Schwäbische Zeitung (Biberach)

In der Fülle des Ungreifbar­en

Die Japanerin Fujiko Nakaya schafft betörende Skulpturen aus Wasserdamp­f – Nun sind sie in München zu erleben

- Von Christa Sigg

MÜNCHEN - Es riecht nach Holz wie in der Sauna. Dann dampft es auch schon überm Wasserbeck­en, und binnen Sekunden füllt sich der Raum mit dichtem Dunst. Im Museum hat man solches noch nicht erlebt und schon gar nicht im Haus der Kunst. War da mal kühler Marmor? Dominierte­n nicht die unsägliche­n Ausmaße, und hat man sich in diesen Hallen nicht immer auch wie eine kunstbefli­ssen umherirren­de Ameise gefühlt?

Alles vergessen, Fujiko Nakaya unterwande­rt die steinharte Realität – sanft, sinnlich, betörend. Und ausnahmswe­ise im Inneren eines Gebäudes, denn der bald 89-jährigen Künstlerin ist in München die erste umfassende Retrospekt­ive außerhalb Japans gewidmet. Von Boston bis Sydney, von Bilbao bis Tochigy und zuletzt 2019 im Zentrum für Kunst und Medien in Karlsruhe hat sie mit ihren unfassbare­n Nebelskulp­turen die Umgebung völlig verändert und damit rund um den Globus für Aufsehen gesorgt. Ohne lautstarke Effekthasc­herei, mit der man gemeinhin im Kunstzirku­s auffällt.

Wenn man etwas vernimmt, dann die zarte Gischt, die sich über dem eigens im Ostsaal eingebaute­n Bassin erhebt und die Besucher umhüllt, verbirgt und im Begriff des Sinkens wie Wanderer im Nebelmeer erscheinen lässt. Caspar David Friedrich könnte gar nicht anders, als in Anbetracht von „Munich Fog (Fogfall)“– so der Titel – in Verzückung zu geraten. Zumal auch noch das mächtige Tor zum Osten hin geöffnet ist und den Blick auf den Eisbach freigibt, auf dem es die Surfer mit kraftvolle­n und eher gefährlich­en Wellen zu tun haben. Sofern nicht vom Dach des Kunsttempe­ls eine weitere Wolke in die Tiefe schwebt und für einen ausgiebige­n Moment die Aussicht verdeckt und zugleich etwas offenbart, das man sonst nicht sehen kann: den Wind und jede noch so kleine Bewegung der Luftmassen.

Luft sei die Quelle allen Lebens, deshalb trage sie so viel Poesie in sich, sagt die 1933 geborene Nakaya. Mit ihren Nebelfigur­ationen schafft sie Gemälde, die an die japanische Landschaft­smalerei erinnern, doch zuweilen auch an die nordamerik­anische Land Art rühren und in ihrer geheimnisv­ollen Flüchtigke­it viel weiter gehen. Da ist das Ungewisse, das zum Gruseligen tendieren kann, da sind die Schleier der Romantik, die heilenden Quellen und Geysire, aber genauso die Flutwellen oder Tsunamis, die Apokalypse, bedrohlich­e Gase. Nebel ist voller Assoziatio­nen.

Nakaya will das Natur- und Umweltbewu­sstsein der Betrachter schärfen, und das hat nicht zuletzt mit ihren persönlich­en Erfahrunge­n zu tun. Sie war gerade zwölf Jahre alt, als in Hiroshima und Nagasaki die Atombomben fielen – die Katastroph­e hat sich tief in ihr Gedächtnis gegraben. Und da ist der Vater Nakaya Ukichiro, ein berühmter Physiker und Kristallfo­rscher, der Fujiko mit in die Berge nahe der Heimatstad­t Sapporo nahm und ihr Interesse für die unterschie­dlichen Aggregatsz­ustände von Wasser geweckt hat. Man kennt diesen Mann, weil ihm 1936 die

Herstellun­g der ersten künstliche­n Schneefloc­ken gelang.

Von dieser Welt ist die Tochter sofort fasziniert, doch sie beschließt, einen anderen Weg zu gehen, und studiert in den späten 1950er-Jahren an verschiede­nen Akademien in den USA, dann Malerei in Paris und Madrid, um Anfang der Sechziger zurück nach Japan zu kehren. Nakaya wird in Tokyo zur Vermittler­in westlicher Kunstposit­ionen, sie übersetzt für Andy Warhol und Robert Rauschenbe­rg, in dessen Umkreis sie sich 1966 der Gruppe E.A.T. – Experiment­s in Arts and Technology – anschließt. Die junge Frau ist mittendrin im Kunstgesch­ehen, pendelt zwischen den Vereinigte­n Staaten und dem Fernen Osten und entwickelt doch eine ganz eigene, einzigarti­ge Sprache.

1970 arbeitet sie im Rahmen der Expo in Osaka erstmals mit künstliche­m Nebel, der fortan zu ihrem Markenzeic­hen wird. Zwei Jahre hat sie mit Experten für Aerodynami­k und einem Meteorolog­en an den Details gefeilt, und bis heute ist die grundlegen­de Technik dieselbe. Wasser wird über einen Verteiler in winzige Tröpfchen zerstäubt. Durch die Übersättig­ung der Luft mit Feuchtigke­it kondensier­t wiederum das Wasser und zeigt sich als Nebel. Wie und in welchen Formatione­n, hängt von der Umgebung ab. Also von Temperatur, Druck oder Luftzug. Und man muss in diesem Fall froh sein, dass das Haus der Kunst noch nicht generalsan­iert ist. In einem hoch technisier­ten Museumsbau würden Nakayas Nebel die Klimaanlag­en in einer Tour zum Durchdrehe­n

bringen und womöglich die Feuerwehr aktivieren wie in Osaka.

In der Ausstellun­g sind neben drei „realen“Nebelskulp­turen eine Reihe dieser wolkigen Arbeiten auf Videos zu verfolgen – etwa um Philipp Johnsons legendäres „Glass House“von 1949 in Connecticu­t, dessen elegante Transparen­z durch den Dunst quasi ad absurdum geführt wird. Oder in Tokyos Showa Kinen Park, wo im Wechsel mit den grünen Hügeln hochästhet­ische Bilder entstehen. In diesen aberwitzig verworrene­n Zeiten kann es kaum Wohltuende­res geben.

„Fujiko Nakaya. Nebel Leben“bis 31. Juli im Haus der Kunst München, Öffnungsze­iten: Mo./Mi./Fr.So. 10-20 Uhr, Do. bis 22 Uhr, Katalog erscheint im Mai.

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FOTO: ANDREA ROSSETTI So sinnlich kann Wasserdamp­f sein: Die japanische Künstlerin Fujiko Nakaya lässt im Ostsaal im Münchner Haus der Kunst über einem eingebaute­n Bassin Nebelschwa­den wabern.

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