Schwäbische Zeitung (Bad Saulgau)
Ampelstreit verhindert Reform des Maßregelvollzugs
In Baden-Württemberg müssen verurteilte Straftäter entlassen werden – Gesetzesnovelle lässt auf sich warten
- Dieses Scheitern war absehbar. Am späten Donnerstagabend stimmte die Mehrheit im Bundestag gegen einen Gesetzentwurf der Unionsfraktion, der zum Ziel hatte, die Voraussetzungen für den Maßregelvollzug schärfer zu fassen. Natürlich war auch den CDU/CSU-Abgeordneten klar, dass ihr Entwurf keine Chance hat. Aber die Debatte gab ihnen immerhin die Gelegenheit, öffentlich, wenn auch wenig beachtet, auf Missstände in der Koalition hinzuweisen, die durchaus Auswirkungen auf die Sicherheitslage im Land haben.
Es geht um verurteilte Straftäter mit einem „Hang“zum Drogenkonsum, die aus der Haft entlassen werden mussten, weil es für sie keinen Therapieplatz in einer Entziehungsanstalt gab. In Baden-Württemberg war dies bis Oktober bereits 33 Mal der Fall, im gesamten vergangenen Jahr waren es 31 Entlassungen. Gesetzlich ist geregelt, dass Verurteilte nur maximal sechs Monate in sogenannter Organisationshaft auf einen Platz im Maßregelvollzug warten müssen. Ist in dieser Zeit nichts frei geworden, kommt der Straftäter frei. Das könnte noch häufiger passieren, wenn es die Ampel-Koalition länger hinausschiebt, den Paragrafen 64 des Strafgesetzbuches zu ändern. Denn der „Hang“zum Drogenkonsum, der darin als Voraussetzung für den Maßregelvollzug genannt wird, lässt zu viel Spielraum offen – darin sind sich Bundesregierung, Bundesländer und die Unionsfraktion einig. Und er führt letztlich dazu, dass die Entziehungsanstalten volllaufen.
Dass es Handlungsbedarf gibt, das steht für Bund und Länder also außer Frage. Im Januar dieses Jahres wurden gemeinsame Reformvorschläge auf den Tisch gelegt, die alsbald, so Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP), in eine Reform des Maßregelrechts einfließen sollten. Im Mai brachte die Union einen eigenen Gesetzentwurf „zur Novellierung des Rechts der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt“in den Bundestag ein, weil bis dahin die Ampel-Koalition nichts vorgelegt hatte. Im Juli veröffentlichte wiederum Justizminister Buschmann seine Vorschläge für eine Reform des Maßregelvollzugs. Doch seither ist in der Koalition nicht mehr viel passiert, abgesehen vom Scheitern des Unionsvorschlags, mit dem sich die Parlamentarier der Ampel-Parteien nicht so recht befassen wollten.
„Der Verhalten der Ampel-Mehrheit kann man nur mit Arbeitsverweigerung überschreiben – und dies bei einem Thema, bei dem uns durch die gesetzgeberische Untätigkeit nahezu jeden Tag aufs Neue die Freilassung eines gefährlichen Straftäters droht“, sagt Günter Krings (CDU), rechtspolitischer Sprecher der Unionsfraktion. Was den Vorgang für seine Fraktion umso unverständlicher macht: Die Bundesregierung müsste im Prinzip nur das umsetzen, worauf sich Bund und Länder bereits geeinigt haben. Auch der Unionsentwurf sei nahezu deckungsgleich mit diesen Vorschlägen, teilt der frühere Richter Axel Müller, CDU-Abgeordneter für den Wahlkreis Ravensburg, mit.
Wird das Justizministerium mit dem Vorwurf der Verzögerung in dieser Sache konfrontiert, weist es allerdings jede Schuld von sich. Der Gesetzentwurf zur Überarbeitung des Sanktionsrechts liege ja seit Monaten vor. Dass es nicht weitergehe, sei die Schuld des Bundesinnenministeriums. Buschmann und Innenministerin Nancy Faeser (SPD) streiten allerdings nicht wegen der Neufassung des Maßregelvollzugs, sondern wegen eines anderen Teils des Gesetzes, bei dem es um sogenannte Ersatzfreiheitsstrafen geht. Die werden dann angeordnet, wenn Straftäter nicht willens sind, eine Geldstrafe zu bezahlen. Buschmann will den Umrechnungsschlüssel von einer Geldstrafe in eine Ersatzfreiheitsstrafe halbieren, Faeser will das nicht.
Wie es nun weitergeht? Bundesländer wie Baden-Württemberg, die bereits Straftäter aus der Haft entlassen mussten, müssen im Sinne der Sicherheit darauf hoffen, dass Justizund Innenministerium ihre Streitigkeiten möglichst bald beilegen. Dies könnte sich allerdings noch etwas hinziehen, da Buschmann und Faeser auch bei der Vorratsdatenspeicherung über Kreuz liegen. Im Justizministerium wird vermutet, Faeser werde ihre Blockade gegen Buschmanns Gesetzentwurf zum Sanktionsrecht erst dann aufgeben, wenn sich der FDP-Politiker bei der Speicherung von IP-Adressen bewegt.