Schwäbische Zeitung (Bad Saulgau)

Ein Hauch von Wembley

Japans Siegtor gegen Spanien erhitzt die Gemüter – FIFA betont Rechtmäßig­keit des Treffers

- Von Erik Roos und Marco Krummel

DOHA (SID) - Luis Enrique traute seinen Augen nicht. „Ich habe ein Foto gesehen, das manipulier­t worden sein muss. Es kann nicht sein, dass dieses Foto echt ist“, sagte Spaniens Nationaltr­ainer fassungslo­s und sprach vielen deutschen Fans aus dem Herzen. Denn jenes heiß diskutiert­e Foto zeigt den Moment kurz vor dem japanische­n Siegtor zum 2:1, das Spaniens Niederlage besiegelte – und damit auch das deutsche WM-Aus. Im Zentrum stand die uralte Frage: Drin oder nicht drin?

Japans Kaoru Mitoma hatte den Ball von der Grundlinie gekratzt, seine Flanke verwertete der Düsseldorf­er Ao Tanaka. Auf Bildern aus seitlicher, aber verzerrend­er Perspektiv­e ist zwischen Ball und Linie tatsächlic­h grüner Rasen zu sehen. Fotos aus der Vogelpersp­ektive stützen hingegen eher die Entscheidu­ng des mexikanisc­hen Video-Assistente­n Fernando Guerrero. So oder so: Es ging um Millimeter. Kein Wunder, dass deutsche Fans und Kommentato­ren gleich an das Wembley-Tor 1966 dachten. Anhänger in England wiederum erinnerten mit leichter Schadenfre­ude an das „Ghost Goal“von Frank Lampard im WMAchtelfi­nale 2010 gegen Deutschlan­d, das nicht gegeben wurde.

Ganz nah dran stand Tanaka, doch auch der Torschütze war ratlos. „Für mich war er halb aus, aber so richtig konnte ich es nicht sehen. Wenn er ihn aus gegeben hätte, hätte ich es akzeptiert“, sagte der Fortuna-Profi. „Er“, das war Schiedsric­hter Victor Gomes, der eine unglücklic­he – wenn auch undankbare – Rolle spielte. Der Südafrikan­er entschied zunächst ebenso wenig auf Tor wie sein zögernder Linienrich­ter. „Sie überlassen es komplett dem VAR. Welch Entwicklun­g“, schrieb der ehemalige Bundesliga-Referee Manuel Gräfe bei Twitter.

Aber durfte der Video-Assistent überhaupt einschreit­en? Schließlic­h lag keine klare Fehlentsch­eidung vor. IFAB-Regel 9.1 besagt, dass der Ball aus

ist, wenn „er auf dem Boden oder in der Luft die Linie vollständi­g überquert hat.“Genau das war aber trotz dreiminüti­ger Überprüfun­g zumindest anhand der veröffentl­ichten Bilder nicht zu klären.

Erst am Freitagnac­hmittag veröffentl­ichte die FIFA bei Twitter die Aufnahmen, die beim Videobewei­s verwendet worden waren. „Andere Kameras zeigen möglicherw­eise irreführen­de Bilder, aber den verfügbare­n Beweisen zufolge war der Ball nicht vollständi­g aus dem Spiel“, hieß es.

Herzlich egal sein konnte das ganze Theater den eigentlich­en Profiteure­n. „Japan steht von den Toten auf – schon wieder“, schrieb die Nachrichte­nagentur „Kyodo News“über die Comeback-Könige aus Japan, die schon gegen Deutschlan­d einen Rückstand gedreht hatten. Chefcoach Hajime Moriyasu jubelte: „Auch für Asien wird die Tatsache, dass wir gegen Deutschlan­d und Spanien, Top-Länder der Welt, gewinnen konnten, viel Selbstvert­rauen geben. Wir müssen noch viel lernen, aber wir sind zuversicht­lich,

dass der asiatische und der japanische Fußball die Topteams der Welt schlagen kann.“Auch Ministerpr­äsident Fumio Kishida war über den Achtelfina­l-Einzug begeistert. Japan habe „im größten Spiel ein tolles Ergebnis“erzielen können.

Gelingt nun als Gruppensie­ger am Montag gegen Vizeweltme­ister Kroatien ein erneuter Coup, wäre das Team sogar unsterblic­h. „Jetzt wollen wir Geschichte schreiben“, sagte Kapitän Maya Yoshida. Notfalls auch mit einem Hauch von Wembley.

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FOTO: KYODO/DPA Aus oder nicht Aus? Das entscheide­nde Tor Japans gegen Spanien wirft weiter Fragen auf.

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