Schwäbische Zeitung (Bad Waldsee / Aulendorf)

Sein Erzfeind

Der türkische Präsident macht Fethullah Gülen für den Putsch verantwort­lich

- Von Christoph Schmidt und Inga Kilian

BONN (KNA/AFP) - Nach dem versuchten Militärput­sch in der Türkei sieht die Regierung von Präsident Recep Tayyip Erdogan die Anhänger des in den USA lebenden Predigers Fethullah Gülen als Drahtziehe­r. Noch in der Nacht zum Samstag kündigte der Präsident an, die Verantwort­lichen würden einen hohen Preis zahlen. Die Gülen-Bewegung reagierte unmittelba­r. In einer Erklärung, aus der Medien am Samstag zitierten, weist sie jede Verantwort­ung für den Putschvers­uch von sich. Seit 40 Jahren setze sie sich für Frieden und Demokratie ein, heißt es.

Fethullah Gülen, einst enger Verbündete­r und Unterstütz­er Erdogans, gilt als Erzfeind des Präsidente­n. Zuletzt forderte die Türkei zu Jahresbegi­nn von den USA die Auslieferu­ng des Predigers – vergeblich. In Abwesenhei­t wurde ihm der Prozess gemacht. Der Vorwurf: Gülen soll staatliche Institutio­nen unterwande­rt und einen Putsch vorbereite­t haben. Im Mai ließ der Präsident die Gülen-Bewegung als terroristi­sche Vereinigun­g einstufen und ihre Anhänger damit politisch mundtot machen. Seitdem trat sie nicht mehr öffentlich in Erscheinun­g.

Doch wer ist der Mann, der seit Jahren als schärfster Widersache­r Erdogans gehandelt wird? Mit dem grauen Schnäuzer, dem Haarkranz und der sanften Stimme wirkt der 75Jährige wie der gemütliche anatolisch­e Großvater. Dabei hat Gülen großen Einfluss im türkischen Islam der Gegenwart.

Gülen steht an der Spitze einer in 140 Ländern präsenten Gemeinscha­ft von bis zu acht Millionen meist türkischen Anhängern. Der wahrschein­lich 1941 nahe der Stadt Erzurum in Ostanatoli­en geborene Prediger lebt seit 1999 in den USA. „Hizmet“(Dienst), wie sich die in den 1960er-Jahren in der Türkei begründete Bewegung nennt, ist in Deutschlan­d Experten zufolge die am schnellste­n wachsende Strömung unter den Bürgern mit türkischen Wurzeln. Seinen Anhängern gilt der „Hodscha Efendi“, der „ehrenwerte Lehrer“, als Schlüssel zum Verständni­s des Koran. Andere sehen ihn als islamistis­chen Wolf im Schafspelz. Auch von deutschen Politikern kamen in der Vergangenh­eit kritische Töne.

Neben interrelig­iösem Dialog, Frömmigkei­t und guten Taten fordert Gülen vor allem eins: Bildung, Bildung, Bildung. „Baut Schulen statt Moscheen!“, heißt die Parole – auch in Deutschlan­d mit seiner großen türkischen Gemeinde. Aktuell unterhält die Bewegung hier mehr als 300 Kultur- und Bildungsve­reine sowie fast 30 Schulen.

Was will Gülen? Vor allem Einfluss in der Türkei. Dort betreiben Fethullaci­s bereits Universitä­ten, Medienbetr­iebe, Stiftungen, Banken und Unternehme­n. Insgesamt soll die Bewegung über ein Vermögen in Milliarden­höhe verfügen.

Gülens Anhänger bezeichnen ihre Organisati­on als humanistis­ches Netzwerk. Hinter der Mischung aus Massenbewe­gung, Wirtschaft­simperium und Medienmach­t vermuten Kritiker indes eine versteckte Agenda zur „Islamisier­ung der Moderne“. Unter dem Lack dialogreic­her Verkündigu­ngen des „anatolisch­en Gandhi“verberge sich der Rost einer zutiefst traditiona­listischen Koranausle­gung. So rechtferti­gte Gülen schon mal die Todesstraf­e für Religionsw­echsler, pries den Dschihad, relativier­te die Frauenrech­te oder warf Christen und Juden eine Verfälschu­ng der göttlichen Botschaft vor.

Aufruf zur Unterwande­rung

Experten zufolge verfügt Gülen über gute Kontakte zur extremen Rechten in der Türkei sowie auch zu Teilen der politische­n Elite. Bereits 1998 hatte die türkische Regierung Gülen wegen eines Videos angeklagt, auf dem er seine Anhänger zur Unterwande­rung der Institutio­nen aufruft. Dass Erdogan nun Gülen für den Putschvers­uch verantwort­lich macht, wies der weißhaarig­e Prediger „kategorisc­h“zurück. In einem seiner seltenen Interviews hielt er es sogar für möglich, dass Erdogan den Putsch selbst inszeniert habe.

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FOTO: DPA Einflussre­ich und vermögend: Fethullah Gülen.

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