Schwäbische Zeitung (Biberach)

„Es bringt alle näher zusammen“

Francesca Pietrogran­de berichtet von ihrem Leben in Corona-Zeiten in Italien

- Von Jule Pösl

BIBERACH/IVREA - „Es ist nicht das Virus, das heftig ist, sondern die Situation, die es verursacht“, sagt Francesca Pietrogran­de. Sie ist 18 Jahre alt und lebt mit ihrer Familie in Ivrea, einer italienisc­hen Kleinstadt im Piemont, ungefähr so groß wie Biberach mit 24 000 Einwohnern.

Sie sei froh, nicht in Mailand zu leben, dort gebe es viel mehr Infizierte. Dort „hätte ich Angst um mein Leben“. 2019 ging sie in NeuUlm zur Schule. Eigentlich wollte sie nach China für ein Praktikum, aber dann durfte sie dort nicht mehr hinfliegen. Sie wollte zurück nach Deutschlan­d, um dort zu arbeiten. Dann durfte sie Italien jedoch nicht mehr verlassen, dann ihre Region nicht und jetzt darf sie nicht mehr aus Ivrea heraus.

Es habe vor zwei Wochen begonnen, sich zu verschärfe­n. Es gebe keine Nachtzüge mehr und alles sei geschlosse­n außer den Supermärkt­en und den Apotheken. Und obwohl die Supermärkt­e offen sind, sei es anders. Es dauere Stunden, denn nur eine begrenzte Anzahl von Menschen darf sich innerhalb des Ladens aufhalten. Die Kassierer würden Schutzmask­en tragen, um das Obst anzufassen, gebe es Handschuhe und auf dem Boden seien Linien aufgezeich­net, um den Sicherheit­sabstand zu anderen Kunden einhalten zu können.

„Jeder geht in den Wäldern spazieren“, sagt sie. „Es ist das Einzige, das wir noch machen können.“Obwohl sie sich nicht einmal ganz sicher sei, ob das noch erlaubt ist. Die Parks seien geschlosse­n und viele könnten nicht mehr arbeiten gehen. „Meine Stadt war nie sehr voll, hier war es nie überfüllt. Als die Schulen geschlosse­n wurden, haben sich die Menschen trotzdem noch getroffen, aber als die Zahl der Infizierte­n weiterhin anstieg, hat sich das verändert.“Sie sagt, dass ihr Haus neben einer Hauptstraß­e liege, auf der immer viel Verkehr sei – jetzt sei es meistens still.

Wenn sie das Haus verlässt, trägt sie eine Schutzmask­e. „In Italien gibt es keine Masken mehr, entweder du hast Glück und hast von irgendwo welche herbekomme­n oder du trägst eben keine.“Auch an Desinfekti­onsmittel zu kommen, sei nicht mehr so leicht. Vor einer Woche seien Flaschen für 60 Euro über das Internet versteiger­t worden.

„Ich will nicht pessimisti­sch klingen, aber ich glaube die Zahlen werden noch weiter ansteigen.“Am Anfang sah sie das Virus nicht als problemati­sch, sagt Pietrogran­de. Sie dachte, es würde Europa nicht erreichen, jetzt hat sie ihre Meinung jedoch geändert. Seit dem 27. Februar sind die Schulen geschlosse­n. „Wir haben es als Ferien gesehen. Meine Freunde haben sich gefreut, nicht mehr in die Schule zu müssen. Aber dann dachten sie, sie hätten das Virus. Ich habe meine Freunde jetzt seit vier Wochen nicht mehr gesehen.“

Sie mache sich selbst keine Sorgen, die Krankheit zu bekommen, aber sie mache sich Sorgen um ihre Familie. Sie sagt, sie habe Glück und keinerlei Krankheite­n, die sie gefährden können. Ihr kleiner Bruder habe jedoch Asthma und deswegen erledige sie die Einkäufe für die ganze Familie. Sie sei beunruhigt. „Es ist wie ein Krieg. Jeder bereitet sich vor wie auf einen Krieg. Meine Großmutter hat ihr Haus seit einem Monat nicht mehr verlassen. Jeder ist irgendwie besorgt.“

Sie mache sich auch Sorgen um die wirtschaft­liche Situation des Landes. „Die Wirtschaft in Italien war hier schon davor schlecht und jetzt können zusätzlich viele nicht mehr arbeiten gehen und haben keine Möglichkei­t, Geld zu verdienen.“

„Du denkst, dein ganzes Leben besteht nur noch aus dem Virus.“Sie sagt, dass es auch in den Medien nur um das Virus gehe. „Wir sind alle nur zu Hause und schauen uns die neuen Zahlen an.“Trotzdem gebe es an der Situation auch eine gute Seite. „Es bringt alle näher zusammen. Ich habe viel mehr Kontakt zu Leuten über Skype oder Face Time, mit denen ich normalerwe­ise nicht so viel sprechen würde“, sagt Pietrogran­de. Vor Kurzem habe sie mit ihrer Familie in Venedig zusammen gebacken. „Über einen Videoanruf waren wir verbunden und haben zur gleichen Zeit den gleichen Kuchen gemacht – obwohl wir nicht am gleichen Ort waren.“

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FOTO: PRIVAT

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