Schwäbische Zeitung (Bad Saulgau)
Ein Hauch von Wembley
Japans Siegtor gegen Spanien erhitzt die Gemüter – FIFA betont Rechtmäßigkeit des Treffers
DOHA (SID) - Luis Enrique traute seinen Augen nicht. „Ich habe ein Foto gesehen, das manipuliert worden sein muss. Es kann nicht sein, dass dieses Foto echt ist“, sagte Spaniens Nationaltrainer fassungslos und sprach vielen deutschen Fans aus dem Herzen. Denn jenes heiß diskutierte Foto zeigt den Moment kurz vor dem japanischen Siegtor zum 2:1, das Spaniens Niederlage besiegelte – und damit auch das deutsche WM-Aus. Im Zentrum stand die uralte Frage: Drin oder nicht drin?
Japans Kaoru Mitoma hatte den Ball von der Grundlinie gekratzt, seine Flanke verwertete der Düsseldorfer Ao Tanaka. Auf Bildern aus seitlicher, aber verzerrender Perspektive ist zwischen Ball und Linie tatsächlich grüner Rasen zu sehen. Fotos aus der Vogelperspektive stützen hingegen eher die Entscheidung des mexikanischen Video-Assistenten Fernando Guerrero. So oder so: Es ging um Millimeter. Kein Wunder, dass deutsche Fans und Kommentatoren gleich an das Wembley-Tor 1966 dachten. Anhänger in England wiederum erinnerten mit leichter Schadenfreude an das „Ghost Goal“von Frank Lampard im WMAchtelfinale 2010 gegen Deutschland, das nicht gegeben wurde.
Ganz nah dran stand Tanaka, doch auch der Torschütze war ratlos. „Für mich war er halb aus, aber so richtig konnte ich es nicht sehen. Wenn er ihn aus gegeben hätte, hätte ich es akzeptiert“, sagte der Fortuna-Profi. „Er“, das war Schiedsrichter Victor Gomes, der eine unglückliche – wenn auch undankbare – Rolle spielte. Der Südafrikaner entschied zunächst ebenso wenig auf Tor wie sein zögernder Linienrichter. „Sie überlassen es komplett dem VAR. Welch Entwicklung“, schrieb der ehemalige Bundesliga-Referee Manuel Gräfe bei Twitter.
Aber durfte der Video-Assistent überhaupt einschreiten? Schließlich lag keine klare Fehlentscheidung vor. IFAB-Regel 9.1 besagt, dass der Ball aus
ist, wenn „er auf dem Boden oder in der Luft die Linie vollständig überquert hat.“Genau das war aber trotz dreiminütiger Überprüfung zumindest anhand der veröffentlichten Bilder nicht zu klären.
Erst am Freitagnachmittag veröffentlichte die FIFA bei Twitter die Aufnahmen, die beim Videobeweis verwendet worden waren. „Andere Kameras zeigen möglicherweise irreführende Bilder, aber den verfügbaren Beweisen zufolge war der Ball nicht vollständig aus dem Spiel“, hieß es.
Herzlich egal sein konnte das ganze Theater den eigentlichen Profiteuren. „Japan steht von den Toten auf – schon wieder“, schrieb die Nachrichtenagentur „Kyodo News“über die Comeback-Könige aus Japan, die schon gegen Deutschland einen Rückstand gedreht hatten. Chefcoach Hajime Moriyasu jubelte: „Auch für Asien wird die Tatsache, dass wir gegen Deutschland und Spanien, Top-Länder der Welt, gewinnen konnten, viel Selbstvertrauen geben. Wir müssen noch viel lernen, aber wir sind zuversichtlich,
dass der asiatische und der japanische Fußball die Topteams der Welt schlagen kann.“Auch Ministerpräsident Fumio Kishida war über den Achtelfinal-Einzug begeistert. Japan habe „im größten Spiel ein tolles Ergebnis“erzielen können.
Gelingt nun als Gruppensieger am Montag gegen Vizeweltmeister Kroatien ein erneuter Coup, wäre das Team sogar unsterblich. „Jetzt wollen wir Geschichte schreiben“, sagte Kapitän Maya Yoshida. Notfalls auch mit einem Hauch von Wembley.