Schwäbische Zeitung (Biberach)
In Afrika greift das Virus die Ärmsten an
Südlich der Sahara sind die meisten Menschen einem Ausbreiten von Covid-19 schutzlos ausgeliefert
Früher hatten Europäer Angst vor Epidemien, die in Afrika ihren Ursprung hatten – jetzt ist es umgekehrt. Europa, China und die USA sind die Seuchenherde, die Afrika bedrohen. Bislang noch in überschaubarem Ausmaß. Mehr als 40 Länder melden Erkrankungen, mehr als 1000 Menschen gelten inzwischen als infiziert, für mindestens 17 war das Virus tödlich. Doch für den Kontinent gilt Vovid-19 als tickende Zeitbombe.
„Tatsächlich sind die Fallzahlen noch gering“, meint Simone Pott, Sprecherin der deutschen Welthungerhilfe. „Das kann daran liegen, dass noch nicht viele Tests gemacht werden können. Es kann aber auch sein, dass bisher tatsächlich wenig Menschen infiziert sind. Das weiß einfach niemand.“Fünf Labore für Corona-Tests existieren mittlerweile allein in Nigeria. Im Januar waren es in ganz Afrika zwei.
Schon die Hygieneempfehlungen sind für viele Menschen in Afrika ein Problem. Sie haben keinen Zugang zu fließendem Wasser – ein regelmäßiges Händewaschen wird da illusorisch. Das Händewaschen sei „vor allem in ländlichen Regionen, wo Zugang zu Seife und Wasser ein Problem sein könnte, eine der Herausforderungen“, sagte Michel Yao, der Leiter der Notfall-Programme der WHO in Afrika.
Auch ein Abstand zu anderen Menschen ist in Afrika kaum wie in Europa umzusetzen. „Die sozioökonomischen Umstände vieler Afrikaner, vor allem in den Städten, macht social distancing (…) zu einer großen Herausforderung“, sagt die WHOChefin in Afrika, Matshidiso Moeti. Viele Menschen leben auf engstem Raum. Etwa haben nach Schätzungen
von UN-Habitat im kenianischen Kibera, einem der größten städtischen Slums der Welt, zwischen 500 000 und 700 000 Menschen ihr Zuhause. Sie wohnen in kleinen Hütten, die sich oft etliche Familienmitglieder teilen. Wenige haben ihre eigene Toilette.
Von zu Hause aus zu arbeiten, ist in Ländern mit einer großen informellen Wirtschaft kaum möglich. Für Obstverkäuferinnen, Bauarbeiter oder Handwerker kommt so etwas nicht infrage: Allein in Südafrika quetschen sich täglich etwa 16 Millionen Menschen auf dem Weg zur Arbeit in die vollgestopften MinibusTaxen. Das morgendliche Sprayen an den Taxiständen mit Desinfektionsmitteln hilft da nur wenig.
An Zwangsmaßnahmen fehlt es nicht. In Ruanda oder im Senegal haben die Behörden öffentliche Veranstaltungen untersagt. In Südafrika wurde der Notstand ausgerufen. Kenia lässt keine Menschen einreisen, die aus Ländern mit Corona-Infektionen kommen. Andere Länder handeln ähnlich.
Südafrikas Präsident Cyril Ramaphosa spricht schon jetzt von einer „nationalen Katastrophe“. Und fast überall in Afrika hegt man schlimme Befürchtungen. WelthungerhilfeSprecherin Pott versteht das gut. „Die meisten afrikanischen Länder sind auf eine solche Epidemie nicht vorbereitet. Nur Länder wie die Demokratische Republik Kongo, Sierra Leone oder Liberia haben wegen Ebola Erfahrungen gesammelt.“
Erst kürzlich wurde die vorerst letzte Ebola-Patientin in der ostkongolesischen Stadt Beni als geheilt entlassen. Noch gibt es keine offizielle Entwarnung. Louis Dorvilier, Landesdirektor der Welthungerhilfe im Kongo, spricht trotzdem von „großartigen Neuigkeiten, wenn ausgerechnet während der Covid-19-Krise der Sieg über Ebola verkündet würde“. Das könne, wenn es denn endgültig feststeht, „auch außerhalb der Demokratischen Republik Kongo Hoffnung geben“. Gleichzeitig verweist Dorvilier auf das völlig desolate Gesundheitssystem im Kongo.
Einer der Gründe, warum Corona in Afrika möglicherweise später entdeckt wird als anderswo, ist Malaria. Am Anfang ähneln sich die Symptome. Andere Begründungen für die bislang geringen Fallzahlen sind: der verhältnismäßig geringe globale Austausch von Waren, Dienstleistungen und Menschen, die sehr junge Bevölkerung und die routinierten Seuchenbekämpfungsmaßnahmen. Trotzdem ist auch klar: Ein CoronaAusbruch würde die afrikanischen Gesundheitssysteme völlig überfordern. Alles fehlt: Intensivbetten, Ärzte, Krankenschwestern, Atemgeräte. Malawi etwa hält nach Angaben des nationalen „Medical Journals“in seinen Hospitälern gerade mal eine zweistellige Zahl von Notfallbetten vor – bei 18 Millionen Einwohnern. Andere Länder wie Kamerun oder Kongo haben Konflikte auf ihrem Staatsgebiet, was die Gesundheitsvorsorge erschwert. China hat zwar einigen Staaten logistische Hilfe angeboten, kämpft aber selber mit dem Virus und seinen Folgen.
Bei alledem ist die Sorge groß, dass die Menschen in Afrika womöglich mehr gefährdet sind als die Bewohner anderer Regionen. „Wir haben eine jüngere Bevölkerung als viele Länder, die von diesem Ausbruch betroffen sind“, sagt WHOAfrikachefin Moeti. „Aber uns muss klar sein, dass es unter den jungen Menschen in Afrika in manchen Gegenden eine hohe HIV-Rate gibt.“Diese Menschen könnten demnach wegen schwächerer Immunsysteme anfälliger sein. Zudem seien die Unterernährung und die Zahl von Vorerkrankungen in Afrika sehr hoch.