Schwäbische Zeitung (Biberach)
Zwischen Blödelei und Ernst der Lage
Gottschalk, Jauch und Pocher zeigen mit „Quarantäne-WG“, dass Unterhaltung in Zeiten von Corona schwierig ist
RAVENSBURG - Deutschland, März 2020. Das Leben fühlt sich an, als sei man über Nacht in einem schlechten Science-Fiction-Film gelandet. Und während die Corona-Krise die Welt aus den Angeln hebt, skypen die drei TV-Moderatoren Oliver Pocher – selbst an Corona erkrankt –, Thomas Gottschalk und Günther Jauch miteinander. Willkommen in der „Quarantäne-WG“bei RTL.
Thomas Gottschalk bewahrt sich seinen notorischen Kalauer-Humor. Weil die kurzfristig angesetzte Sendung bei ihrer ersten Folge am Montagabend 3,27 Millionen Zuschauer erreicht hat, flachst der 69-Jährige in Richtung Günther Jauch: „Marktführer bei der jugendlichen Zielgruppe – das muss an uns liegen.“Seine „Früher-war-alles-besser“-Koketterie ist bekannt. Inzwischen ist man geneigt, ihm zuzustimmen. Wer wünscht sich angesichts der Schlagzeilen nicht die Zeit zurück, in der die bundesweite Debatte um Tom Hanks’ Auftritt bei „Wetten, dass..?“2012 noch das Aufregendste war, was der Alltag hergab?
Oliver Pocher war nie der tiefgründigste Comedian und wird das auch in der Skype-Konferenz nicht, die jetzt täglich um 20.15 Uhr zu sehen ist. Etwa wenn sich das Gesundheitsamt nach seinem Zustand erkundigt und er scherzhaft zur Antwort gibt, er sei Eis essen gewesen. Seine Ehefrau Amira ist mit dem Coronavirus infiziert, wie die beiden vergangene Woche bekannt gaben. Auch Pocher selbst ist erkrankt und hat mehrere Videos veröffentlicht, in denen er Sorg- und Verantwortungslosigkeit geißelt. Als einer der prominentesten Mahner erreicht er derzeit über soziale Medien Millionen Menschen. Die Reaktionen im Netz schwanken zwischen Zustimmung und Widerspruch. Am Montag sei sein vermeintlich schlechtester Tag gewesen, sagt Patient Pocher, ansonsten wirkt der 42-Jährige gefasst, schwankend zwischen Blödelei und Ernst der Lage. So wie die ganze Sendung, für die RTL seine Erfolgsformate wie „Let’s Dance“um eine Stunde nach hinten verschiebt.
Günther Jauch erzählt aus seinem Kölner Büro, wie es ist, „Wer wird Millionär?“in Zeiten von Corona zu produzieren. Die Erfolgssendung läuft seit 1999 und hat somit historische Ereignisse wie den 11. September „miterlebt“. Die Folgen ab April finden ohne Zuschauer statt. „Der Atmosphäre und dem Witz tut das keinen Abbruch“, sagt der 63-Jährige. Sympathisch und staatsmännisch wie immer, stellt er teilweise gute
Fragen, aber auch das ändert nichts am etwas konfusen Eindruck dieser digitalen Promi-Zusammenkunft.
Zum Konzept der Show gehört, dass Gäste reinskypen. Am Dienstag ist Toni Kroos dabei. Der Real-Madrid-Star ist mit seiner Frau und den Kindern in der spanischen Hauptstadt. „Man vermisst den Alltag, aber ich versuche das Positive zu sehen“, sagt der 30-Jährige auf die Zuschauerfrage, was ihm am meisten fehle. Jauch will von ihm wissen, wie die Lage in Spanien ist. „Die Ausgangssperre ist der richtige Weg“, sagt der deutsche Nationalspieler, es sei wichtig, so früh wie möglich einzudämmen. Es geht um Spenden und Spielabsagen,
um Fitness in den eigenen vier Wänden („Was man nicht ersetzen kann, ist das Mannschaftstraining“), doch bevor es zu inhaltlich wird, erkundigt sich Gottschalk, ob Kroos die weiße Wand im Hintergrund noch tapezieren wird.
Ihre stärksten Momente hat die Sendung, als sich Michelle Hunziker, frühere Moderationskollegin von Gottschalk, zuschaltet. Sie ist in Bergamo, einer der am heftigsten betroffenen Städte in Italien, wo täglich Hunderte Menschen sterben, teilweise allein zu Hause, wie sie schildert. „Ich hätte nie gedacht, dass das in meinem Leben passieren würde, aber ich hab meine Kinder und meinen
Mann, da muss man positiv eingestellt bleiben“, sagt die 43-Jährige, deren Mann aus der Stadt in der Lombardei stammt. Die harte Realität prallt auf das beschauliche Wohnzimmer-Gefühl.
Unterhaltung in Zeiten von Corona – ein extrem schwieriges Unterfangen. Andere Sender planen ähnliche Formate. Bei Sat.1 sind am Donnerstag per Video zugeschaltete „Promis in Quarantäne” zu sehen. Im Studio sitzen nur Schaufensterpuppen, an deren Köpfen Tablets befestigt sind. Darauf können sich Zuschauer zuschalten. Wie gesagt: ein schlechter Science-Fiction-Film.