Schwäbische Zeitung (Biberach)
Zwischen Umweltschutz und sicherer Ernährung
In der Landwirtschaft werden viele Weichen neu gestellt – Grüne Woche nur virtuell
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STUTTGART/BERLIN - Hochleistungskühe oder Streichelferkel können aufatmen. Sie werden in diesem Jahr nicht nach Berlin gefahren, um den Besuchern der Grünen Woche das Landleben zu veranschaulichen. Die Leistungsschau der Ernährungswirtschaft fällt der Pandemie zum Opfer. Statt Spezialitäten aus vielen Ländern der Welt wartet auf das Fachpublikum der Monitor am heimischen Schreibtisch. Die Konferenzen der Grünen Woche finden nur virtuell statt, etwa zur Sicherung der Welternährung.
Auch wenn das Messegeschehen ruht, wird in der Politik viel um die künftige Ausrichtung der Agrarpolitik gerangelt. Einen Fortschritt will das Bundeskabinett am nächsten Mittwoch beschließen. Das Kükenschreddern wird verboten (siehe Kasten). Bisher werden männliche Küken nach dem Schlüpfen getötet, weil sie wirtschaftlich nicht interessant sind. Künftig soll schon im Ei das Geschlecht des Kükens festgestellt werden. Dann wird es erst gar nicht ausgebrütet. Ein entsprechendes Gesetz hat Landwirtschaftsministerin Julia Klöckner nach jahrelanger Diskussion nun fertig.
Damit wird ein vergleichsweise kleines Problem der Ernährungswirtschaft gelöst. Es warten ungleich schwierigere Aufgaben. So zoffen sich beispielsweise das Umwelt- und das Agrarministerium beim Pflanzen
und Insektenschutz. Das Umweltministerium pocht auf eine Verordnung zum Schutz von Bienen oder Spinnen. Das Landwirtschaftsministerium will sie nur zusammen mit dem Pflanzenschutzgesetz verabschieden. „Insekten sind nur am Sonntag systemrelevant“, wirft der Staatssekretär im Umweltministerium (BMU), Joachim Flasbarth, Landwirtschaftsministerin Klöckner vor.
Dahinter steckt auch der Ärger um das umstrittene Pflanzenschutzmittel Glyphosat. Das geplante Verbot hat aus Sicht des BMU Schlupflöcher für die weitere Verwendung. Es fehle der vollständige Ausstieg bis Ende 2023, sagt Flasbarth. Dann läuft auch die europäische Zulassung für das Gift aus. Den Vorwurf weist das
Insektenschutz, Schutz von Pflanzen und Erntesicherung. Bei einem Selbstversorgungsgrad in Deutschland bei Obst von 28 Prozent sei keinem gedient, wenn Maximalforderungen etwa Streuobstwiesen
Landwirtschaftsministerium zurück. Ein völliges Verbot sei mit dem europäischen Recht nicht vereinbar, heißt es dort. Viel Zeit für eine Einigung bleibt den streitenden Ministerinnen nicht mehr, wenn eine Neuregelung noch in dieser Wahlperiode abgeschlossen werden soll.
Ein seit Jahren schwelender Konfliktherd ist auch das Tierwohl. Bundeslandwirtschaftsministerin Klöckner hat sich für ein europäisches Tierwohlkennzeichen eingesetzt. Das wird nun geprüft. In Deutschland muss der Bundestag noch über die Einführung entscheiden. Hier gibt es Streit an anderer Stelle, im Baurecht. Klöckner will das Baugesetzbuch so ändern, dass Bauern, die ihre Ställe für mehr Tierwohl ausbauen, nicht mehr möglich machten.
Das geplante Verbot des Massentötens von Küken in der Hennenhaltung ab 2022 soll voraussichtlich am 20. Januar vom Kabinett auf den Weg gebracht werden, wie Klöckner sagte. Stattdessen sollen alternative Verfahren auf breiter Front einsetzbar sein, um das Geschlecht im Ei zu erkennen und männliche Küken gar nicht erst schlüpfen zu lassen.
Ab Anfang 2024 sollen dafür dann nur noch Methoden erlaubt sein, die zu einem früheren Zeitpunkt einen Bestandsschutz für die Gebäude erhalten. Das torpediere die SPD, kritisieren Ministeriumskreise.
Unterdessen geht es vielen Landwirten wirtschaftlich schlecht. Das hat in den letzten Wochen immer wieder zu Protesten geführt. Am Pranger stehen die großen Lebensmittelhandelsketten. Nach Weihnachten wollten sie den Butterpreis massiv senken. Die Milch hätte den Erzeugern damit nicht einmal die Kosten eingebracht, die bei der Herstellung anfallen. Landwirte belagerten daraufhin unter anderem ein Aldi-Lager. Es ist nicht das erste Mal, dass die Landwirte gegen die Marktmacht der Handelskonzerne aufbegehren. Die vier größten Unternehmen kommen zusammen auf einen beim Brüten der Eier funktionieren. Mit Blick auf die künftige EUAgrarfinanzierung müssten Bund und Länder jetzt „Strategiepläne“für die konkrete nationale Umsetzung erarbeiten. Klöckner betonte, dass trotz aller Unkenrufe damit eine nie da gewesene Verbindlichkeit von Umweltvorgaben für die EU-Zahlungen kommen werde.
Die Ministerin bekräftigte die Erwartung an die großen Supermarktketten, im Januar einen Verhaltenskodex für einen faireren Umgang mit den Landwirten und Lieferanten vorzulegen. (dpa)
Marktanteil von 85 Prozent des Lebensmittelhandels.
„Die Situation ist für viele Betriebe in Baden-Württemberg äußerst schwierig“, unterstreicht Joachim Rukwied, Präsident des Landesbauernverbandes in Baden-Württemberg und Chef des Deutschen Bauernverbandes. Die Erzeugerpreise seien vielfach rückläufig – teilweise regelrecht eingebrochen. Der Lebensmitteleinzelhandel hingegen habe ein sattes Umsatzplus erzielt. „Hier wird gerade viel Geld auf dem Rücken der Bauern verdient“, ärgert sich Rukwied. Im Gespräch mit der „Schwäbischen Zeitung“fordert er eine Selbstverpflichtung des Handels zum „Ausstieg aus der Dauerniedrigpreiskultur“, damit endlich mehr Wertschöpfung bei den landwirtschaftlichen Familienbetrieben ankomme.
Per Gesetz will Klöckner einige unfaire Praktiken im Handel verbieten, etwa überlange Zahlungsfristen oder kostenlose Stornierung der Lieferung frischer Ware. Zudem erwartet sie vom Handel einen Verhaltenskodex, der einen fairen Ausgleich zwischen Landwirten und Handel festschreibt. Das hat die Branche für den Januar zugesagt. Die Erfahrungen aus der Vergangenheit zeigen jedoch, dass es mit der Einigkeit im Wettbewerb der Handelsriesen schnell vorbei ist, wenn nur ein Unternehmen aus der Reihe tanzt. An brisanten Themen mangelt es also auch einer virtuellen Grünen Woche nicht, die Ende nächster Woche startet.
Bundesagrarministerin Julia Klöckner hat bei geplanten weiteren Umwelt- und Tierschutzvorgaben für die Landwirtschaft praktisch umsetzbare Lösungen angemahnt. „Regionale Produktion kann es nur mit regionalen Bauern geben“, sagte die CDU-Politikerin am Montag in Berlin.
So gehe es um aber auch um