Schwäbische Zeitung (Bad Saulgau)
Schwere Geburt
Nach langem Ringen rudert Gesundheitsminister Lauterbach im Hebammen-Streit zurück
- In der Diskussion um die zukünftige Finanzierung von Hebammen in Krankenhäusern rudert Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) zurück. Laut einem Ende Oktober verabschiedeten Finanzstabilisierungsgesetz hätten Kliniken ab 2025 nur noch die Gehälter von ausgebildeten Pflegekräften aus dem sogenannten Pflegebudget bezahlen dürfen: Jedem Krankenhaus steht ein individueller Betrag zu, um Pflegepersonal zu finanzieren. So soll sich kein Krankenhaus daran bereichern können, Pflegepersonal einzusparen. Hebammen hätten künftig nicht mehr aus diesen Geldern bezahlt werden dürfen. Die Kliniken hätten ihre Gehälter stattdessen aus den üblichen Erlösen entnehmen müssen. Kritiker fürchteten, dass Krankenhäuser dadurch einen finanziellen Anreiz hätten, Personal abzubauen. Die Änderung hätte Hebammen betroffen, die auf Pränataloder Wochenstation arbeiten. Hebammen im Kreißsaal werden seit jeher über das Fallpauschalensystem finanziert – es gibt also eine bestimmte Summe Geld für die Arbeit, egal, wie lange diese dauert.
Mit dem Gesetz wollte die Regierung die Krankenkassen entlasten und sicherstellen, dass die Beiträge nur geringfügig erhöht werden müssen. Das Vorhaben geriet jedoch massiv in die Kritik – Berufsverbände fürchteten, dass die Hebammen den Sparmaßnahmen zum Opfer fallen würden. „Ich habe für mich persönlich das Gefühl, irgendjemand will uns abschaffen“, sagt Jutta Eichenauer, Vorsitzende des Hebammenverbands Baden-Württemberg. Nach ihrer Einschätzung ist Lauterbachs Rückzieher nicht zuletzt dem öffentlichen Druck geschuldet.
Kurz nach Veröffentlichung der Pläne des Gesundheitsministeriums hatte eine junge Mutter aus Karlsruhe eine Petition für die Hebammen ins Leben gerufen. Innerhalb von wenigen Tagen sammelte sie mehr als 1,5 Millionen Unterschriften. Eichenauer ist gerührt vom Engagement der Initiatorin. Die Geburtshilfe begleite Frauen nur während eines sehr kurzen Abschnitts ihres Lebens und sei für sie ansonsten wenig präsent. „Vor allen Dingen ist es eine Zeit, in der Frauen sehr verletzbar sind – und eine Zeit in der Frauen weiß Gott anderes zu tun haben, als permanent für ihre Rechte einzutreten.“Über den Erfolg der Petition freut sie sich darum umso mehr.
Wie die SRH-Kliniken Sigmaringen auf Anfrage mitteilen, hätte es
ohne Zugriff auf das Pflegebudget keine Möglichkeit zur Finanzierung der Hebammen auf Pflegestationen gegeben. „Das bedeutet konkret, dass man den Personaleinsatz von Hebammen reduzieren müsste“, so SRH-Sprecherin Barbara Koch. Die Finanzierung über das Pflegebudget habe sich bewährt. Der geplante Eingriff in das Modell hätte zur Folge gehabt, dass die Stationen nur noch eine Mindestbesetzung von Hebammen bereithalten hätten können: „Das würde sich negativ auf die Rahmenbedingungen für eine sichere Geburt für Mutter und Kind auswirken.
Der derzeitige hohe Sicherheitsstandard ist damit nicht mehr zu halten“, schlussfolgert Koch.
Weniger beunruhigt zeigen sich die Oberschwabenkliniken (OSK). Hätten die Gehälter vollständig aus den Fallerlösen der Geburtshilfe bezahlt werden dürfen, hätten Hebammen weiter in gleichem Umfang beschäftigt werden können, teilen die OSK mit. Ob eine Hebamme gebraucht wird, entscheide nicht das Geld, sondern die medizinische Notwendigkeit. Die Finanzierung über das Pflegebudget bringe aber mehr Planungssicherheit.
Nicht zuletzt seien am Arbeitsmarkt ohnehin zu wenige Hebammen verfügbar, gibt SRH-Sprecherin Koch aus Sigmaringen zu bedenken. Würde ihre Zahl auf der Pflegestation reduziert, würden die Arbeitsplätze weniger attraktiv. Genug Hebammen zu finden, würde so noch schwerer werden, befürchtet die Kliniksprecherin.
Lauterbach gibt sich indes handlungsbereit: „Auf dem Rücken der Hebammen sollen Krankenhäuser künftig nicht mehr sparen können.“Nicht nur sollen Hebammen weiter wie gehabt in der Pflege eingesetzt werden und über das Pflegebudget verrechnet werden können. Der Gesundheitsminister kündigte darüber hinaus an, Hebammen auf Entbindungsstationen künftig aus dem Fallpauschalensystem nehmen zu wollen. Die Oberschwabenkliniken begrüßen den Vorschlag. Ein Kreißsaal müsse auch dann einsatzbereit sein, wenn gerade keine Entbindungen stattfinden.
Auch in einer anderen Streitfrage zeichnet sich inzwischen eine Lösung ab: Seit Januar 2022 galt für die Krankenhäuser die sogenannte Pflegepersonaluntergrenzenverordnung (PpUGV). Sie sah vor, dass Hebammen zu höchstens zehn Prozent auf die Stelle einer Pflegefachkraft angerechnet werden können. Die Ampelregierung hatte dabei das Ziel verfolgt, dass die Patientenversorgung auf Station stets durch ausreichend Pflegepersonal gewährleistet ist.
In der Praxis sei die Verordnung wegen der finanziellen Konsequenzen für die Krankenhausbetreiber jedoch zum Querschläger geworden. „Das bedeutet im Umkehrschluss, dass Hebammen keine Chance mehr haben, auf der Wochenbettstation eingesetzt zu werden“, berichtet Eichenauer. Hebammen seien so aus der Arbeit verdrängt wurden, für die sie maßgeschneidert ausgebildet seien.
Ein schweres Versäumnis, findet die Verbandsvorsitzende. Denn für die Kliniken sei es durch die Verordnung unrentabel geworden, Hebammen etwa in der Geburtennachsorge auf Wochenbettstationen einzusetzen. „Wir bitten seit mehr als einem Jahr um Einsehen“, berichtet Eichenauer. Die Pflegepersonaluntergrenzenverordnung müsse sofort geändert werden, damit auch Hebammen vollständig als Pflegekräfte anerkannt werden. Ab dem 1. Januar 2023 soll die Verordnung nun aufgeweicht werden. Hebammen könnten so wieder ohne Höchstanteil auf den Pflegestationen eingesetzt werden.