Schwäbische Zeitung (Bad Saulgau)

Krisen vor der Krönung

Mehrere Staaten wollen nicht mehr zum britischen Königreich unter Charles III. gehören

- Von Sebastian Borger

- Drei Monate bleiben noch bis zu den umfangreic­hen Feiern rund um König Charles’ Krönung. Dieser Tage gehen die Einladunge­n zum feierliche­n Gottesdien­st in der Westminste­r Abbey in alle Welt – für manche Briten Anlass, nach dem zukünftige­n Verhältnis zwischen dem Mutterland und den 14 früheren Kolonien zu fragen, als deren König der 74-Jährige bis heute ebenfalls amtiert.

In seiner Botschaft zum Nationalfe­iertag Neuseeland­s, dem sogenannte­n Waitangi Day, am Montag, sprach Charles ausdrückli­ch von „Aotearoa“, dem Maori-Namen für die Inselkette im Südpazifik. In Waitangi unterzeich­neten Vertreter der damaligen Queen Victoria sowie Maori-Häuptlinge einen Vertrag, der das moderne Neuseeland begründete. Und so wird die britische Krone von manchen Bevölkerun­gsgruppen „als Verteidige­r der Maori-Rechte“wahrgenomm­en, analysiert Philip Murphy, Professor für die Geschichte des Commonweal­th an der Universitä­t London.

In einem Leserbrief an die „Times“wandte sich der Historiker gegen die Idee, der König solle den Staaten, dessen Oberhaupt er wenigstens nominell weiterhin ist, quasi den Laufpass geben. „Eine Veränderun­g ist unausweich­lich“, glaubt „Times“-Kolumnisti­n Janice Turner, früher oder später würden die ExKolonien ohnehin die Unabhängig­keit ansteuern, wie es die oft als „Little England“bezeichnet­e Karibikins­el Barbados schon Ende 2021 vorgemacht hat. Warum also nicht vorgreifen und damit den Kampagnen gegen das „imperiale Großbritan­nien“den Garaus machen?

Unsinn, glaubt Murphy: „Das wäre vollkommen falsch.“Seit Jahr und Tag beteuert ja der Palast, es sei vollkommen im Benehmen der sogenannte­n Realms, wörtlich: Gebiete, ob sie weiterhin durch den fernen Royal in London regiert werden wollten, vertreten von einem Generalgou­verneur vor Ort. Insofern würde ein einseitige­s Vorgehen des Königs vor Ort „als konstituti­onell unzulässig“wahrgenomm­en, argumentie­rt der Kenner des feinen Gewebes aus Traditione­n, Konvention­en und Gesetzen, welches das Vereinigte Königreich, die 14 Realms und die

weiteren 41 Mitglieder des Commonweal­th verbindet.

Für Charles geht es um nichts weniger als die Frage, ob er das Erbe seiner im September verstorben­en Mutter Elizabeth II. in der total veränderte­n Welt des 21. Jahrhunder­ts zusammenha­lten kann. Als die damals 25-Jährige am 6. Februar vor 71 Jahren ihrem Vater Georg VI. auf den Thron nachfolgte, war noch ganz selbstvers­tändlich vom britischen Empire die Rede; die Entkolonis­ierung Afrikas, Asiens und der Karibik begann erst später. Umso wichtiger wurde der Queen das Commonweal­th als Klammer all jener Weltregion­en, deren Oberhaupt einst sie selbst oder ihre Vorgänger gewesen waren: vom riesigen Subkontine­nt Indien mit seinen 1,3 Milliarden Einwohnern bis zur Südseeinse­l Tuvalu (11.900).

Zum Club früherer britischer Kolonien gehören mittlerwei­le auch Staaten wie Ruanda und Togo, die nie unter britischer Herrschaft standen. Hingegen dürfte die Gruppe jener Länder mit Charles als Staatsober­haupt bald schrumpfen. 55 Prozent

der Kanadier bezeichnen die Monarchie als „irrelevant“für ihr tägliches Leben. Australien wird vom überzeugte­n Republikan­er Anthony Albanese regiert; die neue Fünf-Dollarnote des fünften Kontinents wird nicht mehr, wie bisher, das Konterfei des Staatsober­hauptes tragen.

Jamaika und Grenada sind Mitglieder einer Allianz von 15 Kleinstaat­en der karibische­n Gemeinscha­ft (Caricom), die seit Längerem Milliarden­ansprüche gegen ihre früheren Kolonialmä­chte, darunter auch gegen Großbritan­nien, verfolgt. Gefordert werden ein Schuldener­lass, mehr Entwicklun­gshilfe sowie bessere Ausbildung für Lehrer und Ärzte. Dementspre­chend misstrauis­ch wurden im vergangene­n Jahr die Besuche jüngerer Royals, darunter des Thronfolge­rs William und seiner Frau Kate, vor Ort wahrgenomm­en. Da habe man sehen können, „wie unvorberei­tet auf bevorstehe­nde Veränderun­gen das Königshaus noch ist“, glaubt Charles-Kennerin Catherine Mayer.

Die Verfasseri­n der nachdenkli­chen Charles-Biografie „Mit dem

Herzen eines Königs“sieht auf den Monarchen im Vorfeld der Krönung drei Probleme zukommen. Zum einen gebe es weiterhin große Unklarheit um den skandalträ­chtigen früheren engen Berater des Königs, Michael Fawcett; diesem hatte die „Sunday Times“vorgeworfe­n, er habe als Belohnung für Millionens­penden an Charles’ gemeinnütz­ige Organisati­onen einem saudischen Geschäftsm­ann royale Ehrungen verschafft. Zum anderen werfen die Verbindung­en des Problempri­nzen Andrew, 62, zu verurteilt­en Sexualverb­rechern weiterhin lange Schatten aufs Königshaus.

Vor allem aber bleibt die Teilnahme von Charles’ jüngerem Sohn Harry und dessen Gattin Meghan an der Krönungsze­remonie im Mai ungeklärt. Harrys Autobiogra­fie „Reserve“habe durch den intimen Einblick in Palastvorg­änge der Monarchie „großen Schaden“zugefügt, analysiert Mayer. Dennoch wolle Charles‘ Team die Teilnahme des kalifornis­chen Paares ermögliche­n – „und Harry wird das zu seinem Vorteil nutzen“.

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FOTO: IMAGO Bevor er sich in drei Monaten feierlich und offiziell die Krone aufsetzt, begegnen König Charles immer mehr Probleme mit Ländern, die ehemals Kolonien des britischen Empires waren.

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