Schwäbische Zeitung (Biberach)
Gefangen im Exil
Der gebürtige Buchauer Ralf Mayenberger und seine Familie sitzen auf den Philippinen fest
BAD BUCHAU/MANILA (sz) - 28 Quadratmeter, mehr nicht. Das ist der Raum, der Ralf Mayenberger, seiner Frau und seinen beiden Kindern derzeit zur Verfügung steht. Mayenberger ist in Bad Buchau aufgewachsen. Ein Austauschsemester führte den Lehramtsstudenten nach China, wo er auch seine aus den Philippinen stammende Frau Marifel kennenlernte. Mittlerweile unterrichtet das Paar an einer internationalen Schule in Beijing (Peking), wo es zusammen mit den beiden Kindern ein neues Zuhause gefunden hat. Doch nach einem Besuch über Weihnachten in Bad Buchau hängt die junge Familie in Manila fest: Wegen Corona darf sie weder zurück nach Oberschwaben noch nach China einreisen. Für die Leser der „Schwäbischen Zeitung“schildert Ralf Mayenberger das schwierige Leben im Exil:
„Wir – das sind meine Frau Marifel, meine Kinder Kassandra (9) und Ianus (6) und ich, Ralf – sind nun seit drei Monaten auf den Philippinen. Bald sind es vier Monate, seitdem wir in unseren eigenen vier Wänden waren. Das letzte Mal, dass wir die Tür zu unserer Wohnung in Beijing geschlossen haben, war am 22. Januar. Als wir am 23. Januar morgens in Frankfurt gelandet sind, haben wir Nachrichten von der Schließung von Wuhan bekommen. In den folgenden zwei Wochen sind die Covid-19-Fälle in China stark gestiegen und unsere Schulen haben uns angeraten, nicht zurück nach China zu reisen. Allerdings
sollte der Unterricht online weitergeführt werden und wir beschlossen, auf die Philippinen zu fliegen, um wenigstens in derselben Zeitzone zu sein. Damals sind wir davon ausgegangen, dass wir vielleicht vier oder fünf Wochen online Unterricht haben werden. Die Lage hat sich allerdings weltweit verschlechtert, auch hier auf den Philippinen und wir sind nun hier gefangen im Exil.
Als wir am 8. Februar auf den Philippinen angekommen sind, war der internationale Flugverkehr für die Einreise in die Philippinen bereits beschränkt. In den Wochen, die folgten, haben wir gemäß den Anweisungen unserer Schulen und der Deutschen Botschaft in Beijing gehandelt und sind nicht nach China eingereist, obgleich sich eine Stabilisierung der Lage in China abzeichnete. Anfang März wurde zuerst Manila, dann Luzon (die Hauptinsel der Philippinen), dann die Philippinen als Ganzes geschlossen. Bevor wir auf diese neue Situation reagieren konnten, hat auch China sein Grenzen geschlossen, sodass wir nun seit dem 27. März unter strikten Quarantänerichtlinen in unserer Exil-Wohnung eingeschlossen sind.
Die Quarantänerichtlinen sehen unter anderem vor, dass nur eine Person per Haushalt einen Quarantänepass erhält und das Haus verlassen kann, um etwa einkaufen zu gehen. Dieser Quarantänepass wird regelmäßig gecheckt: beim Verlassen unseres Gebäudekomplexes, auf dem Weg zum Supermarkt und dann noch einmal beim Betreten des Supermarkts. Von 20 bis 5 Uhr gilt eine komplette Ausgangssperre.
Einkaufen selbst ist ein langwieriger Prozess. Wer einkaufen gehen möchte, muss zuerst einmal vor dem Supermarkt anstehen. Das dauerte in den ersten vier Wochen der Quarantäne mehrere Stunden. Die Supermärkte
waren immer gut sortiert und Hamsterkäufe auf bestimmte Produkte wurden von Anfang an verhindert, da immer nur zwei oder drei dieser Artikel gekauft werden konnten. Bezahlen dauerte dann auch noch mal zirka zwei Stunden.
Alles in allem dauerte ein Einkauf in den ersten fünf Wochen immer circa vier bis fünf Stunden – und wir haben Glück, da wir nur 500 Meter vom nächsten Supermarkt entfernt wohnen. Da es zurzeit keinen öffentlichen Nahverkehr gibt, sind viele erst einmal lange unterwegs, um überhaupt zum Supermarkt zu kommen. Die Situation hat sich glücklicherweise verbessert: Immer mehr kleine Märkte sind eingerichtet worden, auf denen täglich frische Produkte eingekauft werden können. Unser Wohnkomplex hat einen solchen mobilen Markt mit einem Stand für Fleisch und Fisch und einem Stand für Gemüse und Obst seit drei Wochen.
Unsere Wohnsituation hat sich allerdings nicht verbessert. Wir haben einen Raum mit Kochzeile, ein kleines Badezimmer mit Dusche und einen kleinen Balkon. Alles zusammen sind das 28 Quadratmeter, auf denen wir zu viert wohnen. Das Zimmer hat eine Trennwand aus Glas, die wir schließen können. Das hilft ein wenig, wenn wir jeden Morgen Unterricht haben. Meine Frau und ich unterrichten online und die Kinder haben ihren Unterricht auch online. Allerdings bedeutet das auch, dass nur eine Hälfte des Raums Kühlung von der Klimaanlage bekommt. Wir sind auf diesen 28 Quadratmetern quasi Tag und Nacht mit dem, was wir in unseren zwei Koffern haben. Einer unserer Koffer ist allerdings voll mit Winterkleidung. Da wir auf einem Wohnkomplex wohnen, ist es möglich, hier ein bisschen nach draußen zu gehen. Allerdings gibt es hier keine Wiese, auf der wir mit den Kindern
spielen könnten, nur einen Fußweg um den geschlossenen Pool und eine Straße um die Gebäude. Wir versuchen, jeden Tag wenigsten ein bisschen nach draußen zu gehen, entweder morgens oder abends, um der Hitze zu entgehen. April und Mai sind die heißesten Monate auf den Philippinen und hier sind zurzeit Sommerferien. Die Morgentemperaturen sind so um die 28 Grad Celsius.
Wir können uns aber nicht allzu sehr beklagen. Wir haben uns gut mit der Situation abgefunden. Letzten Freitag habe ich sogar die Abschlussfeier meiner zehnten Klasse online geleitet, komplett mit Rede und Auszeichnungen, und meiner Frau und Kindern auf der anderen Seite der Glasscheibe. Wir versuchen das Beste aus der Situation zu machen. Wir lesen viel und die Kinder spielen schön miteinander. Kassandra und Ianus sind sehr kreativ und schreiben ihre eigenen Geschichten und malen Bilder dazu und haben das einzige Legoset, das wir im Koffer hatten, bereits unzählige Male umgebaut und neue Kreationen erfunden. Abends schauen wir uns dann zusammen einen Film an.
Wir hoffen nur, dass die Grenzen nach China bald wieder geöffnet werden, damit dieses Exil bald vorüber ist und wir wieder in unseren eigen vier Wänden sein können. Oder dass die Quarantäne bald gelockert wird und wir wenigstens hier auf unserem Wohnkomplex den Pool benutzen können.“