Schwäbische Zeitung (Biberach)
Nicht nur dem Plastik auf der Spur
Schüler erfahren an Bord der Aldebaran auf dem Bodensee unmittelbar, dass Gewässerschutz kein Luxus ist
FRIEDRICHSHAFEN - Ein bisschen merkwürdig ist es natürlich schon, wenn einer der engagiertesten Kämpfer und Aufklärer in Sachen Mikroplastik erst einmal Plastikbecher an die Gäste an Bord der Aldebaran verteilt. Ausgerechnet Plastik. Andererseits lässt sich an dem, was der Meeresbiologe Hannes Imhof da macht, sehr gut das Dilemma ablesen, in dem die Menschheit gerade steckt: Sie soll von der an eine Sucht erinnernde exzessive Verwendung von Plastik ausnüchtern. Wo es doch so schön praktisch ist: Fällt es herunter, zerbricht es auf der Forschungssegelyacht Aldebaran nicht zu tausend Splittern wie Glas. Es ist geschmacksneutral, leicht zu reinigen und es hält ewig. Und genau da liegt das Problem. Und zwar nicht nur irgendwo weit weg, in den Müllstrudeln der Ozeane, am anderen Ende der Welt. Sondern auch in kleinerem Maßstab hier bei uns. Im Bodensee. Der unersetzlichen Trinkwasserquelle für Millionen von Menschen.
Appell ans Verantwortungsgefühl
Insofern ist der Schauplatz mehrwöchiger Schülerforschungsfahrten ausgezeichnet gewählt. Auf diese Weise hat das Thema Meeresverschmutzung einen ganz konkreten Anker im Bewusstsein der Schüler, die an Bord der Aldebaran für einen Tag lang forschen dürfen, experimentieren und im wahrsten Sinne des Wortes eintauchen in eine Materie, die im Frontalunterricht nur selten das Herz der jungen Menschen erreicht, ihr Verantwortungsgefühl. „Denn darauf kommt es an“, sagt Frank Schweikert, der Kapitän des Forschungsschiffes. Er ist auch der Gründer der Deutschen Meeresstiftung, die sich ein unbescheidenes Ziel vorgenommen hat: die Rettung unserer Meere und damit irgendwie auch der Menschheit selbst, denn: „Die Zukunft des Menschen ist abhängig von der Entwicklung der Meere“, erklärt Schweikert, schließlich seien mehr als zwei Drittel des Planeten mit Wasser bedeckt.
Heute, an diesem freundlichen Mittwoch, ist es das Ellwanger Gymnasium St. Gertrudis, das den Zuschlag für einen Forschungstag auf dem Bodensee bekommen hat. Auf die Aldebaran dürfen etwa 30 Schülergruppen in zwei Wochen. Die 17jährige Pia klettert mit ihrer Mitschülerin Sarah, die 18 ist, auf das Boot, gefolgt von ihrer Mathematikund Physiklehrerein Nadyeh Shariloo. Und weil dieses nach Angaben Frank Schweikerts weltweit einzige Forschungsschiff nicht alle Tage auf dem Bodensee kreuzt, sind noch mehr Gäste gekommen: Zum Beispiel Christoph Dahl, der Geschäftsführer der Baden-Württemberg-Stiftung, die die nötigen Mittel zur Verfügung stellt, damit Baden-Württembergs Schüler überhaupt in den Genuss hautnaher Forschungserlebnisse kommen können. Ziel des Programms ist es, junge Menschen stärker für Naturwissenschaften zu interessieren, denn gerade auf diesem Gebiet steuert Deutschland in einen eklatanten Fachkräftemangel.
Andrang auf der Aldebaran
Normalerweise passen deutlich größere Schülergruppen auf die Aldebaran. Doch wegen der Medienleute und Politiker, wie dem Grünen-Bundestagsabgeordneten Matthias Gastel aus dem Wahlkreis Filderstadt, konzentriert sich die ganze Aufmerksamkeit auf Sarah und Pia, die mit dem Auslaufen aus dem Friedrichshafener Yachthafen ihre Nervosität rasch ablegen. Während Schweikert am Ruder über die Bedeutung der Aldebaran und den zähen Kampf um die Finanzmittel spricht, machen sich die Schülerinnen und Hannes Imhof an die ersten Untersuchungen und Messungen. Imhof war einer der ersten Forscher überhaupt, die Mikroplastik auch in Süßwassergewässern nachgewiesen haben – im Rahmen seiner Doktorarbeit erstmals im italienischen Gardasee.
Die Schülerinnen sollen der Frage auf den Grund gehen, wie die Wasserqualität des Bodensees aktuell ist. Welche Tiere und Pflanzen unter den sanften Wellen zu finden sind, die an das Schiff plätschern. Und natürlich klären: Ist tatsächlich Mikroplastik zu finden, wenn man ein feines, schlauchförmiges Schleppnetz hinter sich herzieht? Zunächst beginnt das Team mit dem Messen der Sichttiefe. Dazu wird eine weiße Scheibe an einem Seil ins Wasser hinabgelassen. Der Moment, wenn es nicht mehr sichtbar ist, gibt erste Hinweise auf den Zustand des Sees. Wie viel Kleinstlebewesen sich tummeln, wie es um die Pflanzen steht.
„Wir sind dann glücklich, wenn die Schülergruppen am Ende eines solchen Tages einstimmig sagen, dass sie Meeresbiologen werden wollen“, sagt Frank Schweikert und erzählt ein bisschen mehr über das besondere Boot. Es dient seit 1992 nicht nur auf den Gewässern Europas dem Zweck, den Zustand von Meeren, Seen und Flüssen zu analysieren und Veränderungen frühestmöglich aufzuzeigen. „Wir sind dafür besonders ausgerüstet“, sagt Schweikert und verweist auf ein funktionsfähiges Labor im Bauch der 14 Meter langen Aldebaran, die wahlweise segeln kann oder mit Diesel- sowie Elektromotor unterwegs ist. Neben dem Labor gibt es einen Medienplatz, damit die Ergebnisse von Forschungsfahrten schnell kommuniziert werden können. „Wir sprechen da von einem Gesamtwert von etwa 600 000 Euro“, rechnet Schweikert vor. Er stammt aus dem Schwarzwald und lebt heute in Hamburg. Doch obwohl die Dringlichkeit etwa des Plastikproblems sowie die Bedeutung von Gewässern insgesamt mehr und mehr ins Bewusstsein der Menschen dringt, ist die Existenz der Aldebaran nach wie vor vom guten Willen anderer abhängig. „Ein Umstand, der sich hoffentlich bald ändert“, sagt Schweikert und freut sich auf den 8. Juni. Dann wird die Deutsche Meeresstiftung gemeinsam mit Albert von Monaco mit dem Europäischen Kulturpreis Taurus ausgezeichnet.
Hannes Imhof zieht jetzt am Bug des Schiffes eine Schüssel aus dem Wasser, in der sich Pflanzen gesammelt haben. „Das sind Armleuchteralgen“, sagt der Gewässerbiologe und lobt ihr Vorkommen als grundsätzlich gutes Zeichen, weil diese Wasserpflanzen nur in sehr sauberen Gewässern zu finden seien. Aber auch nur in nährstoffarmen, wodurch Imhof das Phänomen der geringeren Fischbestände streift, die – insbesondere für Berufsfischer – seit Jahren ein wachsendes Problem sind. Dann macht Imhof eine Unterwasserdrohne startklar.
In der Zwischenzeit erklärt Christoph Dahl von der Baden-Württemberg-Stiftung, dass jährlich etwa 1,4 Millionen Euro in verschiedene Schülerprojekte fließen, die echte Forschungsarbeit leisteten. „Ziel ist es natürlich auch, diese dann von Partnerunternehmen zu verwerten“, sagt Dahl. Also nicht nur Forschung um des Forschens willen. Die beiden Ellwangerinnen experimentieren zum Beispiel mit ökologischem Beton und suchen nach Alternativen zu Sand. Pia sagt: „Ich interessiere mich eigentlich mehr für den sozialen Bereich“, sodass noch nicht feststeht, ob sie nach dem Abitur einen naturwissenschaftlichen Weg einschlägt. Sarah hegt indes großes Interesse für Maschinenbau.
Wie Fischen im Trüben
Pia lässt jetzt die Drohne zu Wasser: Das Gerät sieht ein bisschen aus wie ein Saugroboter, durch ein Kabel bleibt es mit dem Schiff verbunden. Unter Deck wird auf einem großen Monitor sichtbar, was die Drohne in den Tiefen des Sees mit der Kamera filmt. Es ist ein bisschen wie das Fischen im Trüben: Pflanzen, gehüllt in unheimlich anmutendes Grün, eine faszinierende Welt – da Kammmuscheln, dort ganze Gebüsche von Armleuchteralgen.
Und das Mikroplastik? Hannes Imhof zieht das schlauchförmige Netz aus dem Wasser. Der Fang landet in einem feinen Sieb. „Normalerweise würden wir jetzt die biologischen Anteile herausfiltern und alles analysieren.“Mit bloßem Auge ist nicht mehr zu sehen als ein paar Pflanzenreste. Doch eine Studie der Landesanstalt für Umwelt BadenWürttemberg hat bereits 2015 nachgewiesen: Auch im Bodensee schwimmt Mikroplastik, wenn auch noch in sehr geringer Dosierung. Wie es sich langfristig auf unsere Nahrungskette auswirkt, vermag im Augenblick kein seriöser Forscher zu sagen. Und solange zusehen, bis es sich tatsächlich auswirkt, will die Mannschaft der Aldebaran nicht. „Wir müssen jetzt was tun. Wir müssen handeln“, sagen Imhof und Schweikert wie aus einem Mund.
Auf Pia und Sarah können die beiden bei ihrer Mission zählen. Denn wenn sie es nicht schon längst vorher wussten, dann hat ihnen der Tag auf dem Bodensee plastisch gezeigt: Das Problem des Plastikmülls ist kein abstraktes, weit entferntes, das uns nichts angeht. Wenn auch derzeit nur in Spuren – es ist hier.
„Die Zukunft des Menschen ist abhängig von der Entwicklung der Meere.“Frank Schweikert, Gründer der Deutschen Meeresstiftung