Schwäbische Zeitung (Biberach)
Die Giftwolke vor La Palmas Küste
Lavafluss lässt die Baleareninsel wachsen – Vulkan verschlang bereits 1000 Häuser
LA PALMA/MADRID - Die Bewohner in San Borondón, einer Siedlung an der Küste der Kanareninsel La Palma, leben seit Tagen im Ausnahmezustand. Seit sich der Lavastrom ein paar Kilometer südlich in den Atlantik ergießt, dürfen sie ihre Häuser nicht mehr verlassen. „Bitte dichten Sie Fenster und Türen ab. Legen Sie Lebensmittelvorräte an. Gehen Sie nicht raus“, lauten die Anweisungen. Grund der Ausgangssperre ist eine große Giftwolke, die sich dort bildete, wo seit Mitte der Woche die glühend heiße Lava in den Atlantik fließt.
Nachdem zunächst der Wind half, die säurehaltigen Wolken aufs Meer hinauszutreiben, spitzte sich am Freitag die Lage zu: Die Behörden warnten, dass der Wind gedreht habe und die gashaltige Nebelwand Richtung Land treibe. Deswegen wurden die Menschen im Umkreis von 2,5 Kilometern aufgefordert, nicht nach draußen zu gehen. Innerhalb der Sperrzone, in der mehrere Tausend Menschen leben, sah man Polizisten und Katastrophenschützer mit Schutzmasken.
Mitte der Woche hatten die Lavamassen die Küste erreicht und das Meer brodeln und kochen lassen. Aus sicherer Entfernung ist dort, wo die Lava über einen Felsabhang ins Meer stürzt, eine riesige weißgraue Wolke sichtbar. „Durch den thermischen Schock zwischen der Lava und dem Meer entsteht Wasserdampf“, erklärt die spanische Geologin Rosa Mateos. Aber es sei höchste Vorsicht angebracht: Die Wasserdampfwolken enthielten ätzende Säuren.
Auf ihrem Weg zum Atlantik hat die Lava, die seit dem 19. September aus dem Vulkan im Gebirgszug Cumbre Vieja austritt, bisher annähernd 1000 Häuser zerstört. Auch das „Wunderhaus“im Ort El Paraíso, das einem Rentnerpaar aus Dänemark gehörte, gibt es inzwischen nicht mehr. Es war vorübergehend weltbekannt geworden, weil es tagelang wie auf einer Insel inmitten der glühend heißen Lavamassen unbeschadet geblieben war.
Doch nicht nur an Land hinterlässt die Lavawalze eine Schneise der Zerstörung. Auch im Meer hat die Lava verheerende Folgen. Zwar können Fische oder Delfine fliehen. Doch Flora und Fauna auf dem Grund sind der Lava ausgeliefert. „Das ganze Leben auf dem Meeresboden stirbt“, sagt der Vulkanforscher José Magas. „Das ist wie eine Bombe“, beschreibt die Zeitung „El País“die Zerstörungskraft dieser Naturkatastrophe.
Allerdings weiß man inzwischen, dass sich das Leben im Atlantik ein paar Jahre später wieder erholen kann. Das haben die Forscher bereits beim letzten Vulkanausbruch auf La Palmas Nachbarinsel El Hierro beobachten können. Dort hatte vor zehn Jahren ein Unterwasservulkan eine Todeslandschaft hinterlassen. „Inzwischen ist dort das Leben wieder zurückgekehrt“, berichtet Spaniens Meeresinstitut. Die ins Meer fließende Lava sorgt nun zugleich dafür, dass vor der Küste ein neues Territorium im Atlantik wächst. Die im Wasser erkaltenden Vulkanmassen türmen sich zu einer neuen Landzunge auf, die am Freitag bereits 800 Meter breit und 500 Meter lang war. Die Oberfläche der neuen Halbinsel betrug 20 Hektar, was etwa ebenso vielen Fußballfeldern entspricht.
Landgewinne gab es bereits bei früheren Lavaausbrüchen. Etwa 1949, als ein Vulkan namens San Juan ebenfalls im Cumbre-Vieja-Gebirge explodierte. Der San-Juan-Krater lag nicht weit von jenen Lavaschloten entfernt, die sich jetzt öffneten. Nach 47 Tagen Eruption sorgte der Lavafluss des San Juan dafür, dass La Palma immerhin um rund 1,5 Quadratkilometer größer wurde. Territorium, auf dessen fruchtbarer Vulkanerde später Bananenund Avocado-Plantagen entstanden.
Neben der Lava und möglichen Giftwolken bereitet auf der Urlaubsinsel La Palma ein nicht endender Ascheregen Sorgen. Im Flugbetrieb auf der Insel kommt es deswegen zu Behinderungen; immer wieder müssen Flüge abgesagt werden. Viele Urlauber mussten deswegen auf die Fähren ausweichen, die La Palma mit Teneriffa verbinden. Im Fährhafen La Palmas bildeten sich lange Schlangen von Reisenden. Doch auch auf Teneriffa, der meistbesuchten Kanarischen Insel, könnte es bald noch Probleme wegen des Vulkans geben: Je nach Windrichtung könnten die Aschewolken, die in mehreren Tausend Meter Höhe am Himmel hängen, demnächst auch Teneriffa erreichen.