Schwäbische Zeitung (Bad Waldsee / Aulendorf)
Kunstblut für die Terrorshow
Als erstes Bundesland organisiert Bayern eine zivil-militärische Großübung zur Abwehr von Attentätern
- Die Minuten ziehen sich, Sonnenstrahlen knallen auf den Betonplatz vor einer Flughalle des Fliegerhorstes Penzing bei Landsberg am Lech. Dort liegt ein armer Kerl – überströmt von Kunstblut. Das rote Zeugs klebt, wie der Mann bei einem Griff in die Flüssigkeit angewidert feststellt. Er stellt ein Terroropfer bei einer Schauvorführung für Bayern Innenminister Joachim Herrmann dar. Der CSU-Politiker gibt sich gern als der Sheriff seiner Partei und möchte sich am Dienstag selber davon überzeugen, dass während einer zweitägigen Großübung zur Terrorabwehr alles in seinem Sinne läuft.
Eine Seltenheit in Bayern: der Name für die Übung ist ein deutschenglischer Mix. „Bayerische Terrorismusabwehr Exercise 2018“heißt die Operation im holprigen Behördensprech. 2000 Beteiligte sind dabei, Polizisten, Rotkreuzler, Leute des Technischen Hilfswerks und der Feuerwehr, Malteser, Soldaten etcetera. Zwei Tage spielen sie auf dem riesigen, vor der Abwicklung stehenden Fliegerhorst allerlei Notfallszenarien durch. Insbesondere geht es um die heikle zivil-militärische Sicherheitskooperation im Inland – für Deutschland nach wie vor ein heißes Eisen und eine ganz junge Entwicklung. Bayern soll führend sein, wünscht die Staatsregierung, weshalb in Penzing die erste derartige Übung auf Landesebene stattfindet.
Der Minister verspätet sich
Damit Herrmann einen Erfolg präsentieren kann, liegt besagter Mann in der Kunstblutlache. Aber der Minister verspätet sich. Das Publikum aus Blaulicht- und Journalistenkreisen spekuliert schon, dass aus dem Übungsopfer ein wirkliches Hitzeopfer werden könnte. Der Mann auf dem Betonplatz lächelt gequält rüber zu den Journalisten. Aber dann wird alles gut. Hermann steht bereit. Der Terror kann beginnen.
Das Szenario ist simpel und kurz, schließlich hat der Minister an diesem Tag noch andere Termine. Ein Terrorist schießt dem Kunstblutopfer in den Oberschenkel. Daraufhin preschen zwei Sanitätsradpanzer der Bundeswehr auf den Beton, schirmen den Mann gegen weitere Schüsse ab. Aus den jeweils 36 Tonnen schweren Monster springen Polizisten. „Los, los“, hallen ihre Kommandos herüber. Die einen sichern mit Sturmgewehren, die anderen bergen den Verletzten. „Nimm ihn hier, ja, gut so“, ist zu hören. Endlich bekommen die Panzerfahrer von der Bundeswehr zu hören: „Alles klar, wir ziehen uns zurück.“
Wer mal beim Militär war, weiß, dass die Bergung fast unter Gefechtsbedingungen abgelaufen ist. Das heißt, eigentlich hätte man eine reine militärische Aktion erwarten können – für so etwas sind die Bundeswehrsoldaten schließlich ausgebildet. Aber Deutschland ist eben ein kompliziertes Land. Herrmann erklärt später, wo der Teufel im Detail steckt: „So lange Polizisten zur Verfügung stehen, sind Polizisten für den Schutz zuständig.“Gemeint ist für solche Fälle natürlich das Inland. Dafür gibt es einen extra Paragrafen im Grundgesetz sowie zusätzlich verfassungsgerichtliche Interpretationen.
Außer bei einem inneren Notstand wie einer bewaffneten Rebellion ist für die Sicherheit im Lande tatsächlich nur die Polizei zuständig. Dies ist der deutschen Geschichte vom Kaiser- bis zum Dritten Reich geschuldet. Paragraf 35 lässt aber im Katastrophenfall die Hilfe der Bundeswehr zu. Über viele Jahre hinweg gab es dazu gerne Bilder von überschwemmten Tallagen und Sandsäcke füllenden Soldaten. Bei der großen Oderflut 1997 wurde die Bundeswehr so gefeiert, als habe sie alle Feinde Deutschlands im Alleingang zurückgeschlagen. Dass die Soldaten im tiefen Frieden mehr tun könnten, stand nicht zur Diskussion. Erst die mit Flugzeugen durchgeführten Anschläge am 11. September 2001 in den USA lösten ernsthafte weitergehende Überlegungen aus.
Die Frage nach der Ausrüstung
Seinerzeit ging es zuerst darum, ob Luftwaffenpiloten eine entführte Passagiermaschine in letzter Konsequenz abschießen dürfen. Nach längeren juristischen Querelen war klar: Das ist nicht erlaubt, unschuldige Menschen werden nicht geopfert. Nach 2001 kam es aber auch zu anderen Terroraktionen, die zu weiteren schwerwiegenden Fragen führten. Eine davon lautet: Ist die Polizei ausreichend gerüstet, wenn Terroristen militärische Waffen einsetzen und quasi in einem militärischen Stil vorgehen? Bei den Anschlägen von Paris und der Vorstadt Saint Denis am 13. November 2015 mit 130 Toten benutzten die Killer Sturmgewehre. In Deutschland registrierte die Sicherheitsbranche, dass selbst die ansonsten gut gerüstete französische Gendarmerie an ihre Einsatzgrenzen kam. Weshalb der Blick von politischer Seite auf die Bundeswehr fokussierter wurde.
Zu Hilfe kam ein bereits 2012 gefällter Spruch des Bundesverfassungsgerichts. Er dehnt den Begriff Katastrophenhilfe. Zumindest ein schwerer Terroranschlag wird ebenso als Unglücksfall definiert. In diesem Fall darf die Bundeswehr zur Unterstützung der Polizei eingesetzt werden. Die Gesetzeshüter müssen jedoch die Chefs sein. Polizeipräsident sticht General. So weit die theoretische Grundlage. Erstmalig wurde dies bundesweit 2017 in einer länderübergreifenden Stabsrahmenübung geprobt.
Dabei handelt es sich praktisch um eine Art Trockenübung von Führungskräften im Büro. Anders als die Penzinger Großübung ist das kostengünstig, aber durchaus dafür geeignet, erste Probleme zu erkennen. Diese gibt es oft mit der Kommunikation, nicht jeder hat dasselbe Funksystem. Die Folge: Anweisungen oder Informationen kommen eventuell nirgends an. Spannend ist bei einem solchen Abgleich auch das Verhältnis zwischen zivilen und militärischen Kräften. „Stillgestanden“gehört sicher nicht zum Umgangston beim Malteser-Rettungsdienst. Wie von Fachleuten in Penzing berichtet wird, seien sich Rettungsdienste, Polizei und Militär bei der Trockenübung von 2017 schon sehr nahegekommen.
Bereits ein Jahr zuvor hätte aus der Theorie Praxis werden können – ganz ohne Übung. Auf dem Fliegerhorst erinnert Minister Herrmann an den Amoklauf eines Jugendlichen am 22. Juli 2016 in München. Neun Menschen starben. „Die Lage“, sagt Herrmann, „war aber anfangs unklar. Es hätten mehrere Täter unterwegs sein können.“Weshalb man in der Staatskanzlei kurzzeitig überlegt habe, die Bundeswehr zu aktivieren.
Letztlich holten die Bayern nur das österreichische Polizeispezialkommando Cobra zu Unterstützung der eigenen Beamten. Herrmann erinnert aber daran, dass Militär eben „über weitere Fähigkeiten verfügt, die die Polizei nicht hat“. Diese Aussage zielt unter anderem auf die Ausrüstung. So fahren in Penzing die beiden Sanitätspanzer vor – so etwas hat die Polizei nicht. Sie sind vom Typ Boxer, von der Konstruktion her ein Truppentransporter, das modernste Gerät des Heeres. „Gepanzert fast wie Kampfpanzer“, meint stolz ein Hauptmann, als das Publikum nach der Übung allerlei Gerät vom Krankenwagen bis zum Polizeihubschrauber anschauen darf.
Die beiden Boxer sind definitiv die Stars der aufgereihten Einsatzvehikel. Erwachsene Männer wollen hineinklettern wie kleine Kinder. Die Fahrzeuge des Technischen Hilfswerks oder des Bayerischen Roten Kreuzes finden nur wenig Interesse – etwas frustrierend für die Angehörigen dieser Organisationen. Nichtsdestotrotz sind sie vom Sinn der Übung überzeugt. „Wir brauchen noch mehr davon, damit im Ernstfall alles wie am Schnürchen klappt“, meint eine Rot-Kreuz-Frau.
Diese Art von Motivation ist ganz im Sinne von Minister Herrmann. „Weitere Einsatzübungen sind geplant“, gibt er bekannt. Die Frau freut sich. Sie darf zudem noch ein Zuckerle fürs Rote Kreuz registrieren. In dessen Krankenwagen endet nämlich die Übung für den Minister. Das hitzegequälte Opfer mit dem Kunstblut wird vom Panzer in das zivile Gefährt umgebettet. Nur geht die Fahrt nicht zum Krankenhaus, sondern wohl eher zur Dusche. Ob das rote, klebrige Zeug schnell runtergegangen ist, war nicht mehr in Erfahrung zu bringen.