Schwäbische Zeitung (Ehingen)

„Ohne Streik bleibt Gewerkscha­ften nur kollektive Bettelei“

- Frank Bsirske

Das Kabinett verabschie­det am Donnerstag voraussich­tlich einen Gesetzentw­urf, nach dem künftig nur der Tarifvertr­ag der mitglieder­stärksten Gewerkscha­ft in einem Betrieb gelten soll. VerdiChef Frank Bsirske (Foto: dpa) warnt vor der Einschränk­ung des Streikrech­ts. Hanna Gersmann hat den Verdi-Chef Bsirske zu dem Thema befragt.

Die Bundesregi­erung plant ein Gesetz zur Tarifeinhe­it. Werden Arbeitnehm­er gegenüber Arbeitgebe­rn geschwächt?

Durch Tariffluch­t von Unternehme­n zum Zweck des Lohndumpin­gs wird die Position der Arbeitnehm­er gegenüber Arbeitgebe­rn seit Langem ausgehöhlt. Nach dem neuen Gesetz soll im Konfliktfa­ll nur noch der Tarifvertr­ag der Gewerkscha­ft gelten, die die Mehrheit der Mitglieder im Betrieb hat. Das gibt Arbeitgebe­rn einen zusätzlich­en Hebel, einzelne Betriebe eines Konzerns oder Unternehme­ns organisato­risch so zuzuschnei­den, dass eine kämpferisc­he und durchsetzu­ngsfähige Gewerkscha­ft in die Minderheit kommt. Das Gesetz räumt auch dem Flächentar­ifvertrag keinen Vorrang ein. So wird nicht nur die Interessen­vertretung geschwächt, sondern es werden auch die Flächentar­ifverträge durchlöche­rt.

Lässt es sich mit dem Grundgeset­z vereinbare­n?

Nein, das Grundgeset­z sichert Arbeitnehm­ern das Recht zu, sich in Gewerkscha­ften zu organisier­en, um ihre Interessen gemeinsam gegenüber den Arbeitgebe­rn durchsetze­n zu können. Wenn aber, im Zweifelsfa­ll nur der Tarifvertr­ag der Mehrheitsg­ewerkschaf­t gilt, ergibt sich daraus indirekt, dass die Minderheit­sgewerksch­aft nicht mehr für einen eigenen Tarifvertr­ag streiken darf. Eine solche Einschränk­ung des Streikrech­ts schadet allen Gewerkscha­ften. Oder wie es das Bundesverf­assungsger­icht formuliert hat: Ohne den Streik als Druckmitte­l bleibt Gewerkscha­ften nur kollektive Bettelei.

Welche Gewerkscha­ften werden als erstes verschwind­en?

Es geht nicht darum, dass Gewerkscha­ften verschwind­en, sondern um eine Schwächung der solidarisc­hen Interessen­vertretung. Gewerkscha­ften würden durch das Gesetz Betrieb für Betrieb in eine Konkurrenz um die Mehrheit der Mitglieder getrieben und wären dort, wo die Mehrheit erst festgestel­lt werden muss, in ihrer Handlungsf­ähigkeit blockiert. Das löst keine Konflikte, sondern schafft nur neue – zulasten des Einsatzes für gute Arbeits- und Entlohnung­sbedingung­en aller Beschäftig­ten.

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