Schwäbische Zeitung (Bad Waldsee / Aulendorf)
Der Bremser mit dem blinden Fleck
VfB-Trainer Matarazzo versucht die Euphorie kleinzuhalten – und ignoriert etwas bewusst
STUTTGART - Eine Pressekonferenz hat auch im Fußballbusiness die Aufgabe, Informationen weiterzuleiten, damit diese anschließend auf diversen Kanälen in die Öffentlichkeit gelangen – auch und gerade in Zeiten einer Corona-Pandemie. Dennoch sind die üblichen Spieltagsgespräche vorab meist eine recht eingefahrene Sache. Wer ist verletzt? Wie schätzt man den Gegner ein? Termine ohne viele Emotionen und Riesenüberraschungen. Pellegrino Matarazzo hatte vor dem Heimspiel seines VfB Stuttgart gegen den 1. FC Köln am Freitag (20.30/DAZN) dagegen auch etwas anderes im Sinn und verkündete der digital anwesenden Journalistenmeute: „Ich versuche euch ein Stück weit zu bremsen. Das ist auch meine Absicht. Die Mannschaft bekommt meine Gedanken schon mit, aber uns ist eben auch die Emotionalität des Umfeldes bewusst.“
Was der VfB-Trainer meinte, ist die Eigenart des Traditionsclubs VfB Stuttgart, der nicht selten von seinen hochfliegenden Zielen überholt wurde und in dem das Chaos lange Zeit vorherrschender Normalzustand war. Doch derzeit ist es eben anders. Dass Matarazzo überhaupt davon sprechen muss, dass man „diese Wellen nicht mitgehen“wolle liegt an dem erfolgreichen Saisonstart des Aufsteigers, der sich mit seinen jungen Wilden wieder einmal anschickt, die Bundesliga zu begeistern. Doch nicht mit Matarazzo. Dass man mit einem Sieg vorübergehend vom ersten Tabellenplatz grüßen könnte, spielt der 42-Jährige gewohnt herunter. „Es ist keine Motivation für die Spieler, an der Tabellenspitze zu sein. Unsere Motivation ist es, gute Leistungen zu bringen und zu punkten.“
Dass dafür das richtige Personal beisammen ist, haben die ersten vier Spieltage gezeigt, nun heißt es aber aufs Neue, die passenden Teile auszuwählen. Vor allem, da sich derzeit ein Luxusproblem entwickelt, auch wenn Innenverteidiger Waldemar Anton (Bänderverletzung ) sowie die beiden Langzeitverletzten Clinton Mola und Maxime Awoudja weiter ausfallen und auch Innenverteidiger
Konstantinos Mavropanos nach seiner Miniskusoperation mindestens vier Wochen lang kein Thema ist. „Es wird immer schwieriger einen Kader zu benennen“, schildert Matarazzo. So trainierten die zuletzt angeschlagenen Roberto Massimo, Tanguy Coulibaly, Borna Sosa und Darko Churlinov dagegen allesamt wieder mit der Mannschaft.
Dass die Qualität im XXL-Kader (33 Spieler) so hoch ist, zahlt sich aus und schlägt noch nicht in Unzufriedenheit um. Als Aufstiegs-Knipser Nicolás González („Bei ihm müssen wir schauen, ob es für 60 Minuten reicht“) ausfiel, sorgten eben Sasa Kalajdzic und Silas Wamangituka für die Tore. „Er ist in der Lage, mit seiner Schnelligkeit und seinen Toren Spiele zu entscheiden“, sagte Matarazzo über Wamangituka.
Die jungen Wilden, mit denen Matarazzo regelmäßig die jüngste Bundesligaelf des Spieltages stellt, in Kombination mit den wiedererstarkten Anführern funktionieren eben derzeit. Dass mit Köln gerade jetzt eine Mannschaft daherkommt, die eher im Abwärtstrend ist, kommt dem Trainer aber auch nicht vollends entgegen. Ohnehin „sollten wir in der Bundesliga wegkommen von dieser Underdog- und Favoritenrolle“, forderte Matarazzo. „Wir müssen in jedem Spiel ans Limit gehen. Natürlich gibt uns der bisherige Verlauf ein gewisses Selbstbewusstsein, aber wir müssen auch Respekt vor Köln haben.“Aus dem Erfolg erwachsen Probleme, die man beim VfB so lange nicht mehr kannte.
Doch bleibt all die Freude über die Leistungen des Aufsteigers durch die Umstände getrübt. Ausgerechnet jetzt, wenn keine Fans ins Stadion dürfen, macht der VfB so viel Spaß wie lange nicht mehr. Sieben Punkte haben die Schwaben in vier Partien geholt und damit den besten Auftakt im Oberhaus seit zwölf Jahren hingelegt. Doch so richtig perfekt fühlt es sich eben dann doch nicht an. Vor allem durch die jüngsten Entwicklungen der Corona-Zahlen. „Man hat das Gefühl, dass alles ein Stück näherrückt. Wir tun alles dafür, dass wir weiter gesund bleiben“, sagte der 42-Jährige. Dass kein Club vor positiven Fällen geschützt ist, wurde erst wieder durch Nationalspieler Serge Gnabry vom FC Bayern München aufgezeigt. Direkte Auswirkungen hätte dieser Fall aber am Wasen nicht. „Wir haben noch keine Anpassungen vorgenommen, sind aber schon sensibilisiert“, so Matarazzo.
Dennoch. Es sei „schwierig, sich an etwas zu gewöhnen, wenn es sich ständig ändert und zuspitzt“, sagte der VfB-Coach mit Blick auf die dynamische Pandemielage. „Jede Woche gibt es Veränderungen – wie bei den Zuschauern. Natürlich macht man sich Sorgen.“
Zumindest ein kleiner Trost, wenn wenigstens die Tabellensituation dafür keinen Anlass bietet.