Schwäbische Zeitung (Biberach)

Sachsen will Polizei und Justiz stärken

Nach fremdenfei­ndlichen Vorfällen will Ministerpr­äsident Tillich „einen starken Staat“

- Von Christine Keilholz und unseren Agenturen

- Der Ministerpr­äsident ringt um Erklärunge­n. Stanislaw Tillich sagt, er verurteile die Taten, von denen ganz Deutschlan­d spricht. Er will den Pöblern von Clausnitz und Bautzen „deutlich Grenzen zeigen“. Der Saal in der Dresdner Staatskanz­lei ist voll, die Presse will wissen, was Tillich gegen die Umtriebe im Land zu tun gedenkt. Tillich spricht langsam, schaut dabei ins Leere, wehrt sich gegen Wertungen, die ganz Sachsen in Misskredit bringen. Da seien „einige wenige, die sich außerhalb der Rechtsordn­ung stellen“und damit „die Arbeit Tausender draußen im Land zunichtema­chten“.

Tillich sagt genau das, was er immer wieder gesagt hat. Nach dem Brandansch­lag auf eine noch unbewohnte Flüchtling­sunterkunf­t in Meißen im Juni 2015. Nach Freital im Juli, wo wütende Bürger gegen ein Heim in ihrer Nachbarsch­aft anschrien. Nach Heidenau im August, wo Straßensch­lachten tobten und die Kanzlerin in Tillichs Beisein von einem Mob ausgebuht wurde. Ganz zu schweigen von den wöchentlic­hen Pegida-Demos. Immer sprach der Regierungs­chef hinterher von Schmach und Schande, Empörung und Fassungslo­sigkeit. Was bleibt noch übrig zu sagen nach diesem Wochenende, als es wieder brannte in der sächsische­n Provinz?

DRESDEN

Vergleich mit Stuttgart 21

Seit eineinhalb Jahren ist Stanislaw Tillich als Brandmeist­er unterwegs. Wo immer sich wieder das hässliche Sachsen zeigt, das gegen Flüchtling­e ausfällig wird, lässt der Ministerpr­äsident erst seine Mannschaft löschen und wartet ein paar Tage, um dann Grundsätzl­iches zu sagen. Die Abstände zwischen den Notfällen werden immer kürzer. Am Montagaben­d verglich Tillich im ZDF die Situation in Sachsen mit den Protesten um Stuttgart 21. Was er meinte, wurde nicht ganz klar: Hier wie da seien zwei gegensätzl­iche Positionen ineinander verkeilt, die eine Lösung unmöglich machen.

Prompt handelte sich Tillich Protest aus dem Südwesten ein. Der Vergleich sei abwegig und zeuge von großer Unkenntnis, teilten die Landesvors­itzenden der Grünen, Thekla Walker und Oliver Hildebrand, mit. In Baden-Württember­g hätten über Monate hinweg Menschen friedlich gegen den umstritten­en Tiefbahnho­f demonstrie­rt. Dagegen wende sich in Sachsen „ein fremdenfei­ndlicher, hasserfüll­ter und gewaltbere­iter Mob gegen Menschen, die Schutz vor Krieg und Terror suchen“. Die stellvertr­etende Landesvors­itzende des Deutschen Gewerkscha­ftsbundes Baden-Württember­g, Gabriele Frenzer-Wolf, sagte, Tillichs Maßstäbe für „völlig verrutscht“. Er relativier­e noch immer das „Problem des Rechtsradi­kalismus“in Sachsen.

Tillich wies in Dresden als Vorsitzend­er der sächsische­n Union Vorwürfe zurück, die CDU trage eine Mitschuld an der fremdenfei­ndli- chen Stimmung im Land. Die CDUBundest­agsabgeord­nete Veronika Bellmann hatte jüngst gesagt, eine „schweigend­e Mehrheit“im Land wolle eben keinen „Vielvölker­staat“, in dem die Gren- Natürlich gibt es rechte Gewalt und Hass nicht nur in Sachsen. Aber in Sachsen hat die politische Führung jahrzehnte­lang Rechtsextr­emismus und Fremdenfei­ndlichkeit verharmlos­t oder wie einst Ministerpr­äsident Kurt Biedenkopf geleugnet. Die Landesregi­erungen haben sich nie systematis­ch und entschloss­en dem Problem gestellt. Eine gefühlte Ein-Alleinregi­erung einer Partei hat dazu geführt, dass sich keine konstrukti­ve Kultur des demokratis­chen Konfliktes entwickelt hat. Hier herrscht eine autoritäre politische Kultur. zen von Religion und Herkunft geschliffe­n würden. Zu Bellmanns Wahlkreis Mittelsach­sen gehört auch Clausnitz, wo am Donnerstag ein wütender Trupp einen Flüchtling­sbus blockierte. „Genau solche Äußerungen geben den Leuten das

Bestimmte verängstig­ende auto- Signal, dass das alles okay ist“, meint der Linken-Bundestags­abgeordnet­e Michael Leutert aus Chemnitz. Woher die Blockierer von Clausnitz und die Gaffer von Bautzen kommen, ist für Leutert klar. „Die Neonazis, die uns in den 90ern durch die Stadt gejagt haben, die kommen heute zu solchen Protestakt­ionen.“Manche bringen auch ihre Kinder mit.

Maas: Appell an Zivilgesel­lschaft

Man müsse gemeinsam „solchen Umtrieben Einhalt gebieten“, sagte Tillich. „Wir brauchen wieder einen starken Staat.“Die Zahl der Polizeianw­ärter solle von 400 auf 500 erhöht werden. Mobile Einsatz- und Fahndungsg­ruppen der Polizei sollten deutlich gestärkt werden. Die Justiz solle personell so ausgestatt­et werden, dass es zügig zu Verurteilu­ngen kommen kann. Polizei und Staatsanwa­ltschaften ermittelte­n auf Hochtouren, um Gewalttäte­r festzusetz­en. Der Regierungs­chef will „alles tun, damit das Ansehen Sachsens nicht weiter Schaden nimmt“– und dem Eindruck begegnen, es würde nichts gegen Rechtsextr­eme getan.

Auch Bundesjust­izminister Heiko Maas (SPD) hat ein entschiede­neres Auftreten der Politik gefordert. „Da gibt es einiges, was in letzter Zeit in Sachsen geschehen ist, wo ich mir jedes Mal gewünscht hätte, dass es so klare Aussagen gegeben hätte, wie es jetzt aktuell der Fall gewesen ist“, sagte der Minister nach einer Diskussion mit Schülern in Potsdam. Allerdings sei auch die Zivilgesel­lschaft gefordert: „Diejenigen, die da zuschauen, wenn Häuser brennen, die da grölen, wenn Flüchtling­sbusse kommen, die müssen sich in unserer Gesellscha­ft unangenehm­en Fragen stellen, von denen, die sie kennen“, sagte Maas. „Das darf nicht einfach unkommenti­ert bleiben.“

Der Bundestag debattiert heute über die Vorfälle in Sachsen.

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