Schwäbische Zeitung (Biberach)
Geschwätziges Stallvieh zur Rauhnacht
Der Aberglaube, eine staubige Unterkategorie des Volksglaubens, befindet sich auf dem Rückzug. Zum Beispiel glauben nur noch die wenigsten Allgäuer an den Mythos der Rauhnächte. Besonders zwischen den Jahren, jenseits von Mitternacht, sollen Tiere sprechen können und etwas von der Zukunft erzählen. Das könnte gerade auf Stallvieh zutreffen, das ans Gerede des Bauern gewöhnt ist und von deren Sprachvermögen profitiert. Andererseits gibt es wortkarge Landwirte, die selbst in Rauhnächten nichts von sich geben.
Das mit dem Weissagen der Zukunft ist dann noch eine Stufe komplizierter. Andererseits, wenn das Braunvieh schon zum Plaudern neigt – warum dann nicht die kommenden Lottozahlen wiederkäuen? Aber: So unromantisch es klingen mag: Bis heute hat noch niemand einen wissenschaftlichen Beweis dafür erbracht, dass Rindviecher sprechen können. Weder zwischen den Jahren, noch sonst. Menschliche Hornochsen natürlich ausgenommen.
Tiere zu vermenschlichen ist ein weit verbreitetes Phänomen. Es geht aber auch umgekehrt, indem man
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Personen mit Worten wie Esel oder Schaf belegt. Protokolle des Bundestags dokumentieren, dass sich auch Politiker gerne in dieser Disziplin üben: Zum Beispiel rief 1989 ein CDU-Mann Heidemarie WieczorekZeul von der SPD zu: „Sie sind eine scheinheilige Schlange!“Und SPDMann Herbert Wehner nannte den CDU-Kollegen Jürgen Wohlrabe (so hieß er wirklich) „Übelkrähe“. Mit Rauhnächten hat das nichts zu tun. Diese Schmähungen fanden jeweils im März und Oktober statt. (nyf)