Schwäbische Zeitung (Bad Saulgau)
Europäer besorgt über Bidens Schwenk nach Asien
Der US-Präsident erklärt seine Pläne vor der UN – Alte Verbündete sind verärgert
- Vieles von dem, was Joe Biden vor der UN-Vollversammlung sagte, klang den Verbündeten der USA wie Musik in den Ohren. Die hörten einen „anderen Ton“, der freundlicher rüberkam als das „Amerika-zuerst“-Gepolter seines Vorgängers. Biden meldete die USA „zurück“an den Tisch internationaler Foren wie den Vereinten Nationen, versprach Zusammenarbeit und Multilateralismus. Der US-Präsident setzte mit der Pandemie, dem Klimaschutz und den Menschenrechten auch Prioritäten, die im Einklang mit denen der Alliierten stehen. Dennoch riss er seine Zuhörer im Plenarsaal am Sitz der Vereinten Nationen nicht von den Stühlen, als er eine "neue Ära" beschwor, in der die USA auf die „sanfte Macht“der Diplomatie statt der „harten Macht“des Militärs setzen möchten. Waffen und Munition richteten wenig aus gegen die Herausforderungen, vor denen die Welt heute stehe. Seien es Klimawandel oder die Pandemie. Die Welt stehe an einem Wendepunkt.
„Unsere Sicherheit, unser Wohlstand und unsere Freiheiten sind in meinen Augen so sehr miteinander verbunden wie nie zuvor“, sagte Biden. „Deswegen müssen wir zusammenarbeiten wie nie zuvor.“Der USPräsident verkaufte das Ende des längsten Kriegs in der Geschichte der USA in Afghanistan als Zäsur. „Statt weiter Kriege der Vergangenheit zu führen, richten wir unsere Augen und unsere Ressourcen auf die Herausforderungen, die für unsere Zukunft entscheidend sind.“Biden ging nicht auf die Kritik an der Durchführung des Truppenabzugs ein, der international einigen Unmut ausgelöst. Vor allem bei den Verbün- deten der Nato, die an der Seite der Vereinigten Staaten erstmals nach „Artikel 5“militärischen Beistand geleistet hatten. Bei vielen besteht der Ärger fort über die ungenügende Kommunikation und das Chaos auf dem Kabuler Flughafen bei der Luft- brücke für Alliierte und Ortskräfte.
Stattdessen betonte der Präsident die aus seiner Sicht historische Di- mension seiner Entscheidung, den Krieg in Afghanistan nach 20 Jahren zu beenden. „Während wir diese Ära des unerbittlichen Kriegs beenden, eröffnen wir eine neue Ära der unerbittlichen Diplomatie“. An dieser Stelle verfolgte der Vertreter Frankreichs im Plenum die Ausführungen Bidens mit steinerner Miene. Dessen Präsident Emmanuel Macron ist so verärgert über die hinter dem Rücken ausgehandelte Lieferung von nuklearer Antriebstechnik für UBoote an Australien, dass er nicht einmal per Video zur Vollversammlung sprechen wird. Der französische Außenminister Jean-Yves Le Drian machte klar, dass er wegen des „Vertrauensbruchs" nicht offiziell mit seinem Gegenüber, Anthony Blinken, zusammentreffen werde. „Vielleicht sehen wir uns auf dem
Korridor“, stichelte Le Drian, der damit auf die „zufälligen“Begegnungen zwischen Führern gegnerischer Nationen am Rande der Vollversammlung anspielte.
Mit Sorge verfolgen die Europäer Bidens „Schwenk nach Asien“, den er in seiner Rede vor den Vereinten Nationen indirekt ansprach, als er auf die Kooperation mit den „Quad“Staaten verwies. Damit gemeint sind Australien, Indien, Japan und die USA, deren Führer am Mittwoch zusammentreffen wollen. Die Volksrepublik China, deren Präsident Xi Jinping am späten Dienstag zu den Delegierten sprechen wollte, sieht das Bündnis und den Atom-U-Boot-Deal als gegen sich gerichtet.
Biden erklärte, er sei nicht an einem Konflikt mit China interessiert. „Wir streben keinen neuen Kalten Krieg an“, versicherte der Präsident. „Damit wir nicht von einem verantwortungsvollen Wettbewerb in einen Konflikt kippen“. Die USA seien bereit, trotz Differenzen mit jeder Nation an der Lösung der dringenden Probleme zu arbeiten. Biden bekräftigte, seine Regierung stehe für Menschenrechte und Demokratie. „Die Autokraten dieser Welt mögen versuchen, das Ende des Zeitalters der Demokratie zu verkünden“, sagte Biden. „Aber sie haben Unrecht. Die Wahrheit ist, dass sich Demokratie überall bemerkbar macht.“Zu Beginn seiner Ausführungen hatte Biden demonstrativ an die 4,5 Millionen Toten der Covid-19-Pandemie erinnert. Wohl auch, um sich von seinem Vorredner, dem brasilianischen Präsidenten Jair Bolsonaro abzugrenzen. Der Impfgegner erhielt in New Yorker Restaurants keinen Einlass.