Schwäbische Zeitung (Bad Waldsee / Aulendorf)
Ein Schöngeist und sein Credo
Der Künstler Friedrich Hechelmann hat das Isnyer Schloss vor dem Verfall gerettet und sich dort eine Gegenwelt erschaffen
ISNY - Im Allgäu steht derzeit ein ungewöhnlicher Christbaum: eine vier Meter hohe Weißtanne, übersät mit gleißenden Objekten, Schneekristallen, Prismen, Vögeln, Glocken, Lüstersteinen … Einen solchen „weißen Baum“soll sich Friedrich Hechelmanns Großmutter stets gewünscht haben. Nun hat ihr der Enkel den Wunschtraum postum erfüllt, an einem besonderen Ort, in der Marienkapelle des Isnyer Schlosses – in seiner Kapelle, wohlgemerkt. Der Künstler hat sie vor zwei Jahren gekauft.
Dieser nicht gerade alltägliche Erwerb markiert eine weitere Etappe in einer von ihm maßgeblich mitgetragenen spektakulären Rettungsaktion für ein vom Verfall bedrohtes Ensemble. 1096 gegründet, fiel das Benediktinerkloster Isny nach der Säkularisation 1803 an die niederrheinischen Grafen Quadt zu Wykradt und wurde dann von ihnen als Schloss genutzt. 1942 verkaufte das Adelshaus die Konventsgebäude an die Stadt Stuttgart, die dort ein geriatrisches Krankenhaus einrichtete – und beim Auszug 1996 in erbärmlichem Zustand zurückließ. Isnyer Bürger kauften den Komplex, und 1999 wurde die „Friedrich Hechelmann und Schloss Isny Kunst- und Kulturstiftung“gegründet. Einen Teil baute Hechelmann mit erheblichem Aufwand zu einer noblen „Kunsthalle“für seine Werke um, und seither renoviert er unermüdlich weiter. Mittlerweile gibt es auch ein generelles Nutzungskonzept, das neben der „Kunsthalle“eine Bespielung des Schlosses durch die Städtische Galerie und das Museum der Stadt Isny vorsieht.
So weit die dürren Fakten. Aber man muss mit dem 72-jährigen Hechelmann
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durch die Räume gehen, um das heutige Gesamtkunstwerk richtig einschätzen zu können – und seine kulturpolitische Dimension dazu. Denn entstanden ist es nicht zuletzt im Blick auf die Allgemeinheit. Der Künstler hat zwar sein erlesen ausgestattetes Privatdomizil im zweiten Stock, aber das Gros der aufs Feinste restaurierten
Räume des Schlosses ist heute zugänglich, erlebbar beim Besuch, bei Führungen oder bei Konzerten, Lesungen, Vorträgen etc. Aber wie kommt man dazu, solch enorme Summen in ein Projekt zu stecken? Hechelmanns freimütige Antwort: „Alles, was ich habe, ist mir durch die Kunst zugewachsen, das will ich der Gesellschaft zurückgeben.“
In dieser Gesellschaft hat er in der Tat eine wahrhaft treue Schar von Freunden und Kunden. Unumstritten war er allerdings nie. Wanderer zwischen kosmischen Welten oder nur Traumtänzer, Perfektionist der altmeisterlichen Malerei oder nur Illustrator mit dem Hang zum SüßlichSkurrilen, selbstloser Poet oder nur gewiefter Geschäftsmann mit geschmäcklerischem Sortiment? Die Meinungen schwankten schon immer, aber sehr vieles in seinem Werk und vor allem auch seinem Denken nimmt doch ein für diesen stillen Ästheten.
Alle Facetten seiner Art von Verherrlichung des Schönen spiegeln sich in diesem Schloss. Für Puristen ist Eklektizismus, also epigonaler Rückgriff auf frühere Kunststile, ein Schimpfwort. Hechelmann dagegen bekennt sich zu einem anregenden Einklang der Stile. Alles andere wäre für ihn eine ungebührliche Einengung. In seinem Salon zwischen Stilmöbeln verschiedener Epochen eine griechische Skulptur vor einem Gobelin des 17. Jahrhunderts zu entdecken, verwundert also nicht. Ob barocke Stuckdecke von 1718 aus der Klosterära oder klassizistische Treppenhauskuppel um 1803, beides ist ihm gleich wertvoll, und er scheut sich auch nicht, frei gebliebene Medaillons mit eigenen filigranen Ornamenten auszuschmücken.
Apropos Ornament: Es gibt Phänomene, die den sanften Künstler kurz zornig werden lassen. Zum Beispiel die Idee des Bauhauses, das seiner Meinung nach wider alle Kreativität ein von der Industrie gewolltes Stildiktat ausübte und alles andere zur Unterordnung zwang. Dabei sei jede Rückbesinnung auf große Kunst der Vergangenheit verteufelt worden. Und so habe man unter anderem das Ornament für tot erklärt – für Hechelmann ein absoluter Sündenfall.
In diesem Schloss dagegen feiert das Ornament schier überschäumende Urständ. Und zu der Kopie als ästhetischem Wert an sich steht dieser Schöngeist ebenfalls. Das geniale Kunstwerk lebt für ihn auch im Abbild weiter. So nennt er eine der größten Replikensammlungen auf deutschem Boden sein Eigen, mit Vorliebe von Kunstwerken aus dem Hellenismus – schon erkennbar an der Nike von Samothrake, der geflügelten Siegesgöttin aus dem Louvre, die im Hof vor der Schlosspforte steht. Der Odysseus von Sperlonga wacht über dem Schreibtisch in Hechelmanns Atelier, und die tanzende Flötenspielerin aus dem Berliner Pergamonmuseum lädt im Treppenhaus der Kunsthalle zum Gang durch die Räume mit Hechelmanns Werken aus allen Schaffensperioden – Déjà-vu-Erlebnisse aus der Antike überall.
In neuem Glanz zeigen sich die einstigen Gemächer des Abtes. An einer Wand lehnt eine Fotodokumentation, die deutlich macht, wie verheerend es hier aussah: aufgequollene Holzböden, durchnässte Decken, morsche Balken, verrottete Treppen. Und jetzt stattdessen etwa das „Mignon-Zimmer“, von Hechelmann in minutiöser Fleißarbeit ausgemalt mit Früchten, Blüten, Blättern, Vögeln – eine Hommage an Goethes Gedicht „Kennst du das Land, wo die Zitronen blühn?“
Hier wird Hechelmanns Credo spürbar. Ökologe der ersten Stunde und Proto-Grüner, hat er früh auf die Gefährdung der Natur hingewiesen. Aber statt sie als verrottet darzustellen, wie es viele Künstler – um wachzurütteln – in ihrem drastischen Verismus tun, wählt er den entgegengesetzten Weg. Er zeigt sie paradiesisch-zauberhaft, überirdisch-entrückt – und umso schmerzhafter kann man die Botschaft empfinden, was ihre Zerstörung für uns bedeutet. Dabei hat er sich als Prophet erwiesen: Eine Trilogie aus den 1970er-Jahren nahm die Polareisschmelze und den Anstieg des Meeresspiegels auf frappante Weise vorweg.
Und wie sieht er die Situation heute? Mit den Grünen ist er fertig, zu sehr seien sie schon korrumpiert durch die Macht. Sein Pessimismus nimmt auch permanent zu. Eine vom Markt gesteuerte, nur auf das Bruttosozialprodukt schauende Gesellschaft sei kaum noch zur notwendigen Umkehr fähig. Allerdings will er niemanden missionieren. Laut Hechelmann müssen die Leute schon selbst umdenken und dann danach leben.
So kann man den Gang durch das Schloss als eine einzige Beschwörung des Gegenprogramms sehen. Manchen mag das als Eskapismus erscheinen, als Flucht in die Schönheit. Aber auf diesem Weg wandelt er eben seit seinen Jahren als Meisterschüler von Rudolf Hausner und dessen fantastischem Realismus um 1970. Einige Arbeiten, mit denen er sich einst an der Akademie der bildenden Künste in Wien beworben hatte, sind ausgestellt – und wirken auch prophetisch.
Zwischen Stilmöbeln und Gemälden anderer Künstler, vornehmlich aus der Romantik, umrankt von selbst gemalten Friesen, Bordüren und Girlanden, finden sich zudem die Originale von Hechelmanns Illustrationen. Ob man nun vor Boccaccios „Decamerone“oder Shakespeares „Sommernachtstraum“steht, vor „Orpheus und Eurydike“oder der „Reise des Nils Holgersson mit den Wildgänsen“– dieses Panoptikum der Engel und Elfen, Götter und Faune, Zwerge und Gnome, der verspielten Träumereien und witzigen Drolerien hat Charme. Synkretist ist Hechelmann eben auch. Er denkt Religionen, Mythen, Sagen, Märchen einfach zusammen.
Neu arrangiert sind seine frühen großformatigen Bilder in der einstigen Klosterbibliothek. Raffiniert beleuchtet unter Ausschluss des Tageslichts entwickeln die in Blau und Grün schwelgenden meditativen Visionen ihren starken Sog. Mit solchen sehr arbeitsintensiven Großformaten tut sich der Künstler heute allerdings schwer. Es ging ihm zwischendurch nicht gut. Zunächst musste er den Tod seines Lebensgefährten verkraften. Dann kam Krankheit dazu, eine Grenzsituation, wie er bekennt, die ihn in seinem Schaffen doch sehr einschränkte. Was ihn in dieser Zeit stabilisierte, war das Modellieren. So stehen nun überall grazile Bronzegüsse auf den Tischen und Kommoden – mit dem gewohnten Hechelmannschen Personal.
Und er schreibt seither Bücher, kindgerecht, märchenhaft, fantasievoll und natürlich von ihm illustriert: 2017 „Manolito“, 2018 „Livia“, und wenn trotz Corona alles gut geht, erscheint im Mai unter dem Titel „Panthea“ein Finale dieser Reisen durch geheimnisvolle Traumwelten.
Für seine ebenso originellen wie suggestiven Bibelillustrationen hat Hechelmann nun einen besonders spirituellen Platz: Sie hängen auf der Empore der Marienkapelle, einem ursprünglich gotischen Gotteshaus, 1645 nach dem großen Stadtbrand von 1631 wiederhergestellt, mit einem prächtigen Rokoko-Altar als Glanzstück – und durch den Kauf 2018 vor dem möglichen Einsturz von Dachstuhl und Decke gerettet. Hier hat der Künstler „einen Sammlungsraum für die Seele“geschaffen – immer auf der Suche nach Harmonie in einer sich selbst entfremdenden Welt.
Der Künstler Friedrich Hechelmann
„Alles, was ich habe, ist mir durch die Kunst zugewachsen, das will ich der Gesellschaft zurückgeben.“