Schwäbische Zeitung (Biberach)
„Zäune und Patrouillen stoppen Flüchtlinge nicht“
Frontex-Direktor Leggeri zu EU-Außengrenzen
- Fabrice Leggeri, Direktor der EU-Grenzschutzagentur Frontex (Foto: AFP) hält es für wahrscheinlich, dass Grenzzäune auf der Balkanroute Flüchtlinge nicht aufhalten werden. Das sagte er im Gespräch mit Rasmus Buchsteiner.
BERLIN Herr Leggeri, die Länder entlang der Balkanroute schließen ihre Grenzen. Wie wird sich die Situation am Zaun zwischen Mazedonien und Griechenland in den nächsten Tagen entwickeln?
Die Flüchtlinge sollten jetzt von der Grenze zu Mazedonien in die griechischen Hotspots gebracht werden. Dort kann geklärt werden, ob sie Anspruch auf Schutz haben. Leider stellen bisher nur die wenigsten einen Asylantrag in Griechenland. Die anderen versuchen, auf eigene Faust nach Deutschland oder Schweden weiterzureisen. Es geht nun darum, die Flüchtlinge von den griechischen Hotspots aus auf die EU-Staaten zu verteilen. Die Rechtsgrundlage dazu haben wir. 160 000 Flüchtlinge können so auf die Mitgliedsstaaten verteilt werden. Das müssen wir jetzt mit Hochdruck umsetzen. Wir werden den Griechen dabei helfen – auch bei der Rückführung illegaler Flüchtlinge in ihre Heimatländer oder die Türkei.
Kanzlerin Merkel strebt eine Verständigung mit Ankara an. Trauen Sie der Türkei wirklich zu, die Grenze zu Europa dicht zu machen?
Es gibt Grund für Optimismus. Die Türkei geht seit Jahresbeginn stärker gegen kriminelle Schleusernetzwerke im eigenen Land vor. Sicherlich ist da noch mehr denkbar. Die Zusammenarbeit zwischen Griechenland und der Türkei muss besser werden. Leider ist es so, dass die Türken bisher kaum Flüchtlinge zurücknehmen. Hier brauchen wir unbedingt eine Veränderung. Da gibt es noch einige offene Fragen mit der türkischen Regierung. Wir setzen auch auf den geplanten Nato-Einsatz in der Ägais. Dabei wird es eine enge Abstimmung zwischen EU und Nato geben.
Wenn es gelingt, die Zahl der Flüchtlinge auf der Ägäisroute zu reduzieren, ist dann mit neuen Flüchtlingsrouten zu rechnen?
Es ist ganz klar, dass es Alternativrouten geben wird. Man wird sich andere Wege suchen. Die Erfahrung hat gezeigt, dass Zäune und Patrouillen auf See die Flüchtlinge nicht stoppen können. Wir halten es für wahrscheinlich, dass wieder mehr Migranten versuchen werden, über Libyen nach Italien zu gelangen. Denkbar sind auch Routen über die Ukraine und Russland oder von Griechenland unmittelbar nach Italien. Darauf müssen wir uns einstellen.
Ist das Schengen-System mit seinen offenen Grenzen bald Geschichte?
Ich kann verstehen, dass Deutschland große Herausforderungen auf sich zukommen sieht. Wir erleben, dass immer mehr EU-Mitgliedsstaaten nationale Grenzkontrollen einführen – vorübergehend und im Einklang mit dem Schengen-Recht. Die Erfahrung hat gezeigt, dass es keine nationalen Lösungen für die Flüchtlingskrise gibt. Es kann nur einen europäischen Ansatz geben. Alle EUMitgliedstaaten müssen mitmachen und Flüchtlinge aufnehmen, nicht nur Deutschland.
Wie groß ist die Gefahr, dass gezielt Terroristen nach Europa eingeschleust werden?
Es hat Versuche gegeben, Terroristen als Flüchtlinge getarnt einzuschleusen. Zwei der Attentäter von Paris sind über Griechenland nach Europa gelangt, waren dort auch registriert worden. Wir helfen den Griechen inzwischen bei den Sicherheitskontrollen. Leider hat Frontex keinen direkten Zugriff auf die personenbezogenen Informationen im Schengen-Informationssystem. Aber über die nationalen Grenzschutzbeamten, die unsere Operationen unterstützen, können wir die Daten abgleichen.