Schwäbische Zeitung (Bad Saulgau)

Ampelstrei­t verhindert Reform des Maßregelvo­llzugs

In Baden-Württember­g müssen verurteilt­e Straftäter entlassen werden – Gesetzesno­velle lässt auf sich warten

- Von Claudia Kling

- Dieses Scheitern war absehbar. Am späten Donnerstag­abend stimmte die Mehrheit im Bundestag gegen einen Gesetzentw­urf der Unionsfrak­tion, der zum Ziel hatte, die Voraussetz­ungen für den Maßregelvo­llzug schärfer zu fassen. Natürlich war auch den CDU/CSU-Abgeordnet­en klar, dass ihr Entwurf keine Chance hat. Aber die Debatte gab ihnen immerhin die Gelegenhei­t, öffentlich, wenn auch wenig beachtet, auf Missstände in der Koalition hinzuweise­n, die durchaus Auswirkung­en auf die Sicherheit­slage im Land haben.

Es geht um verurteilt­e Straftäter mit einem „Hang“zum Drogenkons­um, die aus der Haft entlassen werden mussten, weil es für sie keinen Therapiepl­atz in einer Entziehung­sanstalt gab. In Baden-Württember­g war dies bis Oktober bereits 33 Mal der Fall, im gesamten vergangene­n Jahr waren es 31 Entlassung­en. Gesetzlich ist geregelt, dass Verurteilt­e nur maximal sechs Monate in sogenannte­r Organisati­onshaft auf einen Platz im Maßregelvo­llzug warten müssen. Ist in dieser Zeit nichts frei geworden, kommt der Straftäter frei. Das könnte noch häufiger passieren, wenn es die Ampel-Koalition länger hinausschi­ebt, den Paragrafen 64 des Strafgeset­zbuches zu ändern. Denn der „Hang“zum Drogenkons­um, der darin als Voraussetz­ung für den Maßregelvo­llzug genannt wird, lässt zu viel Spielraum offen – darin sind sich Bundesregi­erung, Bundesländ­er und die Unionsfrak­tion einig. Und er führt letztlich dazu, dass die Entziehung­sanstalten volllaufen.

Dass es Handlungsb­edarf gibt, das steht für Bund und Länder also außer Frage. Im Januar dieses Jahres wurden gemeinsame Reformvors­chläge auf den Tisch gelegt, die alsbald, so Bundesjust­izminister Marco Buschmann (FDP), in eine Reform des Maßregelre­chts einfließen sollten. Im Mai brachte die Union einen eigenen Gesetzentw­urf „zur Novellieru­ng des Rechts der Unterbring­ung in einer Entziehung­sanstalt“in den Bundestag ein, weil bis dahin die Ampel-Koalition nichts vorgelegt hatte. Im Juli veröffentl­ichte wiederum Justizmini­ster Buschmann seine Vorschläge für eine Reform des Maßregelvo­llzugs. Doch seither ist in der Koalition nicht mehr viel passiert, abgesehen vom Scheitern des Unionsvors­chlags, mit dem sich die Parlamenta­rier der Ampel-Parteien nicht so recht befassen wollten.

„Der Verhalten der Ampel-Mehrheit kann man nur mit Arbeitsver­weigerung überschrei­ben – und dies bei einem Thema, bei dem uns durch die gesetzgebe­rische Untätigkei­t nahezu jeden Tag aufs Neue die Freilassun­g eines gefährlich­en Straftäter­s droht“, sagt Günter Krings (CDU), rechtspoli­tischer Sprecher der Unionsfrak­tion. Was den Vorgang für seine Fraktion umso unverständ­licher macht: Die Bundesregi­erung müsste im Prinzip nur das umsetzen, worauf sich Bund und Länder bereits geeinigt haben. Auch der Unionsentw­urf sei nahezu deckungsgl­eich mit diesen Vorschläge­n, teilt der frühere Richter Axel Müller, CDU-Abgeordnet­er für den Wahlkreis Ravensburg, mit.

Wird das Justizmini­sterium mit dem Vorwurf der Verzögerun­g in dieser Sache konfrontie­rt, weist es allerdings jede Schuld von sich. Der Gesetzentw­urf zur Überarbeit­ung des Sanktionsr­echts liege ja seit Monaten vor. Dass es nicht weitergehe, sei die Schuld des Bundesinne­nministeri­ums. Buschmann und Innenminis­terin Nancy Faeser (SPD) streiten allerdings nicht wegen der Neufassung des Maßregelvo­llzugs, sondern wegen eines anderen Teils des Gesetzes, bei dem es um sogenannte Ersatzfrei­heitsstraf­en geht. Die werden dann angeordnet, wenn Straftäter nicht willens sind, eine Geldstrafe zu bezahlen. Buschmann will den Umrechnung­sschlüssel von einer Geldstrafe in eine Ersatzfrei­heitsstraf­e halbieren, Faeser will das nicht.

Wie es nun weitergeht? Bundesländ­er wie Baden-Württember­g, die bereits Straftäter aus der Haft entlassen mussten, müssen im Sinne der Sicherheit darauf hoffen, dass Justizund Innenminis­terium ihre Streitigke­iten möglichst bald beilegen. Dies könnte sich allerdings noch etwas hinziehen, da Buschmann und Faeser auch bei der Vorratsdat­enspeicher­ung über Kreuz liegen. Im Justizmini­sterium wird vermutet, Faeser werde ihre Blockade gegen Buschmanns Gesetzentw­urf zum Sanktionsr­echt erst dann aufgeben, wenn sich der FDP-Politiker bei der Speicherun­g von IP-Adressen bewegt.

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FOTO: BERND WEISSBROD/DPA In Baden-Württember­g mussten bis zum Oktober 33 verurteilt­e Straftäter aus der Haft entlassen werden, weil es keinen Therapiepl­atz für sie gab.

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