Schwäbische Zeitung (Biberach)
Nicht Frau Holle, sondern Corona bestimmt
Die Pandemie schmälert das Geschäft von Kässbohrer, die Belegschaft arbeitet derzeit kurz
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LAUPHEIM - Von zentraler Bedeutung für die Kässbohrer Geländefahrzeug AG ist normalerweise Frau Holle. Schneereiche Winter kurbeln den Skitourismus an und nach der Saison die Bereitschaft der Lift- und Bergbahnbetreiber, in neue Raupen des Laupheimer Unternehmens zur Pflege von Pisten und Loipen zu investieren. An Schnee mangelt es derzeit nicht, doch seit bald einem Jahr ist der entscheidende externe Faktor für den Geschäftsverlauf ein anderer: Corona.
Die Pandemie hat den Auftragseingang und Umsatz bei Kässbohrer bis Weihnachten um 30 Prozent einbrechen lassen, berichtet der Vorstandssprecher Jens Rottmair. In allen wichtigen Skigebieten weltweit ging die Saison 2019/2020 vorzeitig zu Ende. Viele Kunden warteten danach ab, Kaufentscheidungen wurden vertagt. Den stärksten Rückgang bei den Neubestellungen verzeichnete Kässbohrer im größten Einzelmarkt Nordamerika.
Die 450 Beschäftigten am Firmensitz Laupheim (konzernweit sind es 650) bekommen das zu spüren. Im März und April herrschte wochenlang Betriebsruhe, die Belegschaft baute Überstunden ab. Ein Vorteil war immerhin, dass die Auslastung der Montagelinien im Frühjahr ohnehin saisontypisch gering ist. Mitte Dezember aber hat der Weltmarktführer sein Personal in der Fertigung in die Kurzarbeit geschickt, bis Ende März soll sie dauern. Seit Januar ist von diesem Schritt auch die Verwaltung betroffen.
„Als wir das entschieden haben, war freilich noch nicht klar, dass viele zentraleuropäische Skigebiete wegen der stark gestiegenen Infektionszahlen und der in den jeweiligen Ländern zur Eindämmung angeordneten Maßnahmen den Saisonstart verschieben mussten. Zum Teil sind sie immer noch geschlossen“, sagt Rottmair. Auch das schlägt in Laupheim durch, denn je weniger die Pistenbullys eingesetzt werden, desto geringer ist der Wartungsbedarf; darunter leidet das Service- und Ersatzteilgeschäft.
Für Kässbohrer hänge jetzt viel davon ab, ob und wann die Skigebiete in Anbetracht des Pandemiegeschehens öffnen dürfen und wie die Angebote angenommen werden, verdeutlicht Rottmair. Die Unsicherheit ist groß, die Lage unübersichtlich.
Anspruch und Ziel des familiengeführten Unternehmens Kässbohrer sei es jedoch, Einschnitte bei der Stammbelegschaft zu vermeiden, sagt Steffen Kaiser, seit September als Vorstandsmitglied verantwortlich für Finanzen und Personal. Er betont: „Wir sind ein starkes, solides Unternehmen mit einem Eigentümer, der langfristig denkt.“
Obwohl durch Corona getrübt, war das Geschäftsjahr 2019/2020 (Stichtag: 30. September) laut Kaiser insgesamt ein erfolgreiches. Der Absatz bei Pistenbullys lag mit gut 600 Neufahrzeugen immer noch „fast auf Rekordniveau“, nicht zuletzt dank eines Großauftrags aus Russland für die Forschungsstation „Wostok“in der Antarktis. Hinter den Erwartungen zurück blieb der Verkauf von Strandreinigern. Dieses Geschäftsfeld ist stark auf kommunale Ausschreibungen angewiesen. „Der Markt war zuletzt so gut wie tot, auch wegen der weltweiten Schließung von Stränden wegen der Pandemie“, sagt Jens Rottmair.
Weiter im Prozess der Markteinführung
„Nachhaltigkeit und ein schonender
● Umgang mit der Natur werden auch in unserem Geschäftsfeld immer wichtiger“, sagt Jens Rottmair, Vorstandssprecher der Kässbohrer Geländefahrzeug AG. Seit 2012 bietet das Unternehmen einen dieselelektrischen Pistenbully an, den „600 E+“. 2019 wurde die weltweit erste elektrisch betriebene Pistenraupe vorgestellt, der „100
E“. Mit dem seither ausgiebig getesteten und weiterentwickelten Stromer, prädestiniert für Loipen und Skihallen, will man zur Wintersaison 2021/2022 im Markt präsent sein. Das Fahrzeug sei auf dem Weg von der Studie zum serienreifen und bezahlbaren Produkt, heißt es in einer Pressemitteilung.
Damit nicht genug: Seit zwei
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Jahren sind die Laupheimer Partner eines österreichischen Konsortiums
befindet sich der Powerbully. Kässbohrers jüngster Spross ist ein kettengetriebenes, extrem robustes Trägerfahrzeug, auf das die Käufer Krane, Hebebühnen, Bohrgestänge und andere Gerätschaften montieren können. Das Einsatzspektrum umfasst unter anderem die Wartung von Gas- und Ölpipelines, Stromund Telefonleitungen in unwegsamem Gelände, aber auch den Katastrophenschutz und Bodenuntersuchungen. Gemeinsam mit Magirus in Ulm wurde der „Firebull“entwickelt, ein schweres Raupenfahrzeug mit Löschturbine zur Bekämpfung von Waldbränden.
Seit zwei Jahren wird der Powerbully in Laupheim produziert. Die noch junge Konzernmarke soll ein zweites Standbein des Unternehmens werden und die Abhängigkeit bei der Entwicklung einer wasserstoffbetriebenen Pistenraupe mit entsprechender Infrastruktur. Dieses Projekt sei „der nächste konsequente Schritt“, sagt der Kässbohrer-Entwicklungschef Michael Kuhn. „Parallel sind wir mit einigen multinationalen Herstellern in Kontakt, um unseren Kunden dann eine topaktuelle und hochwertige Antriebstechnologie anbieten zu können.“Kuhn verspricht: „Wenn Tankstellen auch in den Skigebieten verfügbar sein werden, stehen wir mit einer serienreifen und bezahlbaren Wasserstoffmaschine bereit.“
Auf dem Dach des neuen Logistikcenters ● in Laupheim wurde eine Photovoltaikanlage in Betrieb genommen. In Kombination mit dem Blockheizkraftwerk und der Rückgewinnung von Energie auf den Fahrzeug-Prüfständen erzeugt vom Schnee verringern. „Wir sind lieferfähig und arbeiten noch daran, die Modellpalette zu erweitern“, sagt Jens Rottmair. Erste Verkaufserfolge wurden in Nordamerika erzielt. Große Hoffnungen ruhen auf dem russischen Markt. Man empfange positive Signale von einem dortigen Energieversorger, so Rottmair. Speziell für den Einsatz in Russland hat Kässbohrer den Powerbully „Polarnic“entwickelt. Der Koloss, mit Aufbauten bis zu 36 Tonnen schwer, ist schnell auf Schotter und für lange Strecken etwa in den Weiten Sibiriens ausgelegt; mithilfe von Pontons und Schiffsschrauben kann er schwimmen und Flüsse und andere Gewässer durchqueren.
Vom Geschäftsgang bei Powerbully hängt ab, wann Kässbohrer seine Option auf den Erwerb eines 23 000 Quadratmeter großen Grundstücks einlöst, das nördlich des heutigen Firmengeländes liegt und der Stadt Laupheim gehört. Bei entsprechender Nachfrage nach Powerbullys ist geplant, im Bestandsgebäude eine dritte Montagelinie einzurichten und dafür die Kettenfertigung auf die Erweiterungsfläche zu verlagern.
Mit Geschäftszahlen hält sich Kässbohrer, zu 100 Prozent im Besitz des Unternehmers Ludwig Merckle, zurück. Der letzte im „Bundesanzeiger“veröffentlichte Umsatz weist 269,2 Millionen Euro für 2017/2018 aus. 2019 habe die Kässbohrer-Gruppe ihren Umsatz weiter steigern können und zum positiven Konzernergebnis beigetragen, geht aus dem einschlägigen Lagebericht der UBH Holding GmbH Zossen hervor, unter deren Dach die Geländefahrzeug AG angesiedelt ist.
Kässbohrer jetzt fast 50 Prozent des am Firmensitz benötigten Stroms selber. Die Photovoltaik versorgt auch Ladesäulen für Elektround Hybridfahrzeuge von Mitarbeitern und Kunden, Ertragsspitzen werden ins öffentliche Netz eingespeist.
Noch einmal das Thema Corona: Von Land zu Land gelten in der Pandemie unterschiedliche Regelungen. Das sei nicht zuletzt für die Service-Mitarbeiter von Kässbohrer eine Herausforderung, sagt Vorstandsmitglied Steffen Kaiser. Es werde jedoch niemand zu Dienstreisen gezwungen, und jeder reise allein. Kaiser bescheinigt der gesamten Belegschaft große Disziplin im Umgang mit den Hygiene- und Abstandsregeln. Im Betrieb selbst sei noch kein Corona-Fall vorgekommen. (ry)
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