Schwäbische Zeitung (Bad Waldsee / Aulendorf)
Vor schwierigen Entscheidungen
Für Lockerungen der Corona-Verordnungen sind wichtige Voraussetzungen nicht erfüllt
BERLIN - Wird der heutige Mittwoch zum Tag der Lockerungen? Viele Deutsche hoffen darauf, dass sich die Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und die Ministerpräsidenten der Länder auf einen schrittweisen Ausstieg aus den Corona-Maßnahmen verständigen werden. Hoffnungen geschürt hatte auch eine Stellungnahme der Nationalen Akademie der Wissenschaften Leopoldina, die von Merkel ausdrücklich als eine Entscheidungsgrundlage für die Politik bezeichnet worden war.
Allerdings zeigt sich, dass die „allmähliche Lockerung“, die von der Leopoldina empfohlen wird, an Voraussetzungen hängt, die es so noch gar nicht gibt. Beispielsweise müssten sich, sagen die Wissenschaftler, „die Neuinfektionen auf einem niedrigen Niveau stabilisieren“. Zwar haben sich, sagt Professor Lothar Wieler der obersten Behörde für Infektionskrankheiten, die Zahlen tatsächlich stabilisiert, aber „auf einem relativ hohen Niveau“.
Auch soll nach dem Willen der Leopoldina das Tragen von
„in bestimmten Bereichen wie dem öffentlichen Personenverkehr Pflicht werden“. Weshalb sich denn auch der SPD-Gesundheitspolitiker Karl Lauterbach fragt, wie denn die Vorschläge der Wissenschaftler „ohne eine ausreichende Menge an wirksamen Masken“funktionieren sollen. Selbst Kliniken, Arztpraxen, Pflegeheime warten auf Masken-Nachschub. Und Wieler verweist darauf, dass nur der professionell produzierte Mundschutz, gern OP-Maske genannt, Schutznormen erfüllt. Selbst genähte „Mund-Nase-Bedeckung“dagegen sei „von sehr unterschiedlicher Qualität“. Dass Infizierte, die von ihrer Ansteckung noch nichts wissen, weil sie erst nach zwei, drei Tagen Symptome bekommen, durch eine solche Bedeckung für ihre Mitmenschen weniger gefährlich seien, sei „eine Annahme, die nicht bewiesen ist“. Mund und Nase zu verhüllen könne daher nur „ein zusätzlicher kleiner Baustein“sein, Abstand und Hygiene dürfe man keinesfalls vernachlässigen. Und im Übrigen müsse man den richtigen Umgang mit Gesichtsschutz trainieren.
Auch hält es die Leopoldina für unabdingbar, „die Erhebung des Infektionsund Immunitätsstatus der Bevölkerung substantiell zu verbessern“. Was bedeutet: Die Dunkelziffer soll ausgeleuchtet werden, um zu wissen, wie viele Bürger Corona überstanden haben und deshalb vermutlich immun gegen die Krankheit sind. Aber auch damit sieht es eher schlecht aus. Laut RKI-Chef Wieler gibt es zwar viele Entwicklungen bei den dafür nötigen
„Aber dafür ist die Qualität der Tests wichtig.“Und daran hapere es noch.
MundNasen-Schutz Antikörpertests.
Für akute Fälle sind solche Tests ungeeignet, da ein Infizierter frühestens nach einer Woche, zumeist aber etwa nach zwei Wochen Antikörper bilde. Bei zwei von neun Patienten im frühen Webasto-Fall, die zu den ersten Infizierten in Deutschland gehörten, hat man festgestellt, dass die Antikörperkonzentration bereits wieder abnimmt.
Und von anderen Coronaviren weiß man, dass sich Infizierte nach einigen Jahre erneut mit dem Virus infizieren können. Wieler sagt denn auch: „Wir wissen nicht, wie stark die Immunität ist“. Antikörper müssten nicht unbedingt etwas über die Immunität aussagen. Auch die Zahl
Der Deutsche Kitaverband lehnt die Empfehlungen der Nationalen Akademie der Wissenschaften Leopoldina zur Wiederöffnung der Kitas ab. Die Bundesvorsitzende Waltraud Weegmann nannte den Vorschlag, Kitas vorerst für Fünf- und Sechsjährige wieder zu öffnen und für alle anderen Kinder bis zum Sommer nur Notbetreuung anzubieten, einen „weitreichenden Eingriff“. Eine Schließung bis zu den Sommerferien würde die Eltern in große Nöte bringen, sagte Weegmann der „Heilbronner Stimme“und dem „Mannheimer Morgen“. Viele Eltern hätten Berufe, in denen sie nicht im Homeoffice arbeiten könnten. „Bleiben die Kitas zu, stellt dies die Familien vor unlösbare Probleme.“ der Tests, die zeigen, wer aktuell infiziert ist, soll gesteigert werden – das fordern RKI, Bundesinnenministerium oder Bundesärztekammer. Allerdings ist laut Wieler die erreichte Testkapazität von 100 000 pro Tag gar nicht ausgelastet.
Eine Begründung, die man etwa von Evangelos Kotsopoulos vom Verband der Akkreditierten Labore in der Medizin oder auch vom Virologen Christian Drosten von der Charité hört: Es mangelt an für die Tests nötigem Material. Es gibt weltweit nur sechs größere Lieferanten dafür, angesichts der Corona-Ausbreitung ist, ähnlich wie bei Schutzbekleidung, ein Kampf um die knappen
Die Vizepräsidentin des Deutschen Kinderhilfswerks, Anne Lütkes, fordert bei einer Lockerung der Maßnahmen derweil Kinder aus prekären Familien als erste wieder in den Schulunterricht zu schicken. Diese Kinder müssten auch bei der Wiedereröffnung von Kitas, Jugendtreffs oder Sportvereinen vorrangig in den Blick genommen werden, sagte Lütkes am Dienstag in Köln bei einem online übertragenen Gespräch mit der Grünen-Fraktion im nordrheinwestfälischen Landtag. Lütkes kritisierte eine verschärfte soziale Spaltung während der Pandemie. So hätten Kinder aus ärmeren sozialen Schichten kaum die Chancen, am E-Learning über einen PC oder Laptop teilzuhaben. (dpa/epd) Erzeugnisse entbrannt. Zudem gilt weiterhin: Es gibt noch immer
keine Medikamente und keinen Impfstoff,
auch wenn weltweit unter Hochdruck an beidem geforscht wird. Laut dem Verband Forschender Arzneimittelhersteller (vfa) sind binnen kurzer Frist global 77 Impfstoffprojekte angelaufen. Die Weltgesundheitsorganisation WHO zählt derzeit 70. Wann daraus aber ein Erfolg wird, ist völlig unklar. Immer wieder mal heißt es, dass im Herbst oder zum Jahresende ein Impfstoff zur Verfügung stehen könnte. Die US-Biotech-Firma Moderna gilt als einer der Hoffnungsträger bei der Entwicklung eines Impfstoffs, denn sie hat bereits mit klinischen Tests begonnen. Aber auch Moderna erklärt, dass bei einem positiven Testverlauf das Mittel erst in zwölf bis 18 Monaten auf den Weltmarkt gebracht werden könnte.
Auch die passende Therapie gibt es noch nicht. Wer schwer erkrankt ist, für den stehen etwa nur fiebersenkende Mittel oder Sauerstoffgabe zur Verfügung. Ein Mittel gegen das Virus aber braucht Zeit. Denn mit dem Entwickeln ist es nicht getan. Es müssen Wirksamkeit, Verträglichkeit, technische Qualität nachgewiesen werden. Ist eine Arznei für eine andere Anwendung zugelassen, sind Verträglichkeit und Qualität bereits dokumentiert. Dann fehlt noch der Nachweis, dass das Mittel gegen das neue Coronavirus wirkt.
Vieles also rund um Sars-CoV-2 ist unklar. Oder wie es Lothar Wieler sagt: „Wir lernen täglich dazu.“Das macht es der Politik nicht leicht, die richtigen Entscheidungen zu treffen.