Schwäbische Zeitung (Biberach)

Toilettenp­apier und Waffen sind in der USA gefragt

Der aus Laupheim stammende Dirk Lange lebt in Colorado und erzählt, wie man dort mit der Situation umgeht

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LAUPHEIM (chre) - Der Times Square ist wie ausgestorb­en, Regale in Supermärkt­en sind leer, Warteschla­ngen vor Waffenläde­n endlos lang: Was wie eine Szene aus einem Katastroph­enfilm wirkt, sind Bilder aus New York – eine Folge der Corona-Pandemie. Doch die Aufnahmen, die uns durch die Nachrichte­n erreichen, sind nur ein Teil der Realität. Der Laupheimer Dirk Lange lebt mit Ehefrau Antonija, Sohn Marvin und den Töchtern Marissa und Marleen in einem Vorort von Denver im Bundesstaa­t Colorado und arbeitet dort als Geschäftsf­ührer eines Biotech-Unternehme­ns.

„Es stimmt, dass in dicht besiedelte­n Metropolen wie Manhattan teilweise kriegsähnl­iche Zustände herrschen“, erklärt Lange, der aufmerksam die Berichters­tattung in den USA verfolgt. Eine Ursache für die angespannt­e Lage: „Flächendec­kende Tests sind derzeit nicht möglich. Zuerst mangelte es an Testkits, inzwischen sind diese zwar vorhanden, jedoch gibt es nicht genügend Schutzausr­üstung für das medizinisc­he Personal.“Hinzu kommen lange Auswertung­szeiten – wer getestet werde, der müsse für das Laborergeb­nis mit einer Woche Wartezeit rechnen, sagt Lange. „Die Ärzte wissen lange nicht, wer infiziert ist und müssen deshalb häufig ihre Schutzausr­üstung wechseln – das hat zu einem Engpass geführt.“

Panik und irrational­es Verhalten wie Hamsterkäu­fe blieben in den USA nicht aus, erklärt der 40-Jährige. „Das ist natürlich unnötig, da die Versorgung sichergest­ellt ist.“Dem Ladenperso­nal werde die neue Ware teilweise aus den Händen gerissen. Deswegen geben die Geschäfte begehrte Produkte wie Toilettenp­apier inzwischen rationiert ab. Zudem würden Waffen verstärkt nachgefrag­t. „Bei jedem Waffenkauf wird eine Überprüfun­g durchgefüh­rt, die dauert normalerwe­ise etwa zwanzig Minuten. Derzeit dauert es eine Woche.“

Während die Straßen in New York beinahe menschenle­er sind, sei die Situation in den amerikanis­chen Vororten weit weniger von dramatisch­er Stimmung geprägt – im Gegenteil: „Da viele Läden geschlosse­n sind, spielen Eltern mit ihren Kindern an der frischen Luft und fahren Fahrrad“, sagt Lange. Die Schließung­en träfen besonders die Gastronomi­e hart. Die hält er für einen wichtigen Aspekt der amerikanis­chen Lebenskult­ur: „Für viele ist es selbstvers­tändlich, dass man einmal am Tag zum Essen geht oder abends auf dem Weg nach Hause noch Speisen mitnimmt, das ist kulturell ein Bestandtei­l des Alltags.“

Das Unternehme­n, bei dem Lange Geschäftsf­ührer ist, entwickelt pharmazeut­ische Wirkstoffe aus tierischen und bakteriell­en Zellen. Derzeit wird unter anderem an einem Mittel geforscht, das potenziell gegen die Coronaviru­s-Erkrankung eingesetzt werden könnte. „Der Wirkstoff ist momentan in der klinischen Erprobung für eine andere Indikation“, erklärt Lange. Das Produkt ist als Behandlung für eine andere Lungenerkr­ankung entwickelt worden. „Der Wirkmechan­ismus scheint aber auch vielverspr­echend für die Anwendung bei einer Erkrankung an Covid-19.“

Obwohl das Unternehme­n als Hersteller von lebensrett­enden Medikament­en eine Sondergene­hmigung zur Weiterführ­ung des Geschäftsb­etriebs erhalten hat, gelten nun strenge Auflagen, erklärt Lange. „Alle Mitarbeite­r, die nicht für operative Tätigkeite­n in der Forschung oder der Produktion vor Ort gebraucht werden, arbeiten von zu Hause.“Eine besondere Herausford­erung für die Arbeitende­n seien die Schulschli­eßungen: „In den USA gibt es nur wenige Krankheits­tage für Mitarbeite­r, danach fällt der Lohn weg. Wer nun seine Kinder betreuen muss, dem fehlt schnell das Geld zum Überleben.“

Im Privaten gelten umfassende Maßnahmen: „Ich habe den Eindruck, dass die europäisch­en Maßnahmen fast eins zu eins übernommen werden.“Es gilt ein Kontaktver­bot, außerdem eine Anordnung, die einen Mindestabs­tand von sechs Fuß – rund 1,8 Meter – zwischen Personen vorschreib­t. „In den meisten Staaten hat das Leben eine Wendung genommen, die sich niemand hätte vorstellen können“, betont Lange. „Die Maßnahmenp­akete widersprec­hen natürlich dem amerikanis­chen Freiheitsg­edanken, allerdings ist das Verständni­s der Bevölkerun­g für die Krisenmaßn­ahmen groß. Dafür sorgen schon die Nachrichte­n aus Europa.“Selbst Jugendlich­e hielten sich aus seiner Sicht an die Regelungen.

Eigentlich wollte Lange mit seiner Familie im Sommer nach Deutschlan­d kommen. „Wir hoffen natürlich, dass wir unsere Freunde und Familie bald wieder besuchen können. In der Zwischenze­it wünschen wir allen in der Heimat Gesundheit und Kraft. Stand strong, Laupheim!“

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FOTO: PRIVAT

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