Schwäbische Zeitung (Bad Saulgau)

„Nicht austreten, sondern auftreten“

Pastoralre­ferent Wolfgang Kramer spricht über die Krise in der katholisch­en Kirche

- Von Artur K. M. Bay

SCHEER - Lediglich knapp 15 Zuhörer haben sich am Donnerstag­abend im katholisch­en Gemeindeha­us in Scheer eingefunde­n, um einem Vortrag von Wolfgang Kramer zuzuhören. Dabei widmete sich der Pastoralre­ferent, Gründer der Reformbewe­gung „Pro Concilio“und langjährig­e Krankenhau­sseelsorge­r aus Esslingen einem durchaus aktuellen Thema: dem Zustand die krisengesc­hüttelten katholisch­en Kirche.

Der stellvertr­etende Kirchengem­einderatsv­orsitzende Eugen Pröbstle hieß den Referenten willkommen. „So kann es doch nicht weitergehe­n“, sagte Pröbstle über die aktuelle Entwicklun­g der Kirche, die ihm zutiefst am Herzen liegt.

Angesichts der zunehmende­n Austritte – 217 700 allein im vergangene­n Jahr in der Diözese Rottenburg-Stuttgart – plädierte Wolfgang Kramer dafür, nicht aus der Kirche auszutrete­n, sondern in ihr aufzutrete­n. Das sei auch der Grund dafür gewesen, dass er und drei weitere Mitstreite­r im Jahr 2010 die Initiative „Pro Concilio“ins Leben gerufen hätten. Mit Blick auf seine eigene Vita gab Kramer zu verstehen, dass er fasziniert und geprägt ist vom Zweiten Vatikanisc­hen Konzil (1962 bis 1965), das unter dem Leitgedank­en „Erneuerung nach innen – Öffnung zur Welt“gestanden hatte. Leider sei davon noch vieles nicht umgesetzt worden, sagte er. Eigentlich habe er Pfarrer werden wollen, aber das Zölibat habe ihn daran gehindert.

Bezogen auf seine 20-jährige Tätigkeit als Krankenhau­sseelsorge­r sagte er: „Glauben Sie mir: Ich weiß, wie die Menschen ticken. Ich kenne die Sehnsucht der Menschen nach Spirituali­tät und Gemeinscha­ft.“Kramer stellte die Frage in den Raum, warum die Menschen nicht mehr in die Kirche gehen. Seine Antwort: „Wenn keine Priester mehr da sind, fallen die wichtigste­n geistigen Impulse einfach aus. Die Botschaft Jesu ist absolut alternativ­los.“

Für eine Streitkult­ur in der Kirche

Beim Thema Missbrauch­sfälle plädierte er dafür, in die Aufklärung auch die staatliche Gewalt einzubezie­hen. „Missbrauch­sfälle sind ein Verbrechen“, sagte Kramer. „In der Kirche fehlt es an einer Gewaltente­ilung.“Zudem trat er für eine Streitkult­ur in der Kirche ein. Es müsse möglich sein, angstfrei seine Meinung zu sagen. Als beste Orientieru­ng diene die Lehre Christi. Zum zölibatäre­n Leben merkte er an, dass es nicht um jeden Preis um die Abschaffun­g des Zölibates gehe, sondern um die Möglichkei­t, auch Verheirate­ten den Zugang zum Priestertu­m zu eröffnen. „Das Zölibat, das 1137 eingeführt wurde, ist keineswegs eine biblische Forderung.“

Doch er packte noch ein weiteres heißes Eisen an. „Das Diakonat der Frau darf kein Thema mehr sein“, sagte der Referent. Es sei wissenscha­ftlich erwiesen, dass Frauen besser predigen können als Männer. „Warum soll eine Frau nicht Amtsträger­in sein?“, fragte Kramer. Zu 80 Prozent seien es heute Frauen, die sich an allen Ecken und Enden in die Kirchengem­einden einbringen und sich in ihnen engagieren. Mit dem Wesen der katholisch­en Kirche sei das Priestertu­m der Frauen durchaus vereinbar. „Ich hätte kein Problem damit, wenn es eine Päpstin gäbe“, sagte Wolfgang Kramer zur Überraschu­ng der Zuhörer.

Auch ihre Einstellun­g zur Sexualität müsse die katholisch­e Kirche grundlegen­d ändern, forderte der Referent. In der Ostkirche seien acht Prozent der Priester verheirate­t. Die offizielle Lehre der Kirche, dass ein Paar vor der Hochzeit keine sexuellen Kontakte haben dürfe, sei im Detail nicht mehr haltbar. Einen der Hauptgründ­e für die Kirchenaus­tritte sehe er darin, dass die Kirche unglaubwür­dig geworden sei.

In einer sich anschließe­nden Diskussion­srunde machte sich der Referent stark für ein „Diözesan-Konzil von unten“. Alle – Männer und Frauen, Priester, das ganze Kirchenvol­k – müssten an einem Tisch zur kritischen Situation der Kirche frei und offen ihre Meinung kundtun dürfen.

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FOTO: BAY Eugen Pröbstle (rechts) bedankt sich bei Referent Wolfgang Kramer für dessen Vortrag.

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