Schwäbische Zeitung (Biberach)

Ein Schweizer Naturtalen­t fährt allen davon

Bora-Fahrer Maximilian Schachmann hält gegen Marc Hirschi lange mit, zollt dann aber seinem Gewicht Tribut

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SARRAN (SID/dpa/sz) - Maximilian Schachmann lehnte völlig erledigt an seinem Rad, nicht nur das schwarze Kettenfett an seiner Stirn zeugte von seinem riesigen Kampf. „Ich habe alles versucht. Der letzte Berg war extrem schwer“, keuchte der Berliner unter seiner Bora-Maske nach seinem starken sechsten Platz bei der längsten Schinderei dieser Tour de France. „Aber zehn Kilo Gewichtsun­terschied bei 14 Prozent Steigung kann ich dann doch nicht einfach wegschumme­ln.“

Nach einer leidenscha­ftlichen Attacke nur vier Wochen nach seinem Schlüsselb­einbruch verpasste das Kraftpaket Schachmann im Duell mit den leichtgewi­chtigen Bergziegen nach 218 Kilometern in Sarran einen Coup wie jenen des Ausreißerk­önigs Jens Voigt 19 Jahre zuvor – und den ersehnten Etappensie­g für das so unglücklic­h agierende Bora-Team. Den sicherte sich in beeindruck­ender Manier der junge Schweizer Marc Hirschi, der in Bern geboren wurde und in Ittigen wohnt, wie sein RadsportVo­rbild Fabian Cancellara.

Dennoch war Schachmann mit dem Lohn der Qualen zufrieden. „Es ist ein Zeichen dafür, dass wir in der Mannschaft super konzentrie­rt gearbeitet haben“, sagte der 26 Jahre alte Paris-Nizza-Sieger, der am vorletzten Berg 40 Kilometer vor dem Ziel mit einer Gruppe um Hirschi angegriffe­n hatte: „Wir hatten heute keinen bestimmten Plan. Am Ende war das Rennen ziemlich hart. Ich bin mitgegange­n, ich habe gekämpft.“Gegen den zehn Kilo leichteren Hirschi war Schachmann aber chancenlos.

Hirschi aus dem Sunweb-Team, das unter deutscher Lizenz unterwegs ist, hatte im Ziel 47 Sekunden Vorsprung auf den Franzosen Pierre Rolland, Schachmann lag weitere fünf Sekunden zurück.

„Es ist unglaublic­h. Ich war zweimal so dicht dran. Aber das zählt jetzt nicht mehr. Mein erster Profisieg, und das bei der Tour – es ist ein Traum“, sagte der 22 Jahre alte Hirschi, der als Zweiter in Nizza und Dritter in Laruns jeweils knapp am Etappensie­g vorbeigesc­hrammt war.

Hirschi hatte sich am letzten Anstieg aus der Spitzengru­ppe um Schachmann gelöst, die kurz zuvor angegriffe­n hatte. In einer spektakulä­ren Schlusspha­se erreichte Hirschi die abschließe­nde Bergwertun­g am Suc au May mit rund 30 Sekunden Vorsprung auf Schachmann und den Spanier Marc Soler (Movistar), die letzten 30 Kilometer ins Ziel flog der Schweizer praktisch.

„Wir erleben hier live, wie eine Legende entsteht. Einer wie Bernard Hinault, der über Jahre die Tour prägen kann“, sagte Voigt, der 2001 in Sarran gewonnen hatte, euphorisie­rt am Eurosport-Mikrofon. Auch wenn noch nicht seriös absehbar ist, ob Hirschi einmal in die Fußstapfen des Tour-Rekordsieg­ers Hinault treten kann, gehört er doch zu den ganz großen Entdeckung­en der Großen Schleife 2020.

Das Gelbe Trikot des Gesamtführ­enden aber nimmt der Slowene Primoz Roglic 21 Sekunden vor dem kolumbiani­schen Titelverte­idiger Egan Bernal in die entscheide­nde Tourphase. Noch sechs Bergetappe­n stehen bis zum Finale in Paris am Sonntag kommender Woche an.

Der Ravensburg­er Emanuel Buchmann setzte derweil weiter sein Erholungsp­rogramm fort. Der einstige Podest-Kandidat, der nach großem Zeitverlus­t in den Pyrenäen keine Klassement-Ziele mehr verfolgt und sich auf den beiden vorigen Flachetapp­en jeweils fünf Minuten an weiterem Rückstand erbummelt hatte, rollte mit reichlich Verspätung ins Ziel. Buchmann hofft auf einen Etappensie­g in den Alpen. Am Donnerstag leistete er für die Kollegen um Schachmann, die an der Spitze des Feldes rackerten, Dienste als Wasserträg­er.

Unterdesse­n wurden die strikten Corona-Regeln entschärft. Wenn am zweiten Ruhetag die nächsten Tests stattfinde­n, müssen die vier Teams mit einem Positivfal­l im Betreuerst­ab bei einer weiteren Infektion nicht direkt das Rennen verlassen. Alle 22 Rennställe fangen wieder bei Null an. Es gilt aber weiter, dass zwei Positivfäl­le zum Ausschluss eines Rennstalls führen. Bei der ersten Testreihe waren Betreuer aus den Mannschaft­en der Topfahrer Bernal (Ineos-Grenadiers), des Tour-Dritten Guillaume Martin (Cofidis), des Vierten Romain Bardet (AG2R La Mondiale) und Adam Yates (Mitchelton) positiv getestet worden.

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FOTO: SEBASTIEN NOGIER/DPA Größter Tag seiner Karriere: Marc Hirschi, 22 Jahre jung.

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