Schwäbische Zeitung (Bad Saulgau)
Die Angst de CDU vor der grunen Ubermacht
Beim kleinen Regierungspartner breitet sich angesuchts der schlechten Umfragewerte Nervositat aus
STUTTGART/BAD WALDSEE - Im kleinen Saal des Gasthauses Stern im Waldseer Ortsteil Reute sitzen drei Dutzend CDU-Mitglieder und Sympathisanten an langen Tafeln. Die Röschen auf dem Tisch erinnern daran, dass Valentinstag ist. In einem Winkel neben der Tür hängt ein Holzkreuz an der Wand, daneben eine vergoldete Uhr, die eher in ein rustikales Wohnzimmer passen würde. Viel helles Holz und indirektes Licht sorgen für ein warmes Ambiente. Die CDU vor Ort stellt an diesem Abend ihre Kreistagskandidaten auf. Es sind noch etwas mehr als drei Monate bis zur Kommunalwahl am 26. Mai. Und die CDU im Land ist nervös.
Seit fast drei Jahren ist die Partei wieder an der Landesregierung beteiligt – allerdings als Juniorpartner. Die Umfragewerte bleiben schlecht. Das liegt an der Übermacht des grünen Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann, sagen viele. Die CDU hat ihr Profil verloren, sagen andere. Und für manche sind die Medien schuld, die die CDU im besten Fall ignorieren, im schlechtesten Fall niederschreiben.
Beim Vorsitzenden des Kreisverbands Ravensburg, Christian Natterer, liegen die Nerven blank, wenn es um den Zustand seiner CDU und die mediale Berichterstattung geht. Zum Hinweis, dass man zur Sitzung kommen wolle, um sich an der Basis umzuhören, erklärt er am Telefon: Die Veranstaltung sei nicht öffentlich. Das seien alle bisherigen Nominierungsveranstaltungen gewesen, man könne leider keine Ausnahme machen. Doch einen Tag vor diesem Telefonat ging eine Einladung an die „Schwäbische Zeitung“mit der Bitte um Berichterstattung – über eben dieses Treffen. Natterer zeigt sich am Abend der Veranstaltung freundlich überrascht, dass die Journalistin doch anwesend ist. Die Veranstaltung sei ohnehin öffentlich, wie alle anderen Nominierungsveranstaltungen, bekräftigt Natterers Pressesprecher auf Nachfrage seines Chefs.
Helle Aufregung nach Umfrage
In seiner Rede an die Mitglieder streift Natterer die Ereignisse der vergangenen Wochen. Sein Appell an die Landes-CDU: „Wir brauchen Geschlossenheit. Wir brauchen keine Personaldebatten. Wir brauchen Rückenwind aus Stuttgart und Berlin.“Eine Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Forsa vor zwei Wochen hat die Südwest-CDU in Aufregung versetzt. Nur 23 Prozent der Baden-Württemberger würden aktuell bei einer Landtagswahl ihr Kreuz bei der CDU machen – so tief war die einst so stolze Partei noch nie gesunken. Die Grünen lagen bei 33 Prozent. Dass lediglich fünf Prozent bei einer Direktwahl Parteichef Thomas Strobl zum Ministerpräsidenten wählen würden, hat zu einer Personaldebatte geführt. Zumal die Zustimmung für ihn unter den CDU-Anhängern mit 18 Prozent wenig besser war.
Öffentlich versuchte das Führungspersonal, die Ergebnisse zu relativieren. Forsa-Chef Manfred Güllner sei SPD-Mitglied und interessengeleitet. Forsa liege immer am weitesten daneben, hieß es. Das Institut Insa bescheinigt der CDU am Freitag wieder 27 Prozent. Mit 29 Prozent liegen die Grünen aber weiter vorne. Hinter vorgehaltener Hand ärgern sich CDU-Abgeordnete im Landtag über Beschwichtigungen. „Ich kenne niemanden, der die Umfrage nicht ernst nimmt“, sagt einer. Und ein anderer: „Wenn nicht noch ein Meteor einschlägt, oder die Wirtschaft in den Keller geht, wird das mit dieser Truppe bis zur Landtagswahl nichts.“
Nichts scheint zu helfen
Warum das so ist, und wie die CDU aus dem Tal kommt? Nicht wenige äußern sich ähnlich ratlos wie der Biberacher Landtagsabgeordnete Thomas Dörflinger. „Wir waren fünf Jahre nicht in der Regierung. Nun haben wir wieder Minister, die eine gute Arbeit machen. Bei den Umfragen wirkt sich das aber trotzdem nicht aus“, sagt er. „Wir laufen uns vor Ort die Hacken ab, erreichen viel für den Wahlkreis, aber auch das scheint nicht zu helfen. Dabei ist die Stimmung im Wahlkreis gut, man erlebt das vor Ort ganz anders.“Doch es gibt auch viele, die zu wissen meinen, was im Argen liegt.
Die Partei hat Respekt, aber wenig Liebe für ihren Vorsitzenden Thomas Strobl. Ob er der richtige Spitzenkandidat für die Landtagswahl 2021 ist? Der Meßstettener Bürgermeister Frank Schroft hat viel Aufmerksamkeit dafür bekommen, dass er darauf öffentlich mit Nein antwortete. Auch wenn ihm viele beipflichten würden, wissen sie doch: Es ist deutlich zu früh für Streit ums Personal. Strobl schwieg zunächst, sagte dem SWR nach einigen Tagen, über persönliche Kritik mache er sich wenige Gedanken. „Wenn ich mir Gedanken mache, dann darüber, dass solche Personaldiskussionen, öffentliche Streitereien ums Pöstchen, der CDU schaden und denen, die jetzt die Europawahlen, die Kommunalwahlen vor Augen haben.“Am Donnerstagabend in Reute sagt der Wangener CDU-Abgeordnete Raimund Haser in einem Grußwort: „Es wird eine Zeit geben, in der man sicher über Personal reden muss. Aber nicht zweieinhalb Jahre vor der Landtagswahl.“
Derweil scheinen sich zwei in Stellung zu bringen, die ihre Ämter ausgerechnet Strobl zu verdanken haben: Kultusministerin Susanne Eisenmann und Generalsekretär Manuel Hagel. Eisenmann hat mächtige Unterstützer in der Partei. Hagel muss es schmeicheln, wenn, wie jüngst, ein Parteimitglied aus seinem Wahlkreis sagt: „In dem Mann steckt ein unglaubliches Potenzial. Diese Person muss doch in die Diskussion kommen, wenn es um die Landtagswahl geht.“Hagel entgegnet dazu nichts. Konkret darauf angesprochen, weist er ein Streben nach höheren Ämtern zurück – und verweist auf Loyalität zu Strobl. Ein hochrangiges Parteimitglied spricht bei solchen Gerüchten von Wichtigtuerei und der Profilierung einzelner. „Die Debatte nutzt nicht Friedrich Merz, nicht Thomas Strobl, nicht Susanne Eisenmann, nicht Manuel Hagel – das schadet nur der CDU.“
Friedrich Merz hatte in BadenWürttemberg glühende Unterstützer im Rennen um den Bundesvorsitz – allen voran Christian Natterer. Bis heute knabbern etliche daran, dass nicht Merz, sondern Annegret Kramp-Karrenbauer obsiegte. „Die Mitglieder der CDU Baden-Württemberg wollten Merz, und die sind jetzt bitter enttäuscht“, sagt ein Bundestagsabgeordneter. Die schlechten Umfrageergebnisse führt er darauf zurück, dass sich die Parteispitze im Land nie öffentlich zu Merz bekannt hat. Ganz im Gegenteil, sagt ein Mitglied des Landesvorstands. Die Basis sei nicht enttäuscht, weil Merz verloren hat, sondern weil das Nachtreten nicht aufhöre. Fatal seien Aktionen wie die, in der Presse zu lancieren, dass der Sauerländer Friedrich Merz Spitzenkandidat für die Landtagswahl im Südwesten werden könne.
Die Suche nach Profil
Für viele steht fest: Die CDU hat ihr Profil verloren. Aus der Spitze der Partei ist zu hören: „Wir waren 70 Jahre die staatstragende Regierungspartei im Land. Den Stolz aufs Land haben die Bürger lange mit unserer Partei verbunden.“Der, der das sagt, fordert auch, wieder Grundwerte zu betonen und Rückgrat zu zeigen – auch bei der Migration. „Es gibt Menschen, die ganz bürgerlich sind und die zuletzt AfD gewählt haben. Die müssen wir zurückgewinnen.“
Die Europaabgeordnete Inge Gräßle dagegen warnt vor einem Schwenk. „Wenn wir glauben, dass wir am rechten Rand etwas gewinnen, verlieren wir viel mehr“, sagt sie. „Richtungsänderungen sind ein Fehler. Absetzbewegungen vom Bund auch. Wie oft soll es uns der Wähler noch sagen? Mit einem stärker konservativen Kurs machen wir die Grünen fett.“Einig ist sie sich mit der Mehrheit in der Partei, dass die CDU sich inhaltlich profilieren muss. Als Beispiel nennt sie das Thema Dieselfahrverbote in Stuttgart. „Es gibt viele Punkte, in denen wir die Grünen stellen können und müssen.“
Der unschlagbare Kretschmann
Alles vergebene Liebesmüh? Solange Winfried Kretschmann regiert, kann die CDU nur verlieren, lautet ein oft gehörtes Argument. Sollte der beliebte Ministerpräsident 2021 noch mal antreten, habe die CDU eh keine Chance – egal, wen sie ins Rennen schickt. Die Verzwergung des Juniorpartners in einer Koalition ist ein Problem, das nicht neu ist, das die CDU aber gerade kennenlernt. Die SPD grummelt bis heute, in der vorigen Legislaturperiode durch Kretschmann marginalisiert worden zu sein. Die FDP kennt das aus früheren Koalitionen mit der CDU.
„Wir dürfen uns von den Grünen nicht vereinnahmen lassen. Wir müssen jetzt auf der Strecke klarmachen, wo bei den Grünen die Ideologie durchkommt“, sagt das bereits zitierte Mitglied der Parteispitze. Manche scheinen das zu beherzigen und sprechen offen davon, dass die Grünen Fahrverbote wollten, die CDU auf innovative Lösungen setze, um diese zu vermeiden. Alle bisherigen Beschlüsse, inklusive Fahrverbote in Stuttgart für Diesel der Euronorm 4 und niedriger, hatte die CDU mitgetragen.
Die Basis hat andere Sorgen
Die CDU-Mitglieder im Stern in Reute sind ein gutes Abbild der Landespartei. Von den 62 000 Mitgliedern ist nur jedes vierte eine Frau, der Altersschnitt liegt bei 60 Jahren. Was sie beschäftigt? Die Umgehungsstraße muss endlich kommen. Die Frage, wie konventionelle und Öko-Landwirtschaft vereinbar ist. Die Modernisierung der Berufsschulen im Kreis, die einen dreistelligen Millionenbetrag kosten wird. Die Basis bestätigt, was ein hochrangiges CDUMitglied in Stuttgart gesagt hatte: „Auch wenn auf den Gängen des Landtags über kaum etwas mehr geredet wird als darüber, wer ins Rennen bei der nächsten Landtagswahl geht – bei den Menschen draußen interessiert das heute niemanden.“
Und der Zustand der CDU im Land? „Den kann ich nicht ändern, das liegt nicht an mir“, sagt Josef Forderer, der schon lange für die Partei im Kreistag ist. Auch der ehemalige Landtagsabgeordnete Helmut Kiefel winkt ab. Entscheidungen für eine Partei seien heute viel punktueller, Bindungen in allen gesellschaftlichen Bereichen nähmen stetig ab. „Es gibt keine Balance mehr“, sagt er. Das treffe nicht nur die CDU. Das treffe alle Parteien. Angst um die Partei hat nur das Führungspersonal – die Basis hat andere Sorgen.