im vergangenen Jahr in Baden-Württemberg zu schnelles Fahren mit 42 Prozent die häufigste Ursache für tödliche Verkehrsunfälle. Darunter fällt auch, wenn jemand bei Glatteis seine Geschwindigkeit nicht den Umständen anpasst. Die war Schlüsselursache des oben erwähnten Unfalls auf der Argentalbrücke Anfang März gewesen. Ein Pkw war ins Schleudern geraten. Dann verkeilten sich zwei nachfolgende Lastwagen bei Bremsmanövern ineinander und fingen Feuer. Als späte Folge des Unfalls gab es noch einen Toten. Ein Pkw-Fahrer raste in das Stauende und starb.
Die Polizei sieht die A 96 zwar nicht als speziellen Unfallschwerpunkt. Gleichzeitig kommt es aber immer wieder zu Unglücken mit tödlichem Ausgang. Mit am brutalsten dürfte ein Unfall im Februar 2007 gewesen sein. Damals stürzte ein Lkw von der Argentalbrücke 40 Meter in die Tiefe. Der Fahrer starb. Neben alltäglichen Erfahrungen auf der A 96 heften sich natürlich auch solche Unfälle im Gedächtnis der umliegenden Bevölkerung fest. Kaum erstaunlich, dass deshalb seit Längerem Forderungen nach einer ständigen Geschwindigkeitsbegrenzung im Raum stehen. 120 Stundenkilometer sind im Gespräch. Acht Bürgermeister haben bereits eine entsprechende Forderung an Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt geschickt. Darunter ist auch Dieter Krattenmacher, Gemeindeoberhaupt von Kisslegg. Er meint: „Eine gleichmäßige und stetige Geschwindigkeit kann im Gegensatz zur bisherigen Praxis für mehr Sicherheit, weniger Lärmspitzen und weniger Luftschadstoffe sorgen.“
Lärmschutz hilft wenig
Ein Ort in Krattenmachers Gemeindegebiet liegt direkt an der A 96: Waltershofen. Dort wird ein hohes Tempo vor allem mit viel Krach gleichgesetzt. Lärmschutzwände an der Autobahn sind offenbar nur für dort stehende Häuser hilfreich. Wer Richtung Dorfinneres wohnt, scheint dagegen nicht abgeschirmt zu sein. Für viele Waltershofener ist ein Tempolimit die letzte Hoffnung auf ein ruhigeres Leben. Eine Petition an den baden-württembergischen Landtag im vergangenen Jahr führte nur in Stuttgart zum Erfolg. Der entsprechende Ausschuss befürwortete die Eingabe. Entscheiden muss aber das Bundesverkehrsministerium. Dort ruht die Petition nun seit Ende 2014. Die A-96-Anlieger sind frustriert.
Schmale Fahrstreifen
Indes macht sich die Verkehrspolizei Gedanken, wie dem Raserunwesen beizukommen ist – zumal es für weite Strecken auf der A 96 noch ein brisantes Detail gibt: Sie gehören zu den eher schmalen Autobahnen in Deutschland. So ist zum Beispiel die linke Fahrspur bei Wangen 35 Zentimeter enger als beim nahen Lindau. Bei der rechten Fahrbahn beträgt der Unterschied 25 Zentimeter. Engere Fahrbahnen bieten weniger Manövrierraum. Auch deshalb sei es vernünftig, neben verstärkten Kontrollen vielleicht doch noch auf Tempolimits zurückzugreifen, heißt es aus Polizeikreisen. Vorerst haben Beamte aber wenigstens an der Argentalbrücke bis zu deren kompletter Reparatur weitere Hinweisschilder aufgestellt. Sie warnen vor Geschwindigkeitskontrollen. Und damit Autofahrern die Hinweise auch auffallen, wurden zusätzlich Blinkleuchten installiert.