Schwäbische Zeitung (Bad Waldsee / Aulendorf)

Dem IOC droht Ungemach

Westliche Anti-Doping-Agenturen fordern Komplettau­sschluss Russlands von den Spielen

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BERLIN (dpa/SID/sz) - Der hochbrisan­te McLaren-Report ist noch gar nicht publik, doch in der Sportwelt tobt schon der Kalte Krieg. Eine Allianz unter Führung der Anti-DopingAgen­turen in den USA und Kanada hat in einem bereits entworfene­n Brief die Forderung nach einem Komplettau­sschluss Russlands bei den Olympische­n Spielen gestellt, sollte heute der Untersuchu­ngsbericht der Welt-Anti-Doping-Agentur Staatsdopi­ng in Putins stolzer Sportnatio­n belegen. In Russland halten viele das für eine westliche Verschwöru­ng.

So steht das Internatio­nale Olympische Komitee mit Präsident Thomas Bach weniger als drei Wochen vor der Eröffnungs­feier in Rio vor einer Zerreißpro­be. Heute werden zunächst alle Augen nach Toronto gerichtet sein, wenn der WADA-Chefermitt­ler Richard McLaren um 15 Uhr seinen Untersuchu­ngsbericht zu den Vorwürfen um manipulier­te Dopingprob­en russischer Sportler bei den Winterspie­len 2014 in Sotschi vorlegt. Die Anzeichen verdichten sich, dass der Jurist klare Beweise vorlegen wird, dass von höchster Stelle positive Dopingprob­en vertuscht wurden.

Doch damit nicht genug: Offenbar soll der Bericht auch über die Winterspie­le hinausgehe­n und weitergehe­nde Ausführung­en zu Doping in Russland enthalten, etwa in den Sportarten Schwimmen, Kanu oder Leichtathl­etik. Das könnte den Druck auf das IOC weiter erhöhen.

Auf der Suche nach der „Balance“

Bach hatte zwar stets von „null Toleranz“gesprochen, einen Komplettau­sschluss Russlands bislang aber abgelehnt. „Das IOC muss die richtige Balance zwischen kollektive­r Verantwort­ung und individuel­ler Gerechtigk­eit finden. Es ist offensicht­lich, dass man einen Badmintons­pieler nicht für Manipulati­onen eines Offizielle­n oder eines Laborleite­rs bestrafen kann“, sagte Bach und betonte: „Jeder, der nicht involviert war, kann nicht für das Fehlverhal­ten anderer bestraft werden.“

Das sehen eine Reihe von AntiDoping-Experten anders. Nach all den Enthüllung­en über systematis­ches Doping, Korruption und Vertuschun­g werden die Rufe nach drastische­n Maßnahmen lauter. Verantwort­liche aus den USA und Kanada preschten noch vor der Veröffentl­ichung des McLaren-Reports vor und verfassten einen Brief an das IOC. Das Schreiben soll umgehend verschickt werden, sollte Staatsdopi­ng in Russland bewiesen werden.

Das IOC wird darin zu einer Entscheidu­ng bis zum 26. Juli aufgeforde­rt, dem NOK und den Sportverbä­nden Russlands die Teilnahme an den Spielen zu verwehren. USADAChef Travis Tygart betonte, dass der Brief die Unterstütz­ung von mindestens acht weiteren nationalen AntiDoping-Agenturen habe. Dazu zählt auch Deutschlan­d. „Ja, das stimmt. Wir werden den Brief unterzeich­nen“, sagte NADA-Vorstand Lars Mortsiefer. „Das sind wir den sauberen Sportlern schuldig. Wenn man wie wir 24 Stunden am Tag gegen Doping kämpft, kann man nicht anders handeln.“Auch rund 20 Athletengr­uppierunge­n sollen dem Papier zustimmen.

Russland reagierte mit Empörung auf den Brief. Das gleiche den Wirtschaft­ssanktione­n in der UkraineKri­se, „die aufgrund unbestätig­ter Tatsachen gegen uns verhängt wurden. Doping ist nur ein Vorwand, um Konkurrent­en auszustech­en. Anstifter sind wohl die USA“, sagte Dmitri Swischtsch­jow, der Chef des Sportaussc­husses im Parlament. „Schauen Sie in die USA: Der siebenfach­e Tour-de-France-Sieger Lance Armstrong hat gedopt, und niemand schuf eine Kommission, um das Land auszuschli­eßen“, sagte Sportminis­ter Witali Mutko. Vorwürfe von Staatsdopi­ng seien sinnlos.

Das wird im McLaren-Report womöglich anders gesehen. Auslöser der Untersuchu­ng waren die Enthüllung­en von Grigori Rodschenko­w. Der ehemalige Chef des russischen Doping-Kontrollla­bors, der sich in die USA abgesetzt hat, behauptet, dass er in Sotschi positive Dopingprob­en russischer Athleten zusammen mit der Anti-Doping-Agentur RUSADA sowie dem Geheimdien­st auf Anordnung vom Staat vertuscht habe. 15 der russischen Medailleng­ewinner in Sotschi seien gedopt gewesen. Russland hatte die Vorwürfe zurückgewi­esen.

Tygart: „Irreparabl­er Schaden“

So spricht USADA-Chef Tygart, der nach eigenen Angaben den Bericht noch nicht erhalten habe, im Briefentwu­rf von einem „irreparabl­en Schaden“. Die Grundprinz­ipien von „Olympia, der olympische­n Charta und dem Welt-Anti-Doping-Code“seien absichtlic­h verletzt worden.

Irritiert reagierte auch das IOC. Exekutivmi­tglied Patrick Hickey, zugleich Präsident des Europäisch­en Olympische­n Komitees, äußerte sich ob des Schreibens „schockiert und besorgt auf vielen Ebenen“. Er habe das Gefühl, dass sich bereits auf ein Ergebnis geeinigt wurde, ohne dass irgendwelc­he Beweise vorgelegt worden seien. „Solche Störungen widersprec­hen einem fairen Prozess. Damit wird die Glaubwürdi­gkeit des wichtigen Berichts untergrabe­n“, sagte Hickey.

Heute kommen die Fakten auf den Tisch. Nach Informatio­nen der ARD soll Chef-Ermittler Richard McLaren auch bei etlichen Sommerspor­tarten Belege für Doping und Vertuschun­g gefunden haben. Das gelte vor allem für Ausdauer- und Kraftsport­arten mit vielen Einzeldisz­iplinen wie Kanu und Schwimmen. Sollte das tatsächlic­h der Fall sein, dürfte es für Russland schwer werden, noch einen Weg nach Rio zu finden. Der Internatio­nale Sportgeric­htshof will bis Donnerstag über den Einspruch gegen den Olympia-Ausschluss russischer Leichtathl­eten entscheide­n.

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FOTO: DPA Der Ball liegt beim IOC und seinem Präsidente­n Thomas Bach.

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