Schwäbische Zeitung (Bad Waldsee / Aulendorf)
Ravensburgerin klagt über völlig überfüllten Zug
Leserin schildert Chaos am Bahnhof in Aulendorf – Bahn sieht keinen Zusammenhang mit Südbahnsperrung
AULENDORF - Menschenmassen auf dem Bahnsteig, ein völlig überfüllter Zug, hilfloses Bahnpersonal: Was Virginia Schweikert von einem Sonntag vor zwei Wochen am Aulendorfer Bahnhof berichtet, klingt beunruhigend. In einem offenen Brief wendet sich die Ravensburgerin an die Deutsche Bahn. Darin schildert sie chaotische Vorgänge auf dem Bahnsteig und findet deutliche Worte: „Der Schienenersatzverkehr ist nicht gut genug geregelt.“Die Pressestelle der Bahn sieht indes keinen Zusammenhang mit dem Schienenersatzverkehr.
Schweikert ist frisch nach Ravensburg gezogen, ihre Kinder und ihr Partner sind regelmäßige Zugpendler. Die Streckensperrungen zur Elektrifizierung der Südbahn – derzeit fahren zwischen Aulendorf und Biberach nur Ersatzbusse – machen das derzeit kompliziert. Mehr noch, Schweikert findet, die geplanten Kapazitäten würden nicht ausreichen. „Anschlusszüge zu bekommen ist ein Glücksspiel. Es ist im Moment ein Abenteuer, von hier unten wegzukommen – egal wie.“
An besagtem Sonntag begleitet Schweikert ihren Partner. Er will in Aulendorf um kurz nach 17 Uhr den IRE via Sigmaringen und Tübingen nach Stuttgart nehmen. Wegen der Streckensperrung zwischen Aulendorf und Biberach ist die Zollernalbbahn-Strecke derzeit die einzige durchgehende Zugverbindung in die Landeshauptstadt. Dass Reisende nun vermehrt versuchen, diese Verbindung zu nutzen, und es deshalb zu Engpässen kommt, wird von der Bahn verneint. „Wir haben keine signifikante Steigerungen bemerkt“, teilt ein Bahnsprecher auf Nachfrage mit. Schweikerts Schilderungen legen zumindest für den Sonntagnachmittag anderes nahe.
Nicht genügend Platz im Zug
Nur wer rechtzeitig da gewesen sei, habe einen Sitzplatz bekommen. „Was sich dann, nach Ankunft eines weiteren Zuges auf dem gegenüberliegenden Gleis abgespielt hat, das kann und möchte man als Fahrgast kein weiteres Mal erleben“, schreibt sie in ihrem Brief, „Menschenmengen strömen im Dauerlauf mit ihren Koffern, Kinderwagen und Fahrrädern auf den wartenden Zug. Als begleitender Familienangehöriger wird man regelrecht von den Massen überrannt. Zwischendrin eine gehbehinderte Frau, Mütter mit Kindern, ältere Leute, welche mit den Menschentrauben mitgezogen werden. Jeder versucht in den Zug zu kommen, der in einer Minute abfährt. Die Bahnaufsicht steht hilflos da und kann nur in dem ein oder anderen Fall eingreifen, den Zorn der Bahnreisenden sich anhören und um Entschuldigung bitten.“Abgefahren sei der Zug dann aber zunächst nicht, zu voll. Einige Reisende mussten wieder aussteigen.
„Die Deutsche Bahn hat für die Strecke Aulendorf-Stuttgart, für die Fahrt nach Stuttgart an einem Sonntagnachmittag ganze zwei Waggons zur Verfügung gestellt“, kritisiert Schweikert die nicht ausreichenden Kapazitäten. Ihr Partner sei dann in dem völlig überfüllten Zug mitgefahren. Sie selbst blieb am Bahnhof und sprach mit dem Bahnpersonal vor Ort.
„Die waren nur froh, dass heute nichts passiert ist, nachdem in den letzten Tagen eine Frau durch die Massen überrannt wurde“, schreibt Schweikert, die eine Servicekarte ausgehändigt bekam. „Sie haben gesagt: Schreiben Sie dahin, wir kommen nicht weiter“, berichtet sie der SZ. Auch die Reisendenlenker, die den Weg vom Zug zum Ersatzbus am Busbahnhof weisen und für Fragen Ansprechpartner sind, seien mit der Situation überfordert gewesen. „Mir hat das Personal echt leidgetan“, sagt Schweikert.
Bahn: Ein Waggon war defekt
Die Bahn teilt auf Anfrage der „Schwäbischen Zeitung“mit, dass sich der Kundendialog bei Schweikert für die ärgerlichen Umstände entschuldigt habe. „Zu unserem Bedauern gab es an diesem Tag einen technischen Defekt in einem der Waggons, der nicht in der Werkstatt vor Ort behoben werden konnte“, heißt es in dem Schreiben der Bahn. Der kaputte Wagen sei abgehängt worden, weshalb der Zug nur mit zwei statt der vorgesehenen drei Waggons unterwegs war. Es sei nicht möglich gewesen, einen Ersatzwaggon zur Verfügung zu stellen.
Zu weiteren Fragen, etwa, ob es sich bei den Schilderungen Schweikerts um einen Einzelfall handelt oder wie die Bahn auf ein mögliches höheres Reiseaufkommen wegen des Schienenersatzverkehrs auf der Strecke Aulendorf-Tübingen-Stuttgart vorbereitet ist, sagt ein Bahnsprecher: „Wir haben nur dann Überlastungen, wenn irgendein Wagen ausfällt. Auf der Strecke kommt das nicht so oft vor.“Dass mehr Reisende auf den Zug über die Zollernalbbahn nach Stuttgart ausweichen, habe man nicht festgestellt.
Zollernbahn als Alternative
Zumindest für Wochentage kommt Ulrich Köpfler, Leiter der Bahnhofsmission in Aulendorf, zu einer anderen Einschätzung. Klar, viele Leute würden wegen des Schienenersatzverkehrs (SEV) diesen Zug nehmen. Da der Einstieg in diesen Zug etwas schwerer sei, seien die Mitarbeiter der Bahnhofsmission nun auch öfter gefordert. Und auf noch etwas weist Köpfler hin. „Der Zug ist in Aulendorf oft schon gut gefüllt und füllt sich auf der Strecke dann noch weiter.“Das schlagende Argument ist offenbar, dass der Zug durchfährt, beim Schienenersatzverkehr allerdings zusätzliche Umstiege anfallen. Zeitlich, so Köpfler, sei die SEVVerbindung nur zehn Minuten langsamer und funktioniere seiner Erfahrung nach auch gut.
Virginia Schweikert hatte am Sonntag, 23. März, indes wohl doppeltes Pech. Neben dem defekten Waggon war die Verbindung mit Ersatzbussen nach Biberach und weiter über Ulm nach Stuttgart an diesem Tag offenbar besonders umständlich. Vier Stunden und 15 Minuten, gute eineinhalb Stunden länger als mit dem ZollernalbbahnZug, waren Reisende nach SZ-Recherchen an diesem Tag unterwegs – samt drei Umstiegen, der letzte in Aalen. Gut möglich, dass viele Reisende wohl auch deshalb lieber den überfüllten Zug erreichen wollten.