Schwäbische Zeitung (Bad Waldsee / Aulendorf)
Furcht vor dem, was kommen könnte
Wie die Geschichte der Bundesrepublik von einem Gefühl geprägt ist – Montagsforum des Ravensburger Humpis-Museums startet neue Vortragsreihe zum Thema „Angst“
RAVENSBURG - Das Herz schlägt schneller, die Kehle wird trocken und der berühmte Angstschweiß perlt auf der Stirn: Situationen, in denen ein starkes Angstgefühl den Körper durchfährt, hat wohl jeder schon einmal erlebt. Doch auch eine ganze Gesellschaft kann Angst empfinden – etwa die Angst vor Krieg, vor Terror oder vor dem Klimawandel. Jede Generation hat dabei mit ihren eigenen Sorgen zu kämpfen. Wie diese kollektiven Ängste die Geschichte der Bundesrepublik geprägt haben, darüber hat der Historiker Frank Biess im Ravensburger HumpisQuartier gesprochen. Zum Auftakt des neuen Semesters beim Montagsforum des Museums stellte er unter dem Titel „Die Republik der Angst“seine Forschungen vor.
Von der „German Angst“ist im angelsächsischen Sprachraum häufig die Rede. Doch was hat es mit diesem beklemmenden Gefühl eigentlich auf sich, für das die Deutschen auch über die Grenzen hinaus bekannt zu sein scheinen? Eine punktgenaue Definition fällt schwer: Die Symptome variieren, zudem lässt sich Angst kaum von verwandten Gefühlen wie Wut, Scham oder Hass abgrenzen. „Angst ist immer auf die Zukunft gerichtet, aber sie basiert natürlich auf Erfahrungen aus der Vergangenheit“, so umschrieb es Frank Biess bei seinem Vortrag im ausverkauften Montagsforum. In den vergangenen Jahren hat er sich intensiv mit der Rolle von Angst in der Demokratie beschäftigt. Im Februar veröffentlichte er seine Erkenntnisse zudem in einem Buch. Aufgewachsen ist Biess in Heidenheim an der Brenz, heute lebt er in den USA und forscht an der University of California in San Diego.
Als eines der negativsten Gefühle überhaupt genießt die Angst keinen besonders guten Ruf in unserer Gesellschaft. Dabei kann sie nach Ansicht von Biess durchaus auch positive Aspekte haben – nicht zuletzt fungiert sie als natürlicher Schutzmechanismus. „Angst kann auch zu Fähigkeiten verhelfen, um mit gewissen Dingen besser umzugehen“, stellte Biess klar. Heute werde die Geschichte der Bundesrepublik zusammenfassend oft als Erfolgsgeschichte dargestellt. Jedoch nur, wenn man sie als Rückschau betrachte und nicht aus der Perspektive der Zeitzeugen: „Die Menschen wussten ja beispielsweise nach dem Krieg nicht, dass alles gut ausgehen würde und befürchteten Katastrophen“, so der Historiker.
Die Erinnerung an den Zweiten Weltkrieg sei daher immer verbunden gewesen mit der Angst, dass sich etwas Derartiges wiederholen könnte. Die Nachkriegsjahre waren geprägt von einer großen Vergeltungsangst der Deutschen, die fürchteten, dass sie für die Verbrechen der Nazis zur Rechenschaft gezogen würden. Gerüchte gingen um, dass Juden das Trinkwasser vergiften würden oder ehemalige Zwangsarbeiter sich rächen würden. „Die meisten dieser Fantasien, die aus solchen Ängsten entstehen, erweisen sich dann später als unbegründet“, so Biess.
In den 1960er- und 70er-Jahren herrschten Ängste vor, die bestimmt waren von einem Misstrauen der Bürger gegenüber dem Staat und seinem Schutzversprechen. „Auch die Stabilisierung der politischen Lage in Deutschland führte interessanterweise nicht dazu, dass alle Ängste verschwanden, sondern es wurden wieder neue geschürt“, stellte Biess fest. Als Beispiel nannte er die beginnende Automatisierung in der Industrie: „Die Leute befürchteten damals, dass das zu einer Massenarbeitslosigkeit führen würde.“All das habe weniger mit Zukunft zu tun, als mit deutscher Geschichte, so seine These.
In der heutigen Zeit, so ist er überzeugt, gebe es zwei Großängste: „eine von rechts und eine von links“, so der Geschichtsprofessor. Gemeint sind zum einen eine kollektive Angst vor Flüchtlingen und der Migrationsbewegung und zum anderen die Angst vor dem Klimawandel und seinen Folgen. Dabei sei Angst auch immer ein Mittel, um die Aufmerksamkeit auf ein bestimmtes Thema zu lenken, erklärte er – das sei schließlich der natürliche Sinn und Zweck dieses Gefühls.