Schwäbische Zeitung (Bad Waldsee / Aulendorf)
Für ein besseres Amerika
Neil Young ruft auf dem Album „The Visitor“zum Widerstand auf
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DÜSSELDORF - Es sei schlecht für den Körper, aber gut für die Seele, schmetterte Neil Young in „Can’ Stop Working“vor einem Jahr auf dem Album „Peace Trail“. Schon da war klar, dass die Schaffenswut des damals 71-Jährigen nicht nur in der knapper werdenden Lebenszeit begründet liegt, sondern ein gutes Stück weit auch den gegenwärtigen Umständen auf der Welt. Weil die sich in den vergangenen zwölf Monaten nicht verbessert haben, verwundert es nicht, wenn er mit „The Visitor“(Reprise/ Warner) schon wieder ein Studioalbum (das mittlerweile 39.) herausbringt. Auch das ist erneut vollgepackt mit erdigen Protestsongs.
Gleich die ersten Zeilen in „Already Great“machen klar, was Sache ist: Er sei zwar immer noch Kanadier, singt Young stolz, doch er liebe die USA, den herrschenden „Way of Life“und die Freiheit. Während er in drei Strophen den Amerikanern vorschwärmt, wie toll ihr Land sei, baut sich im Hintergrund ein Protestchor auf, der im Marschrhythmus „Keine Mauern, keine Verbannungen, kein Faschismus in den USA“intoniert. Direkt und ohne Drumherum hat diese Aufforderung, auf die Straße zu gehen, genauso viel Charme wie seinerzeit das Album „Living With War“(2006), auf dem Young gegen den Irak-Krieg ansang, oder „The Monsanto Years“(2015), auf dem er gegen den Agrarriesen aufbegehrte, der mit genmanipulierten Lebensmitteln den Morgenkaffee verpeste.
Kann Musik die Welt verändern?
Schon auf dem Monsanto-Album holte sich Neil Young Unterstützung von Lukas Nelson (Sohn der Country-Legende Willie Nelson) und dessen Band Promise of The Real wie auch jetzt auf „The Visitor“. Der Sound ähnelt dem des 2015-er-Albums und ist vielseitig. Mit dem achtminütigen „Carnival“gibt es einen psychedelischen Trip in die 1960er. Schwer kann man sich der naiven Anmut der Songs entziehen. Schrammelige Nummern mit polternden Drums und Feedback wie „Fly by Night“oder „When Bad Got Good“wechseln mit Akustiksongs wie „Almost Always“und „Change of Heart“, in dem es heißt, dass es keinen Sinn mache, Mauern zu bauen und sich dahinter zu verstecken – Liebe sei der einzige Weg. Der Bezug zu Donald Trump und dessen „Schutzwall“an der Grenze zu Mexiko liegt auf der Hand. Auch bei dem vom Orchester getragenen „Children of Destiny“, in dem Young die Amerikaner beschwört, aufzustehen für das, woran sie glauben. „Erhaltet das Land und schützt das Meer für das Schicksal unserer Kinder“, heißt es da, oder „erhaltet die Demokratie“, während verträumte Streicher und brachiale Bläser wechseln und so den Kampf Gut gegen Böse symbolisieren.
Mit dem aktuellen Album ruft Young offen zum Widerstand auf. „Wir werden gewinnen, wenn Du und ich groß bleiben“, singt er im hypnotisierenden Refrain von „Stand Tall“, während im Hintergrund Horrormeldungen aus den Nachrichten für Unruhe sorgen und die Jungs von Promise of The Real poltern wie die Crazy-Horse-Band in ihren besten Tagen.
Ob Neil Young mit 72 immer noch in bester Hippie-Tradition daran glaubt, mit Songs die Welt verändern zu können? Keine Ahnung. Auf jeden Fall ist seine Musik besser, als nichts zu tun.