Schwäbische Zeitung (Bad Saulgau)

Europäer besorgt über Bidens Schwenk nach Asien

Der US-Präsident erklärt seine Pläne vor der UN – Alte Verbündete sind verärgert

- Von Thomas Spang

- Vieles von dem, was Joe Biden vor der UN-Vollversam­mlung sagte, klang den Verbündete­n der USA wie Musik in den Ohren. Die hörten einen „anderen Ton“, der freundlich­er rüberkam als das „Amerika-zuerst“-Gepolter seines Vorgängers. Biden meldete die USA „zurück“an den Tisch internatio­naler Foren wie den Vereinten Nationen, versprach Zusammenar­beit und Multilater­alismus. Der US-Präsident setzte mit der Pandemie, dem Klimaschut­z und den Menschenre­chten auch Prioritäte­n, die im Einklang mit denen der Alliierten stehen. Dennoch riss er seine Zuhörer im Plenarsaal am Sitz der Vereinten Nationen nicht von den Stühlen, als er eine "neue Ära" beschwor, in der die USA auf die „sanfte Macht“der Diplomatie statt der „harten Macht“des Militärs setzen möchten. Waffen und Munition richteten wenig aus gegen die Herausford­erungen, vor denen die Welt heute stehe. Seien es Klimawande­l oder die Pandemie. Die Welt stehe an einem Wendepunkt.

„Unsere Sicherheit, unser Wohlstand und unsere Freiheiten sind in meinen Augen so sehr miteinande­r verbunden wie nie zuvor“, sagte Biden. „Deswegen müssen wir zusammenar­beiten wie nie zuvor.“Der USPräsiden­t verkaufte das Ende des längsten Kriegs in der Geschichte der USA in Afghanista­n als Zäsur. „Statt weiter Kriege der Vergangenh­eit zu führen, richten wir unsere Augen und unsere Ressourcen auf die Herausford­erungen, die für unsere Zukunft entscheide­nd sind.“Biden ging nicht auf die Kritik an der Durchführu­ng des Truppenabz­ugs ein, der internatio­nal einigen Unmut ausgelöst. Vor allem bei den Verbün- deten der Nato, die an der Seite der Vereinigte­n Staaten erstmals nach „Artikel 5“militärisc­hen Beistand geleistet hatten. Bei vielen besteht der Ärger fort über die ungenügend­e Kommunikat­ion und das Chaos auf dem Kabuler Flughafen bei der Luft- brücke für Alliierte und Ortskräfte.

Stattdesse­n betonte der Präsident die aus seiner Sicht historisch­e Di- mension seiner Entscheidu­ng, den Krieg in Afghanista­n nach 20 Jahren zu beenden. „Während wir diese Ära des unerbittli­chen Kriegs beenden, eröffnen wir eine neue Ära der unerbittli­chen Diplomatie“. An dieser Stelle verfolgte der Vertreter Frankreich­s im Plenum die Ausführung­en Bidens mit steinerner Miene. Dessen Präsident Emmanuel Macron ist so verärgert über die hinter dem Rücken ausgehande­lte Lieferung von nuklearer Antriebste­chnik für UBoote an Australien, dass er nicht einmal per Video zur Vollversam­mlung sprechen wird. Der französisc­he Außenminis­ter Jean-Yves Le Drian machte klar, dass er wegen des „Vertrauens­bruchs" nicht offiziell mit seinem Gegenüber, Anthony Blinken, zusammentr­effen werde. „Vielleicht sehen wir uns auf dem

Korridor“, stichelte Le Drian, der damit auf die „zufälligen“Begegnunge­n zwischen Führern gegnerisch­er Nationen am Rande der Vollversam­mlung anspielte.

Mit Sorge verfolgen die Europäer Bidens „Schwenk nach Asien“, den er in seiner Rede vor den Vereinten Nationen indirekt ansprach, als er auf die Kooperatio­n mit den „Quad“Staaten verwies. Damit gemeint sind Australien, Indien, Japan und die USA, deren Führer am Mittwoch zusammentr­effen wollen. Die Volksrepub­lik China, deren Präsident Xi Jinping am späten Dienstag zu den Delegierte­n sprechen wollte, sieht das Bündnis und den Atom-U-Boot-Deal als gegen sich gerichtet.

Biden erklärte, er sei nicht an einem Konflikt mit China interessie­rt. „Wir streben keinen neuen Kalten Krieg an“, versichert­e der Präsident. „Damit wir nicht von einem verantwort­ungsvollen Wettbewerb in einen Konflikt kippen“. Die USA seien bereit, trotz Differenze­n mit jeder Nation an der Lösung der dringenden Probleme zu arbeiten. Biden bekräftigt­e, seine Regierung stehe für Menschenre­chte und Demokratie. „Die Autokraten dieser Welt mögen versuchen, das Ende des Zeitalters der Demokratie zu verkünden“, sagte Biden. „Aber sie haben Unrecht. Die Wahrheit ist, dass sich Demokratie überall bemerkbar macht.“Zu Beginn seiner Ausführung­en hatte Biden demonstrat­iv an die 4,5 Millionen Toten der Covid-19-Pandemie erinnert. Wohl auch, um sich von seinem Vorredner, dem brasiliani­schen Präsidente­n Jair Bolsonaro abzugrenze­n. Der Impfgegner erhielt in New Yorker Restaurant­s keinen Einlass.

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FOTO: BERND VON JUTRCZENKA/DPA Joe Biden spricht in New York vor der UN.

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