Schwäbische Zeitung (Bad Saulgau)
Helfern mit Hoodies helfen
Helden des Alltags eine Freude machen – Mit einem besonderen Hilfsprojekt haben fünf Freunde aus München einen Nerv getroffen
- Es ist ein Freitag im März und hinter Pia Braun liegt eine besondere Woche – die erste, seitdem der Corona-Lockdown dem öffentlichen Leben den Stecker gezogen hat. Die 44-Jährige, die aus Reinstetten bei Biberach stammt und inzwischen südlich von München lebt, wählt sich an diesem Abend in eine Videokonferenz ein – obschon sie weiß Gott anderes zu tun hätte, als am Bildschirm zu hängen. Etwa die sechsjährigen Zwillinge ins Bett zu bringen. Oder mit ihrem Mann die nächste Woche zu besprechen – wer wann arbeitet, und wer wann die Kinder hütet. Oder auch: darüber grübeln, wie sich die Corona-Krise auf ihren Job als Grafikdesignerin auswirken wird.
Doch Pia Braun hat vorhin eine Nachricht von Dirk Cloos erhalten, einem befreundeten Kollegen aus der Kreativbranche, der ebenso in München arbeitet und in Nürnberg lebt. „Er hat geschrieben, dass er gerade beim Joggen war und ihm dabei eine Idee gekommen ist“, erzählt Pia Braun heute, gut sechs Wochen später. „Und dass wir diese Idee gleich am Montag umsetzen sollten, weshalb wir heute noch telefonieren müssen.“Was Pia Braun damals noch nicht ahnt: Es ist dies der Startschuss für eine Aktion, die sich in Windeseile von München in viele deutsche Städte ausbreiten wird, in die Schweiz und sogar bis nach Luxemburg. Eine Aktion, bei der bislang mehr als tausend Pullover verkauft, hunderte Menschen beglückt und zwei Dutzend kleine Läden unterstützt wurden. Und eine Aktion, an der – „das stand von Anfang an fest“, sagt Pia Braun – die Initiatoren genau null Euro verdient haben.
Doch zurück zu jener Videokonferenz am Freitagabend mit Dirk Cloos, seinem Kollegen Rolf Zaremba sowie Pia Braun und Barbara Littig-Haas, die gemeinsam eine kleine Grafikagentur in München betreiben. Die Idee, die Cloos den anderen unterbreitet, ist ein Hilfsprojekt, das lokale Händler, Helfer und hilfsbedürftige Menschen zusammenbringen soll. Einen Slogan dafür hat der Mediendesigner schon parat: „We come back stronger“. Übersetzt: Wir kehren stärker zurück.
Cloos’ Idee: Das Quartett, zu dem später noch Marketingexpertin Ulrike Haardt stößt, lässt den Slogan samt seines Kürzels WCBS auf Kapuzenpullover drucken – von lokalen Textildruckern aus München, um diese zu unterstützen. Die sogenannten Hoodies, wahlweise in schwarz oder grau, werden übers Internet vertrieben. Und von dem Erlös kaufen die Initiatoren bei kleinen Geschäften aus der Nachbarschaft ein – und zwar Produkte, die wiederum an Menschen gehen, die es in diesen Corona-Zeiten besonders schwer haben. Etwa Krankenpflegerinnen, Altenheimbewohner, Busfahrer und Supermarktkassiererinnen.
„Der Slogan und die ganze Aktion sollen vor allem auch ein Zeichen sein, dass wir uns von Corona nicht unterkriegen lassen“, sagt Pia Braun. Die 44-Jährige hat zum Gespräch in ihre Agentur geladen, ein kleines Büro unter einer Dachschräge in einem Münchner Hinterhof. Pia Braun trägt Turnschuhe zur Jeans und – natürlich – einen Kapuzenpulli. Neben ihr sitzt Barbara Littig-Haas, ihre Freundin und Geschäftspartnerin, ebenfalls im Hoodie. Auch bei ihrer Agentur seien die Aufträge während des Lockdowns weniger geworden, sagt Pia Braun – und doch sei das nicht der ausschlaggebende Grund gewesen, wieso sie sich sofort an der Aktion beteiligen wollte. „Wir alle waren uns einig, dass wir irgendwas tun müssen“, sagt die 44-Jährige, die es heute noch oft nach Reinstetten zieht, wo ihre Eltern leben. „Und wann hätten wir sonst schon mal die Chance, so ein Spendenprojekt aus dem Boden zu stampfen? Normalerweise hat man ja mehr als genug zu tun – mit dem Alltag, mit der Familie und mit dem Job.“
Doch für „We come back stronger“schaufelten die fünf Freunde Zeit frei, trafen sich täglich zu Videokonferenzen, arbeiteten am Wochenende und nachts. Das Resultat: Nach nicht mal einer Woche stand die Webseite für das Projekt; und schon Ende März gingen die ersten Päckchen mit Hoodies an Freunde, Bekannte und Kunden – handverpackt in der Agentur von Pia Braun und Barbara LittigHaas. Nach 24 Stunden hatten sie 30 Bestellungen beisammen. Mit dem Erlös kauften die Initiatoren bei einem Blumenladen in Nürnberg Dutzende
Ostergestecke und verschenkten diese an ein Altenheim – als Ostergruß für die Bewohner, die an den Feiertagen keinerlei Besuch erhalten durften.
„Am Anfang haben wir gedacht, wir machen vielleicht ein oder zwei Aktionen“, sagt Pia Braun. Doch schon nach wenigen Tagen nahm die Sache Fahrt auf, immer mehr Bestellungen trudelten ein, und immer neue Projekte wurden angestoßen. Mal holten die Initiatoren 25 Pizzen von einem Italiener aus der Nachbarschaft und spendierten sie der Johanniter-Unfallhilfe; mal kauften sie bei einem Laden für Künstlerbedarf Mal- und Bastelmaterial und brachten es in ein Münchner Altenheim, wo die Bewohner damit Osterkarten gestalten konnten. „Für die Geschäfte sind das natürlich keine großen Summen, vielleicht ein paar Hundert Euro“, sagt Pia Braun. Doch
Barbara Littig-Haas zum einen zähle vor allem der Gedanke, zum anderen wolle man den Menschen in diesen schwierigen Zeiten Mut machen. Die Rückmeldungen seien durchweg positiv gewesen, berichtet Pia Braun. „Viele haben gesagt: schön, dass ihr an uns denkt.“
Inzwischen haben die Initiatoren mehr als 1000 Hoodies verkauft und knapp zwei Dutzend Hilfsprojekte angestoßen – und das nicht nur in München und Nürnberg. Denn über Verwandte und Freunde hat das Projekt längst größere Kreise gezogen: Auch in Luxemburg, Zürich, Berlin, Landshut, im Rheingau und dem südlichen Oberbayern ist die Aktion inzwischen angekommen – inklusive eigener Hoodies, auf denen neben dem Kürzel WCBS der Schriftzug der jeweiligen Stadt prangt. Bei einer Aktion in Wiesbaden, erzählt Pia Braun, habe man Aromaöle an ein Hospiz geliefert. Und auch in der Region Stuttgart sei ein erstes Projekt angestoßen worden – mit einem Blumengeschäft und einem Altenheim in Fellbach.
„Wir hätten am Anfang niemals gedacht, dass das solche Kreise ziehen könnte“, sagt Barbara LittigHaas. „Aber irgendwie haben wir damit einen Nerv getroffen.“Der komplette Erlös aus dem Verkauf der Pullis geht an die lokalen Händler in der jeweiligen Stadt; die Initiatoren dagegen opfern ihre Freizeit rein ehrenamtlich. Ob sie nicht daran gedacht haben, ihre Geschäftsidee zu Geld zu machen? Stellt man diese Frage Pia Braun und Barbara Littig-Haas, dann blicken beide einen Moment lang drein, als habe man gerade ein Kaninchen aus dem Ärmel gezogen. Im nächsten Augenblick antworten sie mit nur einem Wort – und das perfekt synchron: „Nö!“
Die ganze Aktion, erklärt Pia Braun, „würde ziemlich sicher nicht funktionieren, wenn wir das für Geld machen würden. Es geht ja gerade darum, dass wir alle zusammenstehen und uns gegenseitig unterstützen.“Was sie selbst aus dem Projekt ziehen? „Auf eine gewisse Art ist es sehr erfüllend“, antwortet Barbara LittigHaas. Man habe das Gefühl, „dass man etwas geschafft hat“, ergänzt Pia Braun. Und trotz all der Arbeit, die sie in den vergangenen Wochen in das Projekt gesteckt haben: „Es hat uns schon auch sehr viel Spaß gemacht.“
Bleibt die Frage, wie es mit „We come back stronger“weitergeht, nun, da in Deutschland nur noch wenig über den Lockdown, dafür aber sehr viel über Lockerungen gesprochen wird. „Es wäre auf jeden Fall schön, wenn wir unsere Aktion in irgendeiner Form erhalten könnten – auch über Corona hinaus“, sagt Pia Braun. In einem nächsten Schritt wolle man neben den Kapuzenpullis auch T-Shirts mit dem Slogan bedrucken. Zudem seien erste Firmen bei den Initiatoren vorstellig geworden, die Hoodies für ihre komplette Belegschaft erwerben wollen – und selbst Projekte im Auge haben, die sie gerne unterstützen würden.
„Vielleicht findet sich in diesem Bereich ein Dreh, wie wir die Aktion weiterführen können“, hofft Pia Braun. Allein eines sollte besser nicht passieren – nämlich ein Rückfall bei den Corona-Zahlen, der eine abermalige Verschärfung der Einschränkungen zur Folge hätte. „Denn dann“, sagt Pia Braun, „würde wahrscheinlich niemand mehr denken, dass wir nach der Krise wieder stärker zurückkehren“.
„Wir hätten am Anfang niemals gedacht, dass das solche Kreise ziehen könnte.“
Die Hoodies mit dem Aufdruck „We come back stronger“sind im Internet auf www.wecomebackstronger.de erhältlich. Ein Pullover kostet 45 Euro.