Schwäbische Zeitung (Bad Waldsee / Aulendorf)
Wettstreit der Härte
Nach der Enthauptung des Lehrers Samuel Paty scheint in Frankreich eine Art Wettstreit eingesetzt zu haben, wer die härtesten Maßnahmen gegen den Islamismus vorschlägt. Die Rechtspopulistin Marine Le Pen sieht die Gelegenheit gekommen, wieder einmal einen kompletten Stopp der Einwanderung zu fordern. Die konservativen Republikaner wollen strengere Gesetze und sind bereit, dafür den europäischen Gerichtshof für Menschenrechte auszuhebeln. Und Innenminister Gérald Darmanin lässt Hunderte radikalisierte Ausländer abschieben, Moscheen schließen und Vereine verbieten.
Anderthalb Jahre vor den Präsidentschaftswahlen ist der grausame Mord an Samuel Paty zum Wahlkampfthema geworden. Und Präsident Emmanuel Macron scheint dabei in der Defensive zu sein. Nur zwei Wochen nach seiner Rede gegen den islamistischen Separatismus bringt das Attentat seine sorgfältig austarierte Strategie durcheinander. Sie bestand darin, gegen die Islamisten vorzugehen und gleichzeitig zusammen mit den muslimischen Vertretern einen Islam in Frankreich aufzubauen, der frei ist von ausländischen Einflüssen. Eine Gratwanderung, die ohnehin schon heikel war. Nun besteht das Risiko darin, dass sich viele Muslime vom Generalverdacht, der ihnen momentan entgegenschlägt, stigmatisiert fühlen. Dass sie sich zurückziehen und der mühsam begonnene Dialog wieder einschläft. Dabei kann der Kampf gegen den Islamismus nur gelingen, wenn er auch in den Moscheen geführt wird.