Schwäbische Zeitung (Bad Waldsee / Aulendorf)
Böse Albträume
Bestseller-Autor Bov Bjerg lassen die Fragen um Leben und Sterben nicht los
RAVENSBURG - Mit „Auerhaus“ist Bov Bjerg ein Bestseller gelungen. Die Geschichte über eine SchülerWohngemeinschaft in einem alten Bauernhaus auf der Alb war Ende vergangenen Jahres im Kino zu sehen. Am Theater Ulm hat am Freitag die Theaterfassung von „Auerhaus“Premiere. Valentin Stroh führt Regie. Und soeben ist ein neues Buch des Schriftstellers erschienen, der Roman „Serpentinen“.
Auch dieses Mal setzt der Wahlberliner die Schwäbische Alb in Szene. Die kennt Bov Bjerg gut. 1965 ist er als Rolf Böttcher in Heiningen bei Göppingen geboren und aufgewachsen. Er ist ein Mensch der leisen Töne. Auf die Frage, warum er angefangen habe, Romane zu schreiben, sagt er: „Ich habe nichts anderes gelernt.“Er sei fasziniert davon, sich über viele Seiten hinweg eine Geschichte auszudenken. Und irgendwann mache ihm das Schreiben Spaß, dann nämlich wenn er seine Texte überarbeite.
„Auerhaus“ist eine lautmalerische Anspielung auf „Our House“der Band Madness. Darin erzählt Bjerg – überraschend humorvoll – von 18-Jährigen, die eine WG gründen, um ihren Freund Frieder von einem weiteren Suizidversuch abzuhalten. Düsterer, aber nicht weniger pointiert, führt Bjerg die Geschichte seines Ich-Erzählers Höppner in „Serpentinen“weiter. Von Anfang an ist klar: Es geht um Leben oder Tod. Höppner kämpft mit einem schweren Familienerbe. Er erlebte als Kind Gewalt in der Familie, die „Scheißwut der Scheißväter“und den Suizid seines Vaters. Später findet er heraus: Alle seine männlichen Vorfahren haben sich das Leben genommen. Höppner glaubt, scheinbar unausweichlich auf einen Suizid zuzusteuern.
Bjergs Hauptfigur plagen unaussprechliche Gedanken. Besonders verstörend ist ein Kapitel, in dem Höppner sich vorstellt, seinen siebenjährigen Sohn umzubringen. Beim Freitod seines Vaters war Höppner ebenfalls sieben Jahre alt. Nun will er den vermeintlichen Teufelskreis durchbrechen: „Die Tradition ist hier zu Ende.“
Vater und Sohn fahren über die Schwäbische Alb, besuchen Orte aus Höppners Kindheit mit dem Ziel, schöne gemeinsame Erinnerungen zu schaffen. Höppner ist in seinem Zwiespalt gefangen. Der Urlaub wird zum Thriller mit offenem Ausgang.
Stirbt der Vater oder der Sohn, oder vielleicht beide?
Einfühlsam schildert der Autor das Innenleben Höppners. „Ich hatte immer wieder mit Menschen zu tun, die in der Psychiatrie waren, einen Suizidversuch gemacht oder sich das Leben genommen haben“, erklärt Bjerg. Daher beschäftige ihn dieses Thema. Durch sarkastische Scherze, Anekdoten und pointierte Aussagen macht er deutlich, wie stark sich Ohnmacht anfühlen kann, aber auch wie das Gefühl sein kann, ein vermeintliches Schicksal nicht einfach hinzunehmen, sondern sich zu wehren.
Bov Bjerg berichtet im Gespräch von einer Gemeinsamkeit mit seinem Ich-Erzähler, die er bereits in „Auerhaus“einbindet: „Ich war sehr friedensbewegt, wollte total verweigern – Wehr- und Zivildienst.“Er musste zur Musterung, 1984 zog er nach Westberlin. „Damals wurden junge Männer mit 18 oder 19 Jahren systematisch zermürbt“, sagt er. Er habe rechtzeitig gemerkt, dass er sich diese Tortur nicht zutraue.
Dass er Schriftsteller werden würde, hat Bov Bjerg lange nicht geahnt. „Ich komme aus einer Familie, in der es nicht zu erwarten war“, erklärt er. Als Erster habe er Abitur gemacht, danach in Berlin, Amsterdam und Leipzig studiert, – Linguistik, Niederlandistik, Politik, Literatur. Er versuchte als Journalist zu arbeiten: „Zum Glück habe ich in einem Praktikum gemerkt, dass ich für den Journalismus schlichtweg zu lahmarschig bin“, erzählt er und lacht. Lange habe er an jedem Artikel herumgepuzzelt und sei doch nie zufrieden gewesen.
Der Wendepunkt kam mit der Satirezeitschrift „Salbader“, die Bjerg 1989 mitbegründete. Zusammen mit seinen Kollegen trug er seine Texte auf Lesebühnen vor. Für die Auftritte wählte Rolf Böttcher das Pseudonym Bov Bjerg, das er bereits für einige Texte verwendete. Er machte es sich zu eigen: Heute verkauft der Schriftsteller nicht nur seine Bücher unter diesem Namen, er tritt auch in Interviews und auf Lesungen als Bov Bjerg auf.
Das Theaterstück „Auerhaus“hat am Freitag, 28. Februar, im Podium des Theaters Ulm Premiere. Weitere Aufführungen am 6., 8., und 25. März. Theaterkasse 0731 161-4444 www.theater-ulm.de