Schwäbische Zeitung (Bad Waldsee / Aulendorf)
Feuer frei auf dem Bodensee
Während des Dreißigjährigen Krieges wurde im südwestlichen Deutschland auch zu Wasser gekämpft
- Die Römerschanze am Lindauer Hafen gehört zu den historischen Wehranlagen der Inselstadt. Es handelt sich um eine ausgedehnte, aus Erde bestehende Plattform, die ummauert wurde. Bis Juli laufen noch Sanierungsarbeiten, aber danach werden dort wieder Pärchen die von Bäumen beschatteten Bänke belegen und junge Leute Musik hörend auf der Mauer sitzen. Eine idyllische Ecke, von der höchstens historisch Interessierte wissen, dass sie einst Kanonen trug.
Zu Beginn des Jahres 1647 dürften dort einsatzbereite Geschütze gestanden haben. Es tobte der Dreißigjährige Krieg – in seinem 29. Jahr. Lindau drohte die Eroberung durch schwedische Truppen, sie hatten die damals Freie Reichsstadt vom Land her eingeschlossen. Aber auch vom See her dräute Kriegerisches. Die für einen Angriff nötigen Schiffe könnten „heute oder längst morgen auslaufen“, ließ der schwedische General Carl Gustav Wrangel an seine Vorgesetzten schreiben, wie es in dem 2016 erschienen Werk „Die schwedische Belagerung der Reichsstadt Lindau 1647“heißt.
Die Wachen auf der Römerschanze hatten den besten Beobachtungspunkt. Wer dort stand, sah am Abend des 22. Januars zwei Schiffe vom benachbarten Bregenz heransegeln. Die seinerzeit zu Vorderösterreich gehörende Stadt war kurz zuvor von den Schweden eingenommen worden. Als Schüsse von den Schiffen abgefeuert wurden, war klar: Der Feind ist da. Ein Zeitzeuge schrieb die Ereignisse auf. Demnach liefen drei Lindauer Schiffe aus. Ihre Besatzungen attackierten den Gegner, bis er wich.
Seekrieg auf dem Schwabenmeer – das klingt heutzutage wie Wasserschlacht im Freibad. Beim Durchschnittsbürger am Bodenseeufer dürfte sich die Erinnerung an Konflikte auf dem Wasser auf ein sehr junges Ereignis konzentrieren: den sogenannten Fischerkrieg in der Bregenzer Bucht von 1991. Es ging um die Frage, wer wo etwas fangen darf. Sogar eine Schrotflinte soll zum Einsatz gekommen sein. Am Schluss kenterte das Boot eines österreichischen Fischers. Es war von der deutschen Wasserschutzpolizei bedrängt worden – aus Versehen, wie es heißt.
Die Auseinandersetzungen während des Dreißigjährigen Krieges waren weniger harmlos. Die Gewässer zwischen Bregenz, Lindau, Friedrichshafen, Überlingen, Konstanz und Radolfzell waren heiß umkämpft. Flottillen der Gegner querten den See, hier die kaiserlich-ka- tholische Seite, dort die schwedischprotestantische Partei. In einem zeitgenössischen, jedoch in modernes Deutsch übertragenen Bericht aus Lindau steht beispielsweise unter 11. Februar 1647: „Diesen Nachmittag sind von Bregenz aus 17 kleine und große Schiffe den See hinabgefahren und haben dabei Lindau passiert.“Eine schwedische Flottille.
Die Eroberung der Mainau
Späteren Berichten zufolge war die von kaiserlicher Seite verteidigte Insel Mainau das Ziel. Mit 3000 Mann eroberten die Schweden das befestigte Eiland, das sie zwei Jahre hielten. Dass die Mainau 279 Jahre später wieder in schwedischen Besitz kam, ist ein geschichtlicher Treppenwitz: Per Erbschaft fiel sie ans Königshaus der Bernadottes. Ein Familienzweig machte aus der Mainau die berühmte heutige „Blumeninsel“.
Aber zurück zu den Ereignissen im 17. Jahrhundert. Anfang März 1647 gab es eine Gegenreaktion kaiserlicher Verbände von Konstanz aus, einem weiteren starken Stützpunkt der katholischen Kriegspartei. Zwölf für den Krieg präparierte Schiffe liefen zur Unterstützung der belagerten Lindauer Garnison aus. Als sie eintrafen, hatten die Schweden den Einschluss der Inselstadt gerade erfolglos abgebrochen. In den folgenden Monaten gingen kaiserliche Schiffe gegen die schwedischen Stützpunkte in Wasserburg, Langenargen und auf der Mainau vor – ohne Erfolg. Jeweils 50 Einheiten dürften beide Parteien aufgeboten haben.
Was seinerzeit zu Kriegszwecken auf dem Bodensee kreuzte, hatte jedoch wenig zu tun mit jenen relativ großen Kampfschiffen, die Kinobesucher etwa aus der populären Filmreihe „Fluch der Karibik“kennen: Mehrmaster, deren Breitseiten mit Reihen von Kanonen bestückt waren. Zum Einsatz kam erst einmal das Vorhandene, etwa Lädinen, bis zu 34 Meter lange Lastschiffe mit einem Segelmast. Ebenso Jagdschiffe, eine Bezeichnung für ein bis zu 27 Meter langes „schnelles Schiff“mit Rudern sowie einer Hilfsbesegelung. Des Weiteren griff man auf Plätten zurück, geruderte Flachboote. Bei Bedarf erhielten die Schiffe leichte Kanonen.
Kriegsschiffe im eigentlichen Sinn gab es auf dem Bodensee nicht. Der 1618 ausgebrochene Krieg erreichte das Binnengewässer des Heiligen Römischen Reichs deutscher Nation mit einer Verspätung von 14 Jahren, als das schwedische Heer nach Süddeutschland vorstieß. Strategisch gesehen ging es um ein Ein- dringen in kaiserlich-katholische Gebiete und damit um die Schwächung der gegnerischen Position. Als eigentliches Motiv wertet die Geschichtswissenschaft hingegen die Absicht, Beute zu machen und das Heer zu ernähren.
Bis dahin war der Bodenseeraum vom Krieg weitgehend verschont geblieben und im Vergleich zu verwüsteten Gegenden weiter im Norden wohlhabend. Erst 1632 trafen die Schweden ein. Die Flottenrüstung begann mit der Beschlagnahme ziviler Schiffe. Die Kaiserlichen machten einen Obristwachtmeister namens Weiss zum „Admiral für den Bodensee“. Den Schweden gelang 1634 die Einnahme von Buchhorn, dem späteren Friedrichshafen. Sie gründeten eine Werft für den Bau von Kampfschiffen. Das größte davon, die „Drottning Kristina“, trug 22 Kanonen.
Unmittelbarer Sinn der Seerüstung war, gegnerische Städte und Festungen auch vom Wasser her angreifen zu können – oder belagerte eigene Positionen mittels Schiffen versorgen zu können. Zudem kam es rasch zu einem Kaperkrieg wie bei Seeräubern. Eroberte Frachtschiffe versprachen eine Belohnung der kriegerischen Mühen. Mithilfe der „Drottning Kristina“konnten die Schweden fünf gegnerische Transportschiffe abfangen. Von privaten Handelsfahrern verlangten sie das Bezahlen einer „Lizenz“. Die schwedische Herrlichkeit war aber rasch zu Ende. Anfang September 1634 verlor ihr Hauptheer die Schlacht bei Nördlingen, woraufhin sie ihre Schiffe am Bodensee zerstörten und dessen Ufern zwölf Jahre fernblieben.
Ein protestantischer Held
Ruhig war die Zeit dennoch nicht, was mit dem Obristen Konrad Widerholt zu tun hatte, der auf der württembergischen Festung Hohentwiel am westlichen Bodenseezipfel kommandierte. Sie war zeitweise die letzte starke protestantische Position in der Region. Konrad Widerholt hielt sie von 1634 bis zum Kriegsende. Im alten Württemberg galt er deshalb als Held, obwohl ihm die Selbstbehauptung nur mithilfe einer weiteren Partei in diesem komplizierten Krieg gelang, den Franzosen. Die Gegenseite sah Widerholt hingegen als Marodeur, weil dieser für seine eigene Versorgung weiträumig alles ausplünderte. Der Hohentwiel sei „ein vergifteter, pest-böser Ort, ein Raubhaus“, ist in einer Überlieferung zu lesen.
Für Schläge gegen westliche Bodenseeorte nutzte der zeittypische Haudegen jedenfalls Schiffe. Pech hatte er 1646 bei einem Überfall aufs Reichenauer Kloster. Mithilfe einer württembergischen Minikriegsflotte wollte er die Mönche um Hab und Gut bringen. Der Wind stand jedoch schlecht. Ohne Schaden anzurichten, trieben die Schiffe von der Reichenau weg Richtung Schweiz.
Von solchen Pleiten abgesehen, gehörte Widerholt nach dem Ende des Dreißigjährigen Kriegs 1648 aber zu den Gewinnern. Der württembergische Herzog ehrte ihn. Für die Nachwelt steht sein Denkmal oben auf der Festung. Vom Seekrieg blieb hingegen fast nichts erhalten. In Bottighofen, einem Uferdorf im Thurgau, ist eine Schiffskanone ausgestellt. Mag sein, dass das eine oder andere Schiff noch auf dem Seegrund ruht. Gefunden wurde nichts. In Lindau existiert im Stadtmuseum eine Kanonenkugel als Erinnerung an die erfolglose Belagerung 1647. Dass Schiffe eingesetzt wurden, lässt sich auf zeitgenössischen Stichen betrachten. Gezeigt wird ein regelrechtes Seegefecht vor dem Hafen mit dick aufgemaltem Pulverdampf.
Literaturhinweis: Otto Mayr: Die schwedische Belagerung der Reichsstadt Lindau 1647 – Der Dreißigjährige Krieg am Bodensee und in Oberschwaben, Allitera Verlag, München 2016.
„Der Hohentwiel ist ein vergifteter, pest-böser Ort, ein Raubhaus.“Zeitgenössisches Urteil über die württembergische Festung