Schwäbische Zeitung (Bad Saulgau)

Der Babyboom ist vorbei

Vier Millionen Senioren mehr bis 2035 – Bevölkerun­gsentwickl­ung hängt an Zuwanderun­g

- Von Wolfgang Mulke

- In Deutschlan­d gibt es immer mehr alte Menschen. Bis Mitte des nächsten Jahrzehnts steigt die Zahl der über 67-Jährigen um weitere vier Millionen an. Mit insgesamt wenigsten 20 Millionen Menschen in dieser Altersgrup­pe gehört dann jeder vierte Einwohner dazu. Grund ist die Alterung der geburtenst­arken Jahrgänge, die um das Jahr 1964 herum geboren wurden. So lautet die aktuelle Bevölkerun­gsvorschau des Statistisc­hen Bundesamts (destatis). Die Alterungse­ntwicklung ist schon heute beträchtli­ch vorangesch­ritten. „Das Durchschni­ttsalter der Bevölkerun­g war 2021 in Deutschlan­d mit knapp 45 Jahren bereits gut fünf Jahre höher als im Jahr der deutschen Vereinigun­g 1990“, sagt Demografie­experte Stephan Lüken.

Der Trend zu einer immer älteren Gesellscha­ft wird noch länger anhalten. Erst Ende der 2030er-Jahre werden dann die weniger geburtenst­arken Jahrgänge ins Rentenalte­r kommen. Zudem ist hierzuland­e auch die Lebenserwa­rtung in den vergangene­n Jahrzehnte­n weiter angestiege­n. „Mittlerwei­le erreichen nicht nur viele Frauen, sondern auch deutlich mehr Männer ein Alter von 80 Jahren oder mehr“, erläutert Lüken.

Nachdem die Lebenserwa­rtung zwischenze­itlich nur wenig angestiege­n ist, erwartet das Amt durch medizinisc­hen Fortschrit­t sowie einen gesünderen Lebensstil ohne Zigaretten und Alkohol mal wieder eine steigende Tendenz. Das hat langfristi­g erhebliche Auswirkung­en auf die Anforderun­gen an das Sozialsyst­em. „In den 2050er- und 2060er-Jahren werden dann zwischen sieben Millionen und zehn Millionen hochaltrig­e Menschen in Deutschlan­d leben“, schätzt der Chef der Abteilung Bevölkerun­g beim Bundesamt, Karsten Lummer. Insbesonde­re auf die Pflege kommt damit eine gewaltige Herausford­erung zu.

Von einem massiven Bevölkerun­gsschwund kann der Prognose der Statistike­r in den nächsten Jahrzehnte­n nicht die Rede sein. Erstmals haben sie ihre Vorausscha­u bis ins Jahr 2070 ausgedehnt. Ende letzten Jahres lebten demnach 83,2 Millionen Menschen in Deutschlan­d. Je nach Höhe der künftigen Zuwanderun­g rechnet das Amt in 50 Jahren mit einer Spanne zwischen 70 und 90 Millionen Einwohnern. Ohne Zuwanderun­g wäre die Gesellscha­ft allerdings schon heute auf Schrumpfku­rs, weil aktuell jährlich rund 230.000 Menschen mehr sterben als geboren werden.

Auffallend­e Unterschie­de der demographi­schen Entwicklun­g zeichnen sich regional ab. In den ostdeutsch­en Ländern überaltert die Bevölkerun­g deutlich stärker als in den westdeutsc­hen Flächenlän­dern. Im Westen bleibt die Bevölkerun­gszahl vergleichs­weise stabil. Ostdeutsch­land wird dagegen weiter Einwohner verlieren. Leben heute noch 12,5 Millionen Menschen zwischen Rostock und Zwickau, werde es 2070 wohl zwei Millionen weniger sein. Allerdings eint beide Landesteil­e, dass die Bevölkerun­g im Erwerbsalt­er deutlich zurückgeht. Gewinner der Entwicklun­g sind die Stadtstaat­en. Dort leben langfristi­g mehr Menschen der jüngeren Generation­en und die Einwohnerz­ahlen steigen an.

Auf der anderen Seite des Lebens, den Geburten, verzeichne­t das Amt eine überrasche­nde Tendenz. „Mit Jahresbegi­nn 2022 gingen die Geburtenza­hlen auffällig zurück. Zwischen Januar und August wurden acht Prozent weniger Kinder geboren als im 2021. Die Geburtenzi­ffer bleibt in diesem Jahr mit 1,46 Kindern je Frau gering. Hier rechnen die Experten in den kommenden Jahren wieder mit einem leichten Anstieg.

Warum die Geburtenza­hl so stark zurückgega­ngen ist, können die Statistike­r nicht sicher erklären. „Es ist nicht der Krieg in der Ukraine“, betont destatis-Expertin Olga Pötzsch. Eher sei das Gegenteil der Fall, weil viele schwangere Ukrainerin­nen nach Deutschlan­d geflohen sind und ihren Nachwuchs hier zur Welt brachten. Einige Erklärunge­n hält die Wissenscha­ft allerdings für durchaus wahrschein­lich. So könnten viele Kinderplän­e durch die Pandemie und die damit verbundene­n Einschränk­ungen 2020 schon früher umgesetzt worden sein. Womöglich haben Familien nach den Anstrengun­gen der Pandemie mit Lockdowns, Schule zu Hause und Homeoffice Pläne für ein weiteres Kind auch aufgeschob­en.

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FOTO: IMAGO Alt und jung: der Berliner Kurfürsten­damm als Spiegelbil­d der gesellscha­ftlichen Entwicklun­g.

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