Schwäbische Zeitung (Biberach)
Denkmal für ein Phantom
Lidl-Gründer Dieter Schwarz setzt mit der Experimenta in Heilbronn ein sichtbares Zeichen – und bleibt selbst unsichtbar
„Was die Öffentlichkeit betrifft, hält sich Herr Schwarz sehr zurück, was wir respektieren.“
Antwort der Schwarz-Stiftung auf eine Interviewanfrage
HEILBRONN
- Wer den Spuren von Dieter Schwarz folgt, muss sich an den endlosen Klang von Telefonen gewöhnen, die keiner abnimmt. An das nervtötende Gedudel in Warteschleifen. An Schweigen. Und an Menschen, die den Klang ihrer Stimme ebenso verändern wie den Gesichtsausdruck, wenn sie nach dem sagenhaften Unternehmer, der mit der Gründung von Lidl und Kaufland ein märchenhaftes Milliardenvermögen verdient hat, gefragt werden. So jemand ist auch Bärbel Renner, die als Chefin der Öffentlichkeitsarbeit in Sachen Experimenta Heilbronn, dem unübersehbaren Denkmal der Wissenschaften, Dieter Schwarz natürlich persönlich kennt. Ihn zu kennen, heißt aber offenbar, nichts oder kaum etwas über ihn zu sagen, außer: „Ich habe ihn als außergewöhnlichen und bescheidenen Menschen kennengelernt.“Zurückhaltend im Auftreten, verständig im Umgang. Manchmal lasse er sich auf der gigantischen Baustelle der Experimenta blicken. Dem Projekt, das in der Werbung als „einzigartige Wissensund Erlebniswelt“direkt am Neckar beschrieben wird.
Heute aber nicht, keine Spur von Herrn Schwarz. Heute sind nur ein paar Journalisten da, um sich dieses futuristische Megabauwerk genauer anzusehen. Aber vor der Führung kommt die Powerpoint-Präsentation und damit die visuelle Einstimmung auf ein wissenschaftliches Märchenland, das das überlieferte Credo von Dieter Schwarz, wonach Bildung der Schlüssel zu allen Segnungen unserer Gegenwart sei, in eine Art Kathedrale der Technik übersetzt. Deutschlands größtes Science Center beinhaltet vier Themenwelten und vier Studios, Sonderausstellungen, Sternwarte mit einer 6,5 Meter großen Teleskopkuppel, Experimentalbühne und dem Science Dome, einem Kuppelbau mit drehbarem Zuschauerraum und 700 Quadratmeter Leinwand – inklusive jeder Menge Veranstaltungstechnik, mit der es ein Leichtes wäre, selbst ein Konzert der Rolling Stones standesgemäß über die Bühne zu bringen, wie der Bauleiter erklärt.
An nichts gespart
Und bereits bei der Präsentation im Baucontainer wird klar: Bei der Errichtung dieses zumindest für deutsche Verhältnisse unvergleichlichen Gebäudes hat die Dieter-SchwarzStiftung jede Menge Geld in die Hand genommen und an nichts gespart. „Auch die Nachhaltigkeit ist ein wichtiger Aspekt bei der Experimenta“, referiert Bärbel Renner. Wie viel Geld am Ende genau das Großprojekt gekostet haben wird, das will Bärbel Renner bei ihrem Vortrag nicht verraten. „Darüber geben wir generell keine Auskunft“, sagt sie – und macht die Journalisten im Raum dadurch erst recht neugierig. Aber Diskretion ist im Fall von Dieter Schwarz und allem, was ihn betrifft, oberstes Gebot.
Nachdem die Gruppe Sicherheitsschuhe und Schutzhelme angezogen hat, hält der Gesandte des geheimnisvollen Bauherrn einen kurzen Vortrag über das, was auf der Baustelle erlaubt ist und was nicht. Fotografieren sei zwar gestattet – doch vor einer möglichen Veröffentlichung will das Management sich die Bilder ansehen, es bedarf der Zustimmung. „Und bitte bleiben Sie immer bei der Gruppe. Sie könnten sich sonst leicht auf der Baustelle verlaufen.“Dass diese Gefahr unzweifelhaft besteht, wird allein schon durch die schieren Dimensionen der Experimenta deutlich. Denn bei einer Gesamtfläche von 25 000 Quadratmetern gleicht sie einem Irrgarten der Technik, in dem es jetzt – rund ein halbes Jahr vor der geplanten Eröffnung im Frühjahr 2019 – noch reichlich unübersichtlich aussieht.
Das ganze Areal vibriert unter der Arbeit von Heerscharen von Handwerkern, Bauarbeitern, Projektleitern und Ingenieuren. Insgesamt sind 50 verschiedene Berufe an Bord. „Bitte passen Sie auf, wo Sie hintreten“, sagt der Bauleiter, als die Gruppe durch einen künftigen Lieferantenzugang in dieses Monument der Wissenschaften eintritt. Überall Menschen, die bienengleich gezielt ihren Aufgaben nachgehen. Obwohl es für Außenstehende nach Chaos aussieht, folgt doch alles einem vorbestimmten Plan.
Zunächst geht es über ein endlos wirkendes Treppenhaus in die erste Etage, wo die Erlebniswelt „Stoffwechsel“ wartet – oder besser gesagt das, was es künftig einmal werden soll. Der Geruch von frischem Leim liegt in der Luft. Eine Lernpädagogin erklärt, dass es bei „Stoffwechsel“um die unmittelbare Erfahrung von Stofflichkeit gehen wird. Wie Materialen beschaffen sind, welche Arten von Oberflächen wir – abgeleitet aus der Natur – in der Technik kennen. Kleine und große Entdecker sollen und dürfen mit interaktiven Exponaten umgehen.
Im gesamten Gebäude warten nicht weniger als 275 solcher Exponate oder Mitmachstationen auf die Besucher. Es geht darum, zu berühren – und sich berühren zu lassen von einer Welt, die viele Menschen nicht auf Anhieb interessiert. Die zu tun hat mit Zukunftstechnologien und daher mit Informatik, Physik, Mathematik und Chemie. Und also mit Fachdisziplinen, für die heute schon der Nachwuchs fehlt. Die Experimenta will ein Bewusstsein für die Faszination dieser Welten bei den Besuchern schaffen. Nicht durch einfaches Zeigen, sondern durch die Selbsterfahrung. Werbung für Naturwissenschaften durch die anspruchsvolle Methode der Begeisterung, wofür acht eigene Labore, ein Schülerforschungszentrum und eine Experimentierküche zur Verfügung stehen. Nach der Eröffnung werden etwa 250 Mitarbeiter im Besucherservice beschäftigt sein, und die Neugierigen auf ihrer Reise durch die Welt der Experimente eng begleiten. Ganz im Sinne des Mottos „Wissen schafft Erleben“.
Niemand hebt ab
Warum aber engagiert sich Dieter Schwarz ausgerechnet für dieses Feld so sehr, wo er selbst doch Kaufmann ist, wenn auch zugegebenermaßen kein gewöhnlicher? Versuch einer Kontaktaufnahme: Telefon, Nummer der zuständigen Ansprechpartnerin bei der Schwarz- Stiftung. Es klingelt an Tag eins – niemand hebt ab. Auch an Tag zwei ist niemand erreichbar. Die Möglichkeit, eine Nachricht zu hinterlassen, gibt es nicht. Dann der Versuch per EMail: Ob es denn möglich sei, Herrn Schwarz persönlich oder per Telefon zur Experimenta und seiner Idee dahinter zu befragen? Außerdem interessiere sich die Öffentlichkeit gewiss für die Investitionssumme, die in die Experimenta fließt. Und nicht zuletzt: Wird Dieter Schwarz wenigstens zur feierlichen Eröffnung anwesend sein? Die Antwort kommt drei Tage später per E-Mail.
Die Gruppe der Baustellenbesucher ist inzwischen im dritten Obergeschoß angekommen, wo sich die ganze Wucht dieser gestalterischen Idee – entworfen von Architekt Matthias Sauerbruch – voll entfaltet: Über ein Geländer hinweg lässt sich in die Tiefe des Baukörpers blicken, was nur für Schwindelfreie empfehlenswert ist. Im gigantischen Atrium in der Gebäudemitte scheinen die einzelnen Studios wie überdimensionierte Lampen im Zentrum zu schweben. Der Weg führt wieder hinab über das Treppenhaus bis hinunter ins Untergeschoß, das weit unterhalb des Wasserspiegels des Neckars liegt. Dort unten arbeitet auf Knien ein wahrer Baustellensysiphos: Einer der Arbeiter, die die riesigen Flächen der Experimenta aus länglichen Eichenholzstücken zu einem Parkett zusammensetzen. Stück für Stück. Drei Millionen, wie Bärbel Renner sagt. Den Mann bei der Arbeit fotografieren? Nicht gestattet.
Mehr Fragen als Antworten
Eine Führung von großer Eindrücklichkeit geht zu Ende. Allerdings wirft sie mehr Fragen auf, als sie Antworten liefert. Zum Beispiel die, ob und was die Experimenta die Stadt Heilbronn kostet. Anruf beim Stadtsprecher. Antwort: „Gar nichts.“Die Schwarz-Stiftung trage alles selbst. Und Bärbel Renner teilt schriftlich mit: „Das Stammkapital der Gesellschaft „experimenta – Science Center der Region Heilbronn-Franken“beträgt 25 000 Euro. An dieser Gesellschaft sind beteiligt: Die Stadt Heilbronn mit einem Geschäftsanteil im Nennwert von 5000 Euro und die Dieter-Schwarz-Stiftung gemeinnützige Gesellschaft mit beschränkter Haftung mit einem Geschäftsanteil im Nennwert von 20 000 Euro. Das Stammkapital ist voll einbezahlt. Die Gesellschaft hat keinen Grundbesitz.“Und wieder: Eine Antwort, die noch mehr neue Fragen aufwirft.
Endlich kommt auch eine Nachricht von der Schwarz-Stiftung direkt: „Es freut uns, dass Ihnen der Besuch auf der Experimenta-Baustelle gefallen hat. Leider steht Herr Schwarz nicht für ein persönliches Interview oder Telefonat zur Verfügung. Was die Öffentlichkeit betrifft, hält sich Herr Schwarz sehr zurück, was wir respektieren. Daher bitte ich um Verständnis, dass wir Ihnen kein Gespräch mit ihm anbieten können. Zahlen und Investitionssummen veröffentlichen wir grundsätzlich nicht. Auch hier halten wir uns sehr zurück und möchten über unser Engagement und unsere Projekte statt über Geld sprechen. Wie Sie wissen, lebt Herr Schwarz sehr zurückgezogen. Daher können wir Ihnen leider keine Auskunft darüber geben, ob Herr Schwarz an der Eröffnung der Experimenta teilnehmen wird.“