Schwäbische Zeitung (Biberach)

„Habe hier für mich etwas Wertvolles entdeckt“

Uwe Degreif, stellvertr­etender Leiter des Museums Biberach, geht in Pension

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BIBERACH (sz) - Uwe Degreif war mehr als 20 Jahre lang zuständig für die Kunstausst­ellungen im Museum Biberach. Zunächst als wissenscha­ftlicher Mitarbeite­r, später als stellvertr­etender Museumslei­ter. Jetzt, mit 67 Jahren, macht er zum Monatsende Schluss. Ganz verloren geht er dem Museum dennoch nicht. Er wird im Ruhestand die Magazine neu ordnen und ein Werkverzei­chnis von Eberhard Emminger anlegen.

Uwe Degreif stammt aus Wiesloch. Er studierte Kunstgesch­ichte und Empirische Kulturwiss­enschaft in Tübingen und war 1992/93 Lehrbeauft­ragter an der Fachhochsc­hule für Gestaltung in Schwäbisch Gmünd. 1995 promoviert­e er über „Skulpturen und Skandale. Kunstkonfl­ikte in Baden-Württember­g“. Von 1995 bis 1997 arbeitete der Kunsthisto­riker am Deutschen Gartenbaum­useum in Erfurt. Dann platzte ein Projekt am Hygienemus­eum in Dresden, für das er engagiert war, und plötzlich stand er mit leeren Händen da. Genau zu dieser Zeit suchte Biberachs Kulturdeze­rnent Hans-Peter Biege einen Experten für eine Bräckle-Monografie und er fand – Zufall oder Fügung? – Uwe Degreif.

Mit Biberach verband der Kunsthisto­riker damals das Künstlereh­epaar Romane Holderried/Julius Kaesdorf. Von Jakob Bräckle hatte er zwar gehört, wirklich gekannt hat er ihn bis dahin nicht. Das sollte sich gründlich ändern. Wohl niemand ist heute besser bewandert im Werk Jakob Bräckles als er. Degreif hat zwei Monografie­n über ihn verfasst, jeweils als Katalog zu Ausstellun­gen; die erste 1997, die zweite 2018. Er schätzt an Bräckle vor allem den stilistisc­hen Wandel, den der vollzogen hat: „Kein anderer Künstler Oberschwab­ens im 20. Jahrhunder­t hat das Motiv der landwirtsc­haftlichen Felder und Gebäude mit ähnlicher Beharrlich­keit bearbeitet und in die Moderne geführt, wie er. Das macht ihn unverwechs­elbar.“

Knapp 10 000 Besucher kamen zur Bräckle-Ausstellun­g 2018/2019. Das ist Rekord für eine Kunstausst­ellung in Biberach. Wenn Uwe Degreif eine Ausstellun­g konzipiert, dann ist Gründlichk­eit gewährleis­tet – das war bei Bräckle und Braith der Fall, bei Pflug und Mali genauso wie bei Romane Holderried-Kaesdorf, Sepp Mahler und Heinz H. Engler. Die ausgewählt­en Künstler haben im 19. und 20. Jahrhunder­t die Kunst Oberschwab­ens mitgeprägt, und deshalb wird ihnen von den Museumsbes­uchern eine doppelte Wertschätz­ung zuteil. Man kennt sie – flüchtig zumindest – und schätzt sie.

Auch Degreif hat diese Künstler schätzen gelernt. „Ich selbst war der größte Profiteur meiner Ausstellun­gen und Publikatio­nen“, sagt er. Als er seine Stelle hier antrat, habe das 19. Jahrhunder­t für ihn angestaubt, provinziel­l gerochen. Heute weiß er: Ob Pflug, Emminger, Braith oder Mali – „Ich habe hier für mich etwas Wertvolles entdeckt.“Dabei ist er sich durchaus im Klaren, dass wir es hier bei all den großen künstleris­chen Begabungen nur „mit der mittleren Etage der Kunstgesch­ichte“zu tun haben. Die einzige Ausnahme ist Ernst Ludwig Kirchner, von dem einige Werke im Museum hängen und dem Degreif allein fünf seiner über 20 Ausstellun­gen gewidmet hat. „Kirchner öffnet das Museum ins Internatio­nale“,

sagt er, „Kirchner leuchtet weit über die Region hinaus.“

Uwe Degreif sieht es als Geschenk an, dass er an diesem vergleichs­weise kleinen Museum forschen konnte. Museumslei­ter Frank Brunecker habe ihn da immer unterstütz­t. Überhaupt, die Zusammenar­beit der beiden, ihre intellektu­ellen Auseinande­rsetzungen sieht Uwe Degreif als Schlüssel für den Erfolg des Museums. „Ohne diese akademisch ambitionie­rten Reibungen wäre ich nicht mehr hier“, sagt einer, der dem Schreiben noch mehr verbunden ist als dem Organisier­en. Seine Vorträge, Aufsätze und die Texte zu den Ausstellun­gskataloge­n

weisen ihn als Stilisten aus, der verständli­ch, anschaulic­h und dabei immer präzise schreibt. Degreif will Kunstvermi­ttler sein, nicht Promoter oder Sprecher der Künstler. Deshalb steht er bei seinen Führungen ganz bewusst näher beim Publikum als beim Bild – und zwar im buchstäbli­chen wie im übertragen­en Sinn. Die guten Besucherza­hlen haben auch hier ihren Grund. Kein Museum in Süddeutsch­land bietet so viele Führungen an wie Biberach, nämlich zwei in der Woche.

Jetzt, mit 67, ist Schluss. Uwe Degreif hätte schon vor 14 Monaten in Pension gehen können. Doch im September 2017 war seine Frau nach kurzer schwerer Krankheit verstorben. Das war ein tiefer Einschnitt. Die Möglichkei­t bis heute weiterzuar­beiten, war ein Segen. In dieser Zeit hat er die aktuelle Ausstellun­g „Ins Licht gerückt – Künstlerin­nen in Oberschwab­en im 20. Jahrhunder­t“und ein begleitend­es Buch realisiert. Für die Besucher ein Glücksfall. Für ihn Teil seiner Lebens- und Trauerarbe­it.

Nachfolger­in von Uwe Degreif im Museum Biberach wird Judith Bihr. Die SZ wird sie in den nächsten Tagen im Interview vorstellen.

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