Schwäbische Zeitung (Bad Waldsee / Aulendorf)
An die Wolle gegangen
Derzeit laufen nahe dem Bodensee die deutschen Schafschurmeisterschaften – Tierrechtsaktivisten passt der Wettbewerb nicht
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SALEM - „Scherer! Fertig! Los“, lautet der Startruf des Moderators. Schafsgeruch wabert durch die festlich hergerichtete Fahrzeughalle eines Bauunternehmers außerhalb des Dorfes Buggensegel im Bodenseehinterland. Dröhnende Musik ertönt. Sie soll die Stimmung hochjubeln, den Wettkampf befeuern. Denn das, was gerade angefangen hat, ist nichts weniger als die 16. Deutsche Schafschurmeisterschaft. Am Freitag kurz nach 13 Uhr war der Start. Bis zum Sonntagnachmittag werden gut 70 Scherer aus Deutschland, Österreich, der Schweiz und Schottland 1200 Schafe von ihrer Wolle befreien.
Eigentlich soll es nur ein großes Fest sein, betonen verschiedene Teilnehmer. Vor dem Beginn hat es aber einen Wermutstropfen gegeben. Er kam von den Tierrechtaktivisiten der Organisation Peta. Sie sehen in der Veranstaltung nur einen „blutigen Wettkampf“. Gemeint ist damit, dass es beim Scheren von Schafen zu Hautverletzungen kommen kann. Peta glaubt, der Zeitdruck beim Wettkampf steigere die Häufigkeit solcher Schrammen.
Nach den baden-württembergischen Schurmeisterschaften 2016 in Nattheim auf der östlichen Schwäbischen Alb hat der Verein sogar die Veranstalter wegen angeblicher Verstöße gegen das Tierschutzrecht verklagt – bisher vergeblich. Nun befürchten jedoch Schafscherer, PetaLeute könnten die jetzige Meisterschaft stören. „Die filmen dann die kleinste Hautverletzung oder machen irgendwelche Aktionen mit Plakaten“, sagt Emanuel Gulde.
Der drahtige Mann kommt aus dem Veranstaltungsort, der sich im Hügelland bei Salem versteckt. Er gehört zu der Schafhalter-Familie Gulde und hat die vergangenen drei deutschen Meisterschaften gewonnen. „Klar, dann ist man halt auch heuer Favorit“, meint er.
Emanuel Guldes Bruder Florian wiederum ist vor Ort Hauptorganisator der Meisterschaft.
Als weiterer Veranstalter fungiert der Verein Deutscher Schafscherer. 2009 war der Wettbewerb schon mal bei Buggensegel abgehalten worden. 10 000 Zuschauer kamen. „So soll es wieder sein“, hofft das Brüderpaar.
Während Florian von Beruf Schafhalter ist, arbeitet Scher-Meister Emanuel hauptberuflich als Schafscherer. Von diesen Profis gibt es in Deutschland höchstens noch 30 andere. „20 000 Schafe“berichtet Emanuel Gulde, „schere ich schon im Jahr, einen Teil davon in der Schweiz.“
Für den Moment steht der Champion verhältnismäßig gelassen in der Fahrzeughalle. Die Profi-Klasse, in der er startet, ist am Freitag noch nicht dran. Zeit also auch für ihn, den Blick schweifen zu lassen.
Zu sehen sind Bierbankreihen in der einen Hallenhälfte. Schäfer, Scherer, Kind und Kegel harren dort bei Spezi oder Bier der kommenden Dinge. Die andere Hallenhälfte ist dem Wettkampf vorbehalten. Auf einer Bühne wird an vier Startplätzen geschoren. Die dahinter liegende Hallenwand ziert der groß angebrachte Spruch einer Gruppe von Traktorfans: „25 Jahre Lanz-Bulldog-Club Bodensee.“An der Wand sind Schafpferche. Rund 200 Tiere warten hier auf den aktuellen Wettkampfdurchgang – ruhig, dicht gedrängt. So, wie man Schafe kennt.
Fürs Scheren werden sie einzeln durch eine Klappe dem jeweiligen Wettkämpfer zugeschoben. Zu jenen vier, die anfangen dürfen, gehört Daniel Fauser aus Pfronstetten. Der Ort befindet sich bei Zwiefalten, der bekannten Kloster- und Biergemeinde auf der Schwäbischen Alb. Fauser hält selber Schafe, ist aber nur Gelegenheitsscherer. Dies hat mit gewissen, für Außenstehende nicht sofort sichtbaren Arbeitsteilungen in der
„Schnelligkeit ist nicht alles.“Emily Te Kapa, Schererin aus Schottland
Szene zu tun. Schäfer oder Schafhalter ist das eine. Sie bestellen wiederum für die ein- oder zweimal im Jahr nötige Schur eine Spezialistengruppe von Profi-Scherern. „Ist besser so“, meint Fauser. Dann will er sich auf seinen Auftritt konzentrieren: „Einer muss ja den Anfang machen.“
Wirtschaftliche Malaise
Fauser ist längst nicht der Einzige, der hier die Fahnen der Alb hochhält. Schließlich taucht dies Karstgebirge immer wieder im Zusammenhang mit der Schäferei auf. Es ist traditionell eine gute Gegend für diesen Berufsstand. Gut 10 600 Schafhalter mit mindestens 20 Tieren gibt es noch insgesamt deutschlandweit. In Baden-Württemberg sind es gut 1300. Davon sind rund 125 hauptberuflich tätig, Tendenz stark abnehmend. Der Landesschafzuchtverband hat die letzten zehn Jahre bei der Schafhaltung einen Rückgang um 30 Prozent verzeichnet. Wolle erzielt keine guten Preise mehr. Nur mit dem Fleischverkauf sei noch wirklich Geld verdient, heißt unter Schäfern.
Zwar erlebt auch die Schwäbische Alb diese Malaise. Aber hier ist diese Wirtschaftsform vielfach noch sichtbar – sogar mit traditionellen Wanderschäfern ohne die ansonsten vielerorts übliche Haltung von Schafen in Koppeln. Die Wanderschäfer haben letztlich bei den Städtern das Bild der Schäferei geprägt: ein Mann mit Schlapphut, grobem Mantel und Hirtenstab, der einen Hund und viele Schäflein um sich hat. Von dieser Sorte gibt es landesweit vielleicht noch 15 Vertreter.
Wobei gerade Wanderschäfer die Schwäbische Alb mitgestaltet hat. Ohne sie würde es nicht die berühmten Wacholderweiden geben. Diese Erkenntnis ist sogar bis in die Ministerien nach Stuttgart durchgedrungen. So attestiert Landwirtschaftsminister Peter Hauk von der CDU: „Die Schafhaltung leistet einen bedeutenden Beitrag zur Landschaftspflege und trägt zum Erhalt der Kultur- und Erholungslandschaft bei.“
Schweiß rinnt
Einen solchen Ritterschlag kann auch der bereits erwähnte Alb-Vertreter Fauser für sich in Anspruch nehmen. Er tritt in der Mittelklasse der Ausscheidungskämpfe an. Fauser schert nach alter deutscher Weise mit einer Bankschur. Das heißt, das Schaf liegt auf einem kleinen Podest und nicht auf dem Boden, wie es etwa im größten Schafzuchtland Neuseeland Mode geworden ist. Dank Podest oder Bank muss man sich aber nicht so arg bücken.
Fauser rinnt trotzdem der Schweiß von der Stirn. Er schafft und schafft, hält das jeweilige Schaf zwischen seinen Beinen. Das Tier bleibt dabei ruhig, blökt nicht. Jeder Scherer hat seinen eigenen Schurapparat dabei. Wer sich als Mann gerne eine Glatze rasieren lässt, kennt solche Instrumente. Für Schafe sind sie nur größer.
Am Schluss braucht Fauser für seinen Durchgang mit vier Schafen elf Minuten und 30 Sekunden, also pro Tier fast drei Minuten. Zum Vergleich: Champion Emanuel Gulde liegt üblicherweise bei rund einer Minute. Beifall von den Zuschauern bekommt aber jeder. Indes gibt es aber noch einige Leute, die genauer auf die Schur schauen. Dies sind zwei Veterinärinnen vom Landratsamt Bodensee. Schon am Hallentor prangt ein Schild: „Veranstaltung wird vom Veterinäramt und den obersten Tierschutzbehörden überwacht.“Kritikern soll der Wind aus den Segeln genommen werden.
Die nächsten Zeitgenossen mit Argusaugen sind die Schiedsrichter. Einer davon ist Eberhard Gast, ein Schäfer aus dem Brandenburgischen. Bevor es losgegangen ist, hat er sich noch eine schwarze Krawatte um den Hals geschnürt - bei der Hitze ein Akt des Masochismus. „Wir wollen aber ordentlich aussehen“, betont Gast, bevor er erklärt, worauf die Schiris achten: „Unter anderem saubere Schur und Verletzungen.“Wer seinem Schaf eine Schmarre zufügt, bekommt Punktabzug. „Schnelligkeit ist also nicht alles“, sagt Emily Te Kapa, eine extra aus Schottland angereiste Schererin.
Einzelne Kratzer
Dass es nicht ohne Kratzer abgeht, wird jedoch schon im ersten Durchgang deutlich. Sie wirken auf der geschorenen rosa Haut so ähnlich, als sei einem Frisör das Rasiermesser etwas entglitten. In einem Presse-Statement betont Anette Wohlfarth, Geschäftsführerin des Landesschafzuchtvereins: Hausschafe müssten schon aus Tierschutzgründen von ihrer Wolle befreit werden. Beim Wettbewerb gebe es nicht mehr Verletzungen als bei einer normalen Schur, ergänzt sie.
Immerhin kann auch im SchererAlltag nicht rumgetröttelt werden. Die Leute mit dem Schurapparat werden pro Tier bezahlt. Zeit ist Geld. Und geschoren wird in Buggensegel auch nicht umsonst. Die jeweiligen Schafbesitzer erhalten die Wolle zur Verwertung.
Wie die Schafe geschoren werden, sehen Sie in einem Video unter