Schwäbische Zeitung (Biberach)
Die doppelte Krise der Autoindustrie
Wolf-Henning Scheider, der Chef des Autozulieferers ZF, setzt auf die Kombination aus Elektro- und Verbrennungsmotor. Wenn das Produkt seine Kunden findet, könnte dem Traditionskonzern Zeit bleiben, um die Produktion nach und nach umzubauen. Und Zeit ist es, was Wolf-Henning Scheider und all seine Kollegen in den Vorstandsetagen der Automobilindustrie brauchen: Zeit, um behäbige Konzerne, die jahrzehntelang alles auf den Verbrennungsmotor ausgerichtet haben, auf die Ära der Elektromobilität einzustellen.
In diesem Zusammenhang ist es auch müßig zu fragen, ob die Industrie die Zeitenwende verschlafen, die Politik die falschen Leitplanken gesetzt oder Volkswagen die gesamte Branche mit dem Dieselbetrug an den Rand des Abgrunds geführt hat. Klar ist nämlich: Die Konzerne haben die Zeit nicht. Denn zur Mammutaufgabe der Transformation kommt eine Konjunkturkrise, die US-Präsident Donald Trump mit dem Handelskrieg gegen China ausgelöst und die Großbritannien mit seinen Irrungen und Wirrungen um den Brexit noch verstärkt hat.
In Zeiten, in denen die Konzerne eine stabile Konjunktur bräuchten, um neue Produkte zu entwickeln und zu investieren, bricht der Absatz ein – und fast täglich kommen neue Negativmeldungen hinzu. In dieser Woche war es Bosch. Davor haben Mahle, Weber, ZF, Marquardt, Continental, Daimler und Audi ihre Belegschaften aufgeschreckt. Weit mehr als hunderttausend der geschätzt 800 000 bis 900 000 Arbeitsplätze stehen auf dem Spiel.
Die doppelte Krise aus Konjunkturabschwung und Transformationsherausforderung ist deshalb so gefährlich, weil staatliche Instrumente wie Kurzarbeit, die Deutschlands Leitindustrie vor zehn Jahren so gut durch die Finanzkrise gebracht hatten, nun nicht mehr greifen: Denn nach der Transformation werden viele Menschen nicht mehr gebraucht, weil sich ein Elektromotor eben einfacher bauen lässt. Die Kurzarbeit muss deshalb mit Qualifizierungselementen kombiniert werden, damit die Arbeiter, die am Ende keine Autos mehr produzieren, in anderen Branchen unterkommen.
b.wagener@schwaebische.de