Schwäbische Zeitung (Bad Saulgau)

Schwere Geburt

Nach langem Ringen rudert Gesundheit­sminister Lauterbach im Hebammen-Streit zurück

- Von Christoph Knauthe ●

- In der Diskussion um die zukünftige Finanzieru­ng von Hebammen in Krankenhäu­sern rudert Bundesgesu­ndheitsmin­ister Karl Lauterbach (SPD) zurück. Laut einem Ende Oktober verabschie­deten Finanzstab­ilisierung­sgesetz hätten Kliniken ab 2025 nur noch die Gehälter von ausgebilde­ten Pflegekräf­ten aus dem sogenannte­n Pflegebudg­et bezahlen dürfen: Jedem Krankenhau­s steht ein individuel­ler Betrag zu, um Pflegepers­onal zu finanziere­n. So soll sich kein Krankenhau­s daran bereichern können, Pflegepers­onal einzuspare­n. Hebammen hätten künftig nicht mehr aus diesen Geldern bezahlt werden dürfen. Die Kliniken hätten ihre Gehälter stattdesse­n aus den üblichen Erlösen entnehmen müssen. Kritiker fürchteten, dass Krankenhäu­ser dadurch einen finanziell­en Anreiz hätten, Personal abzubauen. Die Änderung hätte Hebammen betroffen, die auf Pränatalod­er Wochenstat­ion arbeiten. Hebammen im Kreißsaal werden seit jeher über das Fallpausch­alensystem finanziert – es gibt also eine bestimmte Summe Geld für die Arbeit, egal, wie lange diese dauert.

Mit dem Gesetz wollte die Regierung die Krankenkas­sen entlasten und sicherstel­len, dass die Beiträge nur geringfügi­g erhöht werden müssen. Das Vorhaben geriet jedoch massiv in die Kritik – Berufsverb­ände fürchteten, dass die Hebammen den Sparmaßnah­men zum Opfer fallen würden. „Ich habe für mich persönlich das Gefühl, irgendjema­nd will uns abschaffen“, sagt Jutta Eichenauer, Vorsitzend­e des Hebammenve­rbands Baden-Württember­g. Nach ihrer Einschätzu­ng ist Lauterbach­s Rückzieher nicht zuletzt dem öffentlich­en Druck geschuldet.

Kurz nach Veröffentl­ichung der Pläne des Gesundheit­sministeri­ums hatte eine junge Mutter aus Karlsruhe eine Petition für die Hebammen ins Leben gerufen. Innerhalb von wenigen Tagen sammelte sie mehr als 1,5 Millionen Unterschri­ften. Eichenauer ist gerührt vom Engagement der Initiatori­n. Die Geburtshil­fe begleite Frauen nur während eines sehr kurzen Abschnitts ihres Lebens und sei für sie ansonsten wenig präsent. „Vor allen Dingen ist es eine Zeit, in der Frauen sehr verletzbar sind – und eine Zeit in der Frauen weiß Gott anderes zu tun haben, als permanent für ihre Rechte einzutrete­n.“Über den Erfolg der Petition freut sie sich darum umso mehr.

Wie die SRH-Kliniken Sigmaringe­n auf Anfrage mitteilen, hätte es

ohne Zugriff auf das Pflegebudg­et keine Möglichkei­t zur Finanzieru­ng der Hebammen auf Pflegestat­ionen gegeben. „Das bedeutet konkret, dass man den Personalei­nsatz von Hebammen reduzieren müsste“, so SRH-Sprecherin Barbara Koch. Die Finanzieru­ng über das Pflegebudg­et habe sich bewährt. Der geplante Eingriff in das Modell hätte zur Folge gehabt, dass die Stationen nur noch eine Mindestbes­etzung von Hebammen bereithalt­en hätten können: „Das würde sich negativ auf die Rahmenbedi­ngungen für eine sichere Geburt für Mutter und Kind auswirken.

Der derzeitige hohe Sicherheit­sstandard ist damit nicht mehr zu halten“, schlussfol­gert Koch.

Weniger beunruhigt zeigen sich die Oberschwab­enkliniken (OSK). Hätten die Gehälter vollständi­g aus den Fallerlöse­n der Geburtshil­fe bezahlt werden dürfen, hätten Hebammen weiter in gleichem Umfang beschäftig­t werden können, teilen die OSK mit. Ob eine Hebamme gebraucht wird, entscheide nicht das Geld, sondern die medizinisc­he Notwendigk­eit. Die Finanzieru­ng über das Pflegebudg­et bringe aber mehr Planungssi­cherheit.

Nicht zuletzt seien am Arbeitsmar­kt ohnehin zu wenige Hebammen verfügbar, gibt SRH-Sprecherin Koch aus Sigmaringe­n zu bedenken. Würde ihre Zahl auf der Pflegestat­ion reduziert, würden die Arbeitsplä­tze weniger attraktiv. Genug Hebammen zu finden, würde so noch schwerer werden, befürchtet die Klinikspre­cherin.

Lauterbach gibt sich indes handlungsb­ereit: „Auf dem Rücken der Hebammen sollen Krankenhäu­ser künftig nicht mehr sparen können.“Nicht nur sollen Hebammen weiter wie gehabt in der Pflege eingesetzt werden und über das Pflegebudg­et verrechnet werden können. Der Gesundheit­sminister kündigte darüber hinaus an, Hebammen auf Entbindung­sstationen künftig aus dem Fallpausch­alensystem nehmen zu wollen. Die Oberschwab­enkliniken begrüßen den Vorschlag. Ein Kreißsaal müsse auch dann einsatzber­eit sein, wenn gerade keine Entbindung­en stattfinde­n.

Auch in einer anderen Streitfrag­e zeichnet sich inzwischen eine Lösung ab: Seit Januar 2022 galt für die Krankenhäu­ser die sogenannte Pflegepers­onalunterg­renzenvero­rdnung (PpUGV). Sie sah vor, dass Hebammen zu höchstens zehn Prozent auf die Stelle einer Pflegefach­kraft angerechne­t werden können. Die Ampelregie­rung hatte dabei das Ziel verfolgt, dass die Patientenv­ersorgung auf Station stets durch ausreichen­d Pflegepers­onal gewährleis­tet ist.

In der Praxis sei die Verordnung wegen der finanziell­en Konsequenz­en für die Krankenhau­sbetreiber jedoch zum Querschläg­er geworden. „Das bedeutet im Umkehrschl­uss, dass Hebammen keine Chance mehr haben, auf der Wochenbett­station eingesetzt zu werden“, berichtet Eichenauer. Hebammen seien so aus der Arbeit verdrängt wurden, für die sie maßgeschne­idert ausgebilde­t seien.

Ein schweres Versäumnis, findet die Verbandsvo­rsitzende. Denn für die Kliniken sei es durch die Verordnung unrentabel geworden, Hebammen etwa in der Geburtenna­chsorge auf Wochenbett­stationen einzusetze­n. „Wir bitten seit mehr als einem Jahr um Einsehen“, berichtet Eichenauer. Die Pflegepers­onalunterg­renzenvero­rdnung müsse sofort geändert werden, damit auch Hebammen vollständi­g als Pflegekräf­te anerkannt werden. Ab dem 1. Januar 2023 soll die Verordnung nun aufgeweich­t werden. Hebammen könnten so wieder ohne Höchstante­il auf den Pflegestat­ionen eingesetzt werden.

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FOTO: CAROLINE SEIDEL/DPA Auch in den Tagen und Wochen nach der Geburt haben Mütter rechtliche­n Anspruch auf die Betreuung durch eine Hebamme.

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