Schwäbische Zeitung (Biberach)
200 Menschen singen von der Freiheit
Das Theater Pforzheim gastierte in der Stadthalle mit Verdis Oper „Nabucco“
- Giuseppe Verdis Oper „Nabucco“gehört zu den herausragenden und populärsten Meisterwerken der Musikgeschichte. Der Aufführung durch das Theater Pforzheim in der Biberacher Stadthalle am Donnerstagabend mangelte es allerdings an einer einheitlichen künstlerischen Linie.
Verdi hat die alttestamentarische Geschichte in eine große Sänger- und Choroper geformt. Der babylonische König Nabucco bereitet die Vernichtung der Hebräer vor. Er hat Jerusalem erobert, den Tempel zerstört und das Volk Israel in die Gefangenschaft deportiert. Er ruft sich schließlich selbst zum Gott aus. Jehova straft ihn; er wird wahnsinnig. Abigail, die sich für Nabuccos Tochter hielt, aber nur die Tochter einer Sklavin ist, will die Krone für sich. Nabucco kommt aber zurück und gibt den Hebräern die Freiheit.
Die Pforzheimer Inszenierung sucht Bezüge zu aktuellem politischem Geschehen, versucht, das vollendete Werk gleichsam neu zu erfinden. Das Ergebnis überzeugt nicht. Das Programmheft weist vier Regisseure aus: den Intendanten, zwei Schauspielprofis und den Ballettdirektor. Das musste auf Kosten einer einheitlichen künstlerischen Linie gehen. Durchaus gelungen ist das dramaturgische Konzept der Entwicklung des Machtkampfs zwischen Nabucco und Abigail, die die Regie auf dem Höhepunkt ihrer Macht auf ein drei Meter hohes Podest stellt; darunter liegt der zeitweilig entmachtete König.
Höchstes Erstaunen erzeugte das zweite Bild. Man war plötzlich in der Altstadt von Neapel. Überall hing meterhoch Wäsche zum Trocknen oder aus was für Gründen auch immer. Bühnenbildliche Paradoxie. Der regieliche Tiefpunkt kam dann beim großen Chor. Die Pforzheimer mussten sich auf offener Bühne ihrer
BIBERACH
Oberbekleidung entledigen. Man sang in der Unterwäsche, in Unterkleidern, in langen Unterhosen, in Boxershorts. Ein Einfall zum Grausen. Brecht’sches Ambiente! Die erhabene Stimmung, die unabdingbar zu einem der größten Freiheits-Chöre der gesamten Musikliteratur gehört, war durch den Striptease verschwunden.
Absurd und krampfig
In der Einführungsbesprechung hatte man sich an der Erklärung versucht, dass Flüchtlinge halt immer „ausgezogen“werden. Absurd und krampfig. Ein Regieeinfall muss von sich aus überzeugen, darf zum Verständnis keineswegs weit hergeholte intellektuelle Erklärungen benötigen. Noch ein Einfall: Der Damen- chor singt italienisch, der Herrenchor deutsch. Verdi in Deutsch gab es zuletzt vor 50 Jahren.
Aber die Sänger waren die Glanzpunkte der Inszenierung. Hans Gröning (Nabucco) singt mit seinem dramatischen Bariton die Partie mit Differenzierungsstärke und heldischer Durchsetzungskraft. Sooji Moon (Abigail) verkörpert mit ihrem dramatisch fundierten Sopran mit herrlich klingender Mittellage den unbedingten Machtwillen. Fenena (Danielle Rohr) bleibt trotz schön klingenden Soprans eher etwas blässlich. Einen ganz starken Eindruck hinterließ Kwonsoo Jeon (Ismaele) mit jugendlich heldischem Tenor, dem ein interessante Sängerkarriere vorauszusagen ist. Aleksandar Stefanoski (Zaccaria) ist ein Bass der Sonderklasse, der mit großem wagnerkompatiblem Material die Juden anführt.
Der erste Kapellmeister Mino Marani dirigierte die etwa 60 Musiker mit präziser und eloquenter Zeichengebung, arbeitete die Gestaltungselemente der genialen Partitur farbig heraus. Der Pforzheimer Chor wurde verstärkt durch 140 schön singende Kollegen von vier hiesigen Chören unter Leitung von Simon Föhr und Christine Wetzel.
Musik und Regie waren wie zwei Enden einer Fahnenstange – oben und unten. Die Einheit fehlte.
Von einer Besucherin war nach Ende der schöne Satz zu hören: „Mit geschlossenen Augen war die Oper ein Augenschmaus.“Dem ist nichts hinzuzufügen.