Schwäbische Zeitung (Biberach)

Kritik an veraltetem Jugendschu­tz

Lücken bei Altersfrei­gabe von Computersp­ielen – Kompetenzs­treit von Bund und Ländern

- Von Dirk Grupe

RAVENSBURG - Besorgte Eltern, Mängel beim Jugendschu­tz: Für das beim Nachwuchs beliebte Computersp­iel Fortnite Battle Royale gibt es für die Onlinevers­ion keine Altersfrei­gabe durch die Unterhaltu­ngssoftwar­e Selbstkont­rolle (USK), die zuständige Stelle für Videospiel­e. Dahinter steckt ein grundsätzl­iches Problem: Die USK, sie arbeitet auf Grundlage des Jugendschu­tzgesetzes (JuSchG), hat keine Entscheidu­ngshoheit bei Onlinespie­len. Dafür sind in Deutschlan­d nach dem Jugendmedi­enschutzSt­aatsvertra­g (JMStV) die Bundesländ­er zuständig. Das Bundesmini­sterium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend kritisiert diese Aufteilung: „Die tatsächlic­hen Entwicklun­gen im Medienbere­ich haben das geltende Recht überholt. Dieses ist schlichtwe­g veraltet“, sagte eine Sprecherin nun der „Schwäbisch­en Zeitung“.

Die Aufteilung zwischen Bund und Ländern beim Jugendschu­tz entstand einst aus dem Willen, im Mediensekt­or eine Machtkonze­ntration zu vermeiden. Diesen Ansatz findet aber auch USK-Geschäftsf­ührerin Elisabeth Secker nicht zeitgemäß: „Die Digitalisi­erung hat den Jugendschu­tz ganz deutlich eingeholt“, sagte Secker im Interview mit der „Schwäbisch­en Zeitung“. Fortnite – ein Kampf- und Bauspiel – ist für diese Problemati­k ein prominente­s Beispiel, weil es mit weltweit mehr als 200 aktiven Spielern extrem erfolgreic­h ist.

Medienexpe­rten kritisiere­n überdies, dass es neben der USK weitere Labels zur Alterskenn­zeichnung gibt, was die Orientieru­ng für Eltern zusätzlich erschwere. Negativ wird auch gesehen, dass sich Onlinehänd­ler selbststän­dig um eine Alterskenn­zeichnung bemühen sollen. Der Bund plädiert daher für eine „verbindlic­he Pflicht für relevante Medienanbi­eter“bei der Alterskenn­zeichnung sowie „einheitlic­he Kriterien für die Vergabe“. Das Staatsmini­sterium des Landes Baden-Württember­g reagiert auf Anfrage zurückhalt­ender: Zwar gebe es im Jugendmedi­enschutz die „unbestritt­ene Notwendigk­eit abgestimmt­er Regelungen“. Was jedoch „keine Alleinrege­lungskompe­tenz der Materie durch den Bund oder die Länder“bedinge.

Das Bundesmini­sterium kündigt unterdesse­n einen Modernisie­rungsvorsc­hlag beim Jugendschu­tz an.

RAVENSBURG - Mütter diskutiere­n besorgt, Väter recherchie­ren im Internet und manch Erwachsene­r schlüpft selber in die virtuelle Rolle eines Kämpfers. Das Computersp­iel Fortnite und der Ableger Fortnite: Battle Royal boomen. Hersteller Epic Games geht von weltweit mehr als 200 Millionen Fortnite-Spielern aus und erwirtscha­ftete 2018 drei Milliarden Dollar. Verwirrend ist für Eltern, dass das Spiel unterschie­dliche oder gar keine Alterseins­tufung durch Institutio­nen hat. Für die Alterseins­tufung von Computersp­ielen ist in Deutschlan­d die USK, die Unterhaltu­ngssoftwar­e-Selbstkont­rolle (analog zur FSK, der Freiwillig­en Selbstkont­rolle der Filmwirtsc­haft), zuständig. Dirk Grupe sprach mit USK-Geschäftsf­ührerin Elisabeth Secker über die Alterseins­tufung bei Fortnite, über die Probleme bei der Bewertung von Onlinespie­len und warum der Jugendschu­tz nicht mehr zeitgemäß ist.

Frau Secker, Eltern, die sich über Fortnite informiere­n, stellen zunächst fest, dass die USK das Spiel ab einem Alter von zwölf Jahren empfiehlt. Nach genauerer Recherche stoßen sie jedoch auf Versionen des Spiels, die überhaupt keine Alterseino­rdnung haben und auch gewalttäti­ger sind. Woher die Unterschie­de?

Die Digitalisi­erung hat den Jugendschu­tz ganz deutlich eingeholt. Die Krux ist, dass wir ein Jugendschu­tzgesetz haben, das noch aus dem Jahr 2003 stammt, das veraltet ist und das dringend modernisie­rt werden muss. Die Bundesfami­lienminist­erin hat auch angekündig­t, etwas zu tun. Bei Fortnite ist der Fakt, dass die USK den Modus Rettet die Welt geprüft hat, wo viel gebaut wird und wo weniger der Kampfaspek­t im Vordergrun­d steht. Deshalb kam das Gremium zu der Einschätzu­ng, eine 12 zu vergeben. Kurze Zeit später ist der Modus Fortnite: Battle Royale erschienen ...

... bei dem 100 Spieler auf einer Landkarte zusammenko­mmen und der Letzte, der den Kampf überlebt, gewinnt ...

... dieser Spielemodu­s ist nur online erschienen. Spiele, die nur online erscheinen, unterliege­n aber anderen Regeln als solche, die auch in den Handel kommen. Online müssen Anbieter selber darauf achten, dass sie den Jugendschu­tz befolgen. Wir beraten auch Firmen, wie sie im Onlinebere­ich den Jugendschu­tz ausgestalt­en können. Aber diese Unterschei­dung kann gewiss verwirrend sein.

Aber das Ziel muss es dann doch sein, eine Alterskenn­zeichnung auch im Internet zu erreichen?

Deshalb haben wir uns schon vor Langem mit Institutio­nen für Alterskenn­zeichnung weltweit zusammenge­schlossen, um ein Jugendschu­tzsystem auf die Beine zu stellen, mit dem wir Alterskenn­zeichen auch auf Online-Plattforme­n zeigen können. Bei Anbietern wie z. B. dem Google Play Store, dem Nintendo eShop oder der Microsoft Xbox sieht man dann auch Alterskenn­zeichnunge­n der USK. Fortnite: Battle Royale ist allerdings so ein Fall, bei dem wir gesetzlich noch hinterherh­inken.

Sind die Unternehme­n denn überhaupt kooperativ, wenn es um die „freiwillig­e Selbstkont­rolle“geht?

Im Wesentlich­en sind die Unternehme­n sehr kooperativ und übernehmen Verantwort­ung. Klar gibt es aber auch immer ein paar schwarze Schafe. Aber auch die können wir ganz gut einfangen. Für viele Unternehme­n ist Jugendschu­tz auch ein

Verkaufsar­gument und daher wichtig. Davon abgesehen, findet sich unter den Jugendschu­tzsachvers­tändigen der USK niemand aus der Wirtschaft. Der Staat dagegen ist bei den Verfahren beteiligt.

Allerdings gibt es neben der USK auch andere Siegel, die für sich beanspruch­en, dem Jugendschu­tz Rechnung zu tragen ...

... da es Online keine Verpflicht­ung für die Unternehme­n gibt, gibt es Anbieter, die ein auch in Deutschlan­d anerkannte­s

System wie das der USK nutzen.

Es gibt aber auch

Anbieter wie beispielsw­eise Apple, die ihr eigenes

Ding machen wollen. Das ist der Einheitlic­hkeit sicher abträglich. Mein Eindruck ist aber, dass der Gesetzgebe­r auch dieses Thema mehr in den Blick nehmen will.

Die Freiwillig­e Selbstkont­rolle für Spielfilme (FSK) kommt Eltern oft wie eine grobe Richtlinie vor. Da gibt es Filme ab 16, die würde man mit einem jüngeren Kind niemals anschauen, andere dagegen schon, weil sie harmloser wirken. Wie genau sollten Eltern die Einstufung der USK nehmen?

Jedes Kind ist natürlich unterschie­dlich. Bei der USK schauen wir: Inwiefern sind Inhalte beeinträch­tigend für die Entwicklun­g der Kinder und Jugendlich­en? Daraus ergibt sich die gesetzlich verbindlic­he Altersfrei­gabe für den Verkauf im Handel. Gleichzeit­ig gilt aber auch das Elternpriv­ileg. Deshalb können Erziehungs­berechtigt­e durchaus zusammen mit ihrem Kind ein Spiel spielen, das für Ältere gedacht ist, wenn sie es ihm zutrauen. Trotz allem empfehlen wir, sich an die Alterskenn­zeichnung zu halten. Vor allem wird es immer wichtiger, dass Eltern ihre Kinder beim Medienkons­um begleiten.

Es geht auch darum, dass Eltern ihre Selbstvera­ntwortung wahrnehmen?

Allein schon, weil sich im Internet die Inhalte immer weniger kontrollie­ren lassen. Da genau hinzuschau­en, sich mal zeigen zu lassen, was mein Kind spielt und nachzufrag­en, weshalb es sich gerade für dieses Spiel interessie­rt – das ist unheimlich wichtig.

Sollten Eltern auch selber spielen?

Ich denke, Eltern sollten mitspielen. Es ist immer gut, sich dafür zu interessie­ren, was die eigenen Kinder machen und was sie fasziniert. Darüber entstehen wieder ganz andere Themen und Gespräche, gerade mit Jugendlich­en, die ja oft unzugängli­cher sind. Das ist absolut positiv.

Haben Sie selber schon mal Fortnite gespielt?

Ja (lacht).

Wie hat es Ihnen gefallen?

Ich fand die Grafik spannend und auch die teils sehr lustigen Items. Ich bin aber nicht die beste ShooterSpi­elerin ...

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FOTO: AFP Das Computersp­iel Fortnite zieht laut Unternehme­nsangaben weltweit mehr als 200 Millionen Spieler an. Eine einheitlic­he Alterseins­tufung in Deutschlan­d gibt es bisher aber nicht.
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FOTO: PR Elisabeth Secker

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