Schwäbische Zeitung (Biberach)

Die Geister des alten Japan

Ausstellun­g „Von Zauberwese­n, Ungeheuern & Gespenster­n“im Ulmer Museum

- Von Marcus Golling

ULM - Wenn in Japan die Erde bebt, liegt das an einem riesigen Wels. So jedenfalls glaubten es die Bewohner der Hauptinsel Honshu in der sogenannte­n Edo-Zeit, von 1603 bis 1868. Wenn sich der Fisch bewegt, bewegt sich auch die Erde darüber, so die – schon damals nicht ganz ernst gemeinte – Vorstellun­g der Menschen. Was aber nicht heißt, dass der Wels, japanisch „namazu“, die Japaner in Angst und Schrecken versetzte. Im Gegenteil, er wurde zum Star einer eigenen Gruppe von Farbholzsc­hnitten, den sogenannte­n namazu-e. Und in denen lässt das Riesentier nicht nur die Erde beben: Er marschiert auch bei Umzügen mit oder macht Frauen glücklich.

Der Wels ist einer der eigenwilli­gen Helden der Ausstellun­g „Von Zauberwese­n, Ungeheuern & Gespenster­n“, die das Museum Ulm nun in seinem Grafikkabi­nett zeigt. Kuratiert wurde sie von Hannspeter Kunz aus Sigmaringe­n, dem auch ein Großteil der rund 200 Exponate gehört. Kunz, früher Lehrer von Beruf, sammelt seit rund 40 Jahren die sogenannte­n ukiyo-e, übersetzt „Bilder des vergänglic­hen Lebens“. Und diese zeigen nicht nur Straßensze­nen, schöne Frauen oder Landschaft­en (wie der bekanntest­e japanische Holzschnit­t „Die große Welle vor Kanagawa“von Katsushika Hokusai), sondern eben auch Dämonen und Geisterwes­en.

Die Japaner der Edo-Zeit hatten eine ungewöhnli­che Beziehung zu den seltsamen Geschöpfen, die ihre Mythologie und Geschichte­n bevölkern. Die Wurzeln liegen in der Urreligion Shinto mit ihrer Vielgötter­ei und der Vorstellun­g einer Allbeseelt­heit der Natur, sie hängt aber auch eng mit der Populärkul­tur der EdoZeit zusammen. Unter dem rigiden Militärreg­ime der Tokugawa-Shogune war Japan von der restlichen Welt

fast komplett abgeschirm­t. Zudem wurden sämtliche Adligen des Inselreich­s gezwungen, ihren Wohnsitz in das Fischerdor­f Edo zu verlegen. Dieses, das heutige Tokio, war um 1700 auf rund 1,2 Millionen Einwohner gewachsen – und bot auch dem Bürgertum allerlei Zerstreuun­g. Die wichtigste war das Musik- und Tanztheate­r Kabuki, das sich wiederum besonders oft mit Geistern beschäftig­te. Aus mehreren Gründen: So konnte man über den Umweg der Fabelwesen die strenge inhaltlich­e Zensur umgehen. Und die Spukgeschi­chten,

so erklärt Sammler Kunz, sollten im heißen Sommer der Erfrischun­g dienen: kalter Schauer gegen die Hitze. Die beliebten ukiyo-e waren das Medium, mit dem die Stadtbewoh­ner Erinnerung­en an die Stücke mit nach Hause nehmen konnten. Von manchen der Holzschnit­te seien Hunderte, manchmal Tausende Abzüge verkauft worden. Auf den Blättern sind also häufig nicht Ungeheuer zu sehen, sondern KabukiScha­uspieler in Kostümen.

Die Ausstellun­g im Museum Ulm, die nach der Art der Geister sortiert ist, gibt einen fasziniere­nden Einblick in die Lebens- und Vorstellun­gswelt des alten Japan. Da ringen Samurai mit Monstern, fiese kleine Flussgeist­er, die sogenannte­n kappa, greifen muskulöse Männer an und Ermordete kehren zurück, um sich an ihren Peinigern zu rächen. Doch nicht nur die Motive sind interessan­t, auch die Technik. Fein sind oft die Muster der Gewänder gearbeitet, leuchtend die Farben. Bei den besten Blättern, den ersten Abzügen, könne man sogar noch die Maserung des Holzes, mit dem sie gedruckt wurden, erkennen.

Kein Wunder also, dass die ukiyo-e bis heute Einfluss auf Kreative haben – vor allem auf japanische Comics (Manga) und Zeichentri­ckfilme (Anime). Im zweiten Geschoss der Ausstellun­g haben Besucher die Chance, anhand von Original-Zeichnunge­n und Zelluloid (unter anderem aus „Prinzessin Mononoke“des Studio Ghibli) dieser Entwicklun­gslinie nachzuspür­en, wobei das Thema Geister dabei etwas in den Hintergrun­d gerät.

Van Gogh inspiriert

Aber auch europäisch­e Künstler des 19. und frühen 20. Jahrhunder­ts waren von den japanische­n Drucken hingerisse­n und inspiriert, darunter Vincent van Gogh, Paul Gauguin und James Ensor. Ihre Bilder hängen freilich nicht in der Ausstellun­g. Dafür würdigt das Neu-Ulmer EdwinSchar­ff-Museum derzeit dem böhmischen Japonisten Emil Orlik eine eigene Schau, bei der auch originale Farbholzsc­hnitte aus dem Land der aufgehende­n Sonne zu sehen sind. Japan-Freunde in Ulm und Neu-Ulm brauchen derzeit keine Gespenster, um aufgeregt zu sein.

Die Ausstellun­g „Von Zauberwese­n, Ungeheuern & Gespenster­n“läuft bis zum 14. Februar.

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FOTO: GALERIE-UKIYO-E-GALLERY-HANNSPE Eine Szene aus dem Kabuki-Theater: In diesem Holzschnit­t von Ichikawa Kodanji aus dem Jahr 1851 verkörpert der Schauspiel­er Ichikawa Kodanji IV. den Geist Asukara Togo. Die Theaterbil­der waren beliebte Erinnerung­sartikel.

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