Schwäbische Zeitung (Bad Saulgau)
Die Sehnsucht nach Stille
Kompetenzen sind in unserer modernen Welt, die nicht mehr nur von Jagen und Sammeln geprägt ist, von äußerster Wichtigkeit. In diesem Zusammenhang kommt der richtigen Einschätzung eigener und fremder Kompetenzen naturgemäß die höchste Bedeutung bei. Also die Kunst zu erkennen, ob Gesagtes überhaupt einen Wert hat und ob der Sprecher weiß, wovon er spricht. Wenn zum Beispiel Fußballweltmeister Lothar Matthäus etwas über Fußball sagt, so setzt er sich dem dringenden Verdacht aus, dafür auch kompetent zu sein. Spricht er über andere Themen – Philosophie, Logik oder Beziehungsfragen – bleibt er, wie sein öffentlicher Zitatenschatz nahelegt, dieser Kompetenz weitestgehend unverdächtig.
Gerade das Lob der Intelligenz anderer hat immer auch etwas Anmaßendes. Drückt der Lobende damit doch im Grunde aus, dass er in der Lage ist, Intelligenz scharfsinnig zu erkennen – und also selbst außerordentlich intelligent zu sein. Dabei sitzt so mancher durch die Fehleinschätzung eigener Fähigkeiten Irrtümern auf. Ist jemand etwa in der Lage,
auf Italienisch im Restaurant eine Portion Spaghetti zu bestellen, qualifiziert ihn das noch lange nicht zur Berufung auf einen Lehrstuhl für Linguistik in Bologna.
Wie dem auch sei: Wir leben in einer Expertokratie, in der sehr viele Menschen sehr viele Einschätzungen über Dinge abgeben, von denen sie wenig bis gar nichts verstehen. Die Sehnsucht nach ein bisschen Schweigen wächst vor diesem Hintergrund. Darum wollen wir diesen Text mit Stille enden lassen. (nyf)