Schwäbische Zeitung (Bad Waldsee / Aulendorf)

Nanu? Ein Nandu!

Auf Entdeckung­stour zu den wildlebend­en Laufvögeln Mecklenbur­gs

- Von Stefan Weißenborn

SCHÖNBERG (dpa) - „Die Leute erschrecke­n sich und rufen die Polizei“, erzählt die Frau an der Rezeption einer Pension in der Kleinstadt Schönberg in Nordwestme­cklenburg. Sie hat diese Reaktionen von Besuchern schon oft erlebt. Auslöser des Aufruhrs sind gefiederte Kreaturen: Nandus.

Die Laufvögel leben eigentlich in Südamerika. Doch auch wer statt durch wilde Pampas durch die geordnete Kulturland­schaft östlich des Ratzeburge­r Sees wandert, hat keine schlechten Karten, den flugunfähi­gen Vögeln zu begegnen. Denn sie wohnen auch in Mecklenbur­g – in freier Wildbahn. Als sie 1999 südlich von Lübeck aus einer privaten Haltung ausbrachen, rechnete niemand damit, dass sich die Tiere etablieren würden.

Einer, der ihren langsamen Siegeszug seit Jahren beobachtet, ist Hermann Kielhorn, Jäger im Ruhestand, der auf einigen Hektar unweit der Ostsee als Pächter eines Reviers noch immer aktiv ist. Er zeigt uns, wo die Nandus sind. Um den Laufvögeln auf die Spur zu kommen, muss man kein Flugzeug besteigen – es genügt eine Fahrt mit Kielhorns Geländewag­en. Auch zu Fuß lässt es sich ab Schönberg losziehen.

Plötzlich tauchen sie auf. Vögel in Hühnergröß­e, erst einer, dann zwei, dann drei. Insgesamt acht Küken queren von links den Weg am Ortsausgan­g von Törpt, einem Ortsteil von Niendorf. Und hintendrei­n schreiten stolz zwei ausgewachs­ene Hähne, von Kopf bis Fuß gut 1,50 Meter groß – bei den Nandus sind die Männchen für das Brüten und die Aufzucht zuständig. Als die Tiere Kielhorns Auto bemerken, erwacht ihr Beschützer­instinkt. Eilig staksen sie samt Brut auf ein abgeerntet­es Weizenfeld.

Anders als heimische Tiere wie Wildschwei­n, Fuchs oder Reh stolzieren die Nandus auf offenem Feld auch tagsüber weit sichtbar umher. Als wüssten sie, dass man ihnen nicht viel könnte. „Ihre Fluchtdist­anz ist ausgezeich­net“, sagt Kielhorn. So einen Laufvogel einzuholen, wäre keine leichte Übung, bis zu 60 km/h schnell kann er rennen.

Einen Eindruck vom Spurtvermö­gen dieser Tiere bekommen wir, als Kielhorn in einem weitem Bogen um die Vögel herumwande­rt und versucht, sie uns vor die Kameralins­e zu scheuchen. Aufgeschre­ckt drücken die beiden Hähne auf die Tube – den Nachwuchs im Schlepptau. Ihre Körper schieben sich dabei ohne jegliches Auf oder Ab wie an einer Schnur am Horizont entlang. Nur die Beine bewegen sich.

Die Erfolgsges­chichte der Verwandten der Vögel Strauß und Emu in Mecklenbur­g begann mit einer Fehleinsch­ätzung: Man nahm an, dass die Handvoll ausgebroch­ener Tiere die Winter Norddeutsc­hlands nicht ertragen würden. Doch die Laufvögel vermissten offenbar weder das subtropisc­he Klima noch Lama oder Tapir.

Als heimisch eingestuft

Auch von offizielle­r Seite hat man den Nandu als alltäglich­es Phänomen akzeptiert: Vom Amt für das Biosphären­reservat Schaalsee, wo sich die Vögel bevorzugt vermehren, werden sie „als heimische, wild lebende Art eingestuft, da sie sich seit mehr als zehn Jahren erfolgreic­h im Freiland reproduzie­rt“. Nach Ministeriu­msangaben hat sich der Laufvogel ostwärts schon bis in die Nähe des Schweriner Sees ausgebreit­et. Wirtschaft­lich nennenswer­te Schäden richte er dabei nicht an, obwohl ein Landwirt schon einmal behauptet habe, um seine Rapsernte gebracht worden zu sein.

Ein Trip mit einem Waidmann wäre nichts ohne ein wenig Jägerlatei­n. Kielhorn erzählt: „Ein Jagdkolleg­e behauptet, ein Nandu habe sich einmal im Stacheldra­ht verfangen. Er habe ihn erlösen müssen.“Anschließe­nd brutzelte sich der Kollege dann ein Steak von dem Lauftalent. „Es müsste wie Strauß schmecken“, mutmaßt Kielhorn. Ein anderes Mal habe sich ein Bekannter eines Nandu-Eis bemächtigt und es in die Pfanne gehauen. „Das muss ein Omelett gegeben haben!“

Unter Artenschut­z

Doch erlaubt ist all das nicht. Denn der Nandu steht unter dem Schutz des Washington­er Artenschut­zabkommens. Weder darf er geschossen, noch seine Gelege angetastet werden. Allerdings steht er als potenziell invasive Art unter Beobachtun­g. Doch Anlass zu Eingriffen in die Population sieht man bislang nicht. Natürliche Feinde behindern die Nandus im fremden Territoriu­m kaum. Vereinzelt würden Wildschwei­ne die Gelege fressen, sagt Kielhorn. Aber schon ein Fuchs hätte keine Chance, an einem Altvogel vorbei an ein Küken zu kommen.

Dass bislang niemand das touristisc­he Potenzial abschöpft, das die langbeinig­en Kreaturen mit den gebogenen Hälsen mitgebrach­t haben, verwundert. Beim Tourismusv­erband Mecklenbur­g-Vorpommern heißt es, der Nandu sei zu umstritten im Lande.

Noch ist man sich offenbar nicht so ganz einig, wie man mit dem Federvieh umgehen soll. Wird es irgendwann doch die Ernte oder gar heimische Arten bedrohen? Die CDU im Schweriner Landtag forderte vor einigen Jahren, die Tiere zum Abschuss freizugebe­n.

„Die Fluchtdist­anz der Nandus ist ausgezeich­net.“Hermann Kielhorn, Jäger im Ruhestand

Oder sind die straußenäh­nlichen Exoten eine lukrative Attraktion? Immerhin werden vereinzelt Vorträge zu dem Laufvogel gehalten. Doch regelmäßig­e Angebote in dieser Richtung gibt es bislang nicht. Solang sich daran nichts ändert, müssen Touristen sich eigenständ­ig auf die Pirsch begeben.

Zum Schluss unseres Trips kommen wir dem Laufvogel ganz nah. Die Wasserober­fläche des Ratzeburge­r Sees glitzert im Sonnenlich­t. Dann stehen da wie surreale Skulpturen in der Kulturland­schaft vier Exemplare und picken das, was von der Weizenernt­e übrig ist. Bis auf zehn Meter lassen uns die Hennen an sich heran. Sie recken die Hälse und suchen Blickkonta­kt. Die Tiere scheinen zu wissen: Sie könnten flüchten, wenn sie wollten. Müssen sie aber nicht.

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Mancher denkt vielleicht an den Vogel Strauß – doch hier handelt es sich um einen Nandu.
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Hermann Kielhorn zeigt ein NanduEi. Der ehemalige Förster weiß, wo man die Tiere in Mecklenbur­g antrifft.

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