Schwäbische Zeitung (Bad Waldsee / Aulendorf)
Das Ende der Tour-Träume
Start der Frankreich-Rundfahrt wird zunächst auf 29. August vertagt – Absage wäre fatal
FRANKFURT (dpa/SID/sz) - Frankreichs Staatspräsident Emmanuel Macron höchstpersönlich hat auch das letzte Fünkchen Hoffnung von Christian Prudhomme auf einen Start der Tour de France am 27. Juni erlöschen lassen. An jenem Sommertag sollte nach Wunsch des Veranstalterchefs in der südostfranzösischen Hafenstadt Nizza trotz anhaltender Coronavirus-Pandemie der Startschuss zur 107. Frankreich-Rundfahrt fallen. Eine Absage der Tour wollen die Organisatoren aber mit aller Macht verhindern.
Während nahezu der komplette Sportsommer mit Fußball-EM, Olympia und Wimbledon für 2020 schon abgeblasen wurde, schien sich die Tour de France als letztes Großevent des Sommers auf merkwürdige Weise der Realität zu verweigern. Die TourVerantwortlichen um Prudhomme setzten sich eine Frist bis 15. Mai, um bis dahin über die ursprünglich angedachte Austragung des größten Radsportevents der Welt zu entscheiden. Diesem Vorhaben machte Macron am Ostermontag in seiner dritten TVAnsprache an die Nation während der Corona-Krise endgültig einen Strich durch die Rechnung. Es wirkte eh schon wie ein Zeitspiel ohne reelle Siegchance, wie lange Prudhomme und Teile der Radsportszene auf eine planmäßige Austragung pochten.
Am Dienstag teilten die Veranstalter mit, dass ein Start am 27. Juni nicht möglich sei und man an der Verschiebung arbeite. Nach Medienberichten soll die Rundfahrt nun am 29. August in Nizza beginnen und am 20. September in Paris enden.
Eine Absage der prestigereichsten Radrundfahrt der Welt, die bisher nur im Zuge der Weltkriege nicht stattfand, soll mit allen Mitteln vermieden werden. Die Austragung ist für den Profiradsport schlichtweg überlebenswichtig. „Solange die Tour stattfindet – und es ist relativ egal, ob Zuschauer
zugelassen sind oder nicht, und ob wir im Juni, Juli oder August fahren –, kommen wir mit einem blauen Auge davon“, sagte Ralph Denk, Teamchef des deutschen Topteams Bora-hansgrohe. „Wenn sie nicht stattfindet, wäre es schon blöd.“Ein Großteil der Werbeeinnahmen der Teams – etwa 70 Prozent – werden bei der Tour generiert. Ohne die Tour stünden einige Teams vor dem Aus.
Das größte Ziel aller Beteiligten ist daher, die Tour in diesem Jahr irgendwie zu retten, um die wichtige TVÜbertragung zu garantieren und das Sponsorengeld zu sichern. In den Planungen dürfte die Tour vor der Vuelta, dem Giro d’Italia und den Klassikern Vorrang haben. Der Grund dafür sind nicht nur Prestige und Historie, sondern vor allem das Geld. „Die
Tour de France ist das wichtigste Event im Jahr, nicht nur für uns, auch für unsere Sponsoren. Wenn das stattfindet, kann man über alles andere großzügig hinwegschauen“, meinte Denk. Zahlreiche Verantwortliche und Fahrer haben schon signalisiert, dass der Tour-Termin eine nachrangige Rolle spielt.
Nun beginnt das Ringen um Termine im restlichen Jahr. „Wir haben die Tour, den Giro, die Spanien-Rundfahrt und fünf große Klassiker. Wenn man die irgendwie dieses Jahr unterbringt, ist das Radsport-Jahr noch gerettet“, sagte Denk. Er hatte mit seinem Team in diesem Jahr Großes vor. Der Ravensburger Emanuel Buchmann etwa, im vergangenen Jahr Vierter bei der Tour de France, wollte in Frankreich aufs Podium fahren.
Notfalls auch ohne Zuschauer. „Wir alle sind für die Tour motiviert, egal ob mit oder ohne Zuschauer. So gesehen wäre das eindeutig besser als nichts“, sagte der 27-jährige Ravensburger jüngst.
An Tausende Fans an der Strecke ist momentan nicht zu denken. Während die Tour bis zu Macrons Ansprache am Start Ende Juni festhielt, denken die Veranstalter der Australian Open im Tennis zum Beispiel schon über ein Turnier ohne Publikum nach – für Januar 2021. Eine Tour de France ohne Zuschauer hat Prudhomme bislang aber ausdrücklich ausgeschlossen, wohl auch auf Druck der Gemeinden, die zwar viel Geld für die Aufnahme ins Tourprogramm zahlen, auf den Kosten wegen fehlender Besucher aber sitzen bleiben würden.