Schwäbische Zeitung (Bad Saulgau)
„Nicht austreten, sondern auftreten“
Pastoralreferent Wolfgang Kramer spricht über die Krise in der katholischen Kirche
SCHEER - Lediglich knapp 15 Zuhörer haben sich am Donnerstagabend im katholischen Gemeindehaus in Scheer eingefunden, um einem Vortrag von Wolfgang Kramer zuzuhören. Dabei widmete sich der Pastoralreferent, Gründer der Reformbewegung „Pro Concilio“und langjährige Krankenhausseelsorger aus Esslingen einem durchaus aktuellen Thema: dem Zustand die krisengeschüttelten katholischen Kirche.
Der stellvertretende Kirchengemeinderatsvorsitzende Eugen Pröbstle hieß den Referenten willkommen. „So kann es doch nicht weitergehen“, sagte Pröbstle über die aktuelle Entwicklung der Kirche, die ihm zutiefst am Herzen liegt.
Angesichts der zunehmenden Austritte – 217 700 allein im vergangenen Jahr in der Diözese Rottenburg-Stuttgart – plädierte Wolfgang Kramer dafür, nicht aus der Kirche auszutreten, sondern in ihr aufzutreten. Das sei auch der Grund dafür gewesen, dass er und drei weitere Mitstreiter im Jahr 2010 die Initiative „Pro Concilio“ins Leben gerufen hätten. Mit Blick auf seine eigene Vita gab Kramer zu verstehen, dass er fasziniert und geprägt ist vom Zweiten Vatikanischen Konzil (1962 bis 1965), das unter dem Leitgedanken „Erneuerung nach innen – Öffnung zur Welt“gestanden hatte. Leider sei davon noch vieles nicht umgesetzt worden, sagte er. Eigentlich habe er Pfarrer werden wollen, aber das Zölibat habe ihn daran gehindert.
Bezogen auf seine 20-jährige Tätigkeit als Krankenhausseelsorger sagte er: „Glauben Sie mir: Ich weiß, wie die Menschen ticken. Ich kenne die Sehnsucht der Menschen nach Spiritualität und Gemeinschaft.“Kramer stellte die Frage in den Raum, warum die Menschen nicht mehr in die Kirche gehen. Seine Antwort: „Wenn keine Priester mehr da sind, fallen die wichtigsten geistigen Impulse einfach aus. Die Botschaft Jesu ist absolut alternativlos.“
Für eine Streitkultur in der Kirche
Beim Thema Missbrauchsfälle plädierte er dafür, in die Aufklärung auch die staatliche Gewalt einzubeziehen. „Missbrauchsfälle sind ein Verbrechen“, sagte Kramer. „In der Kirche fehlt es an einer Gewaltenteilung.“Zudem trat er für eine Streitkultur in der Kirche ein. Es müsse möglich sein, angstfrei seine Meinung zu sagen. Als beste Orientierung diene die Lehre Christi. Zum zölibatären Leben merkte er an, dass es nicht um jeden Preis um die Abschaffung des Zölibates gehe, sondern um die Möglichkeit, auch Verheirateten den Zugang zum Priestertum zu eröffnen. „Das Zölibat, das 1137 eingeführt wurde, ist keineswegs eine biblische Forderung.“
Doch er packte noch ein weiteres heißes Eisen an. „Das Diakonat der Frau darf kein Thema mehr sein“, sagte der Referent. Es sei wissenschaftlich erwiesen, dass Frauen besser predigen können als Männer. „Warum soll eine Frau nicht Amtsträgerin sein?“, fragte Kramer. Zu 80 Prozent seien es heute Frauen, die sich an allen Ecken und Enden in die Kirchengemeinden einbringen und sich in ihnen engagieren. Mit dem Wesen der katholischen Kirche sei das Priestertum der Frauen durchaus vereinbar. „Ich hätte kein Problem damit, wenn es eine Päpstin gäbe“, sagte Wolfgang Kramer zur Überraschung der Zuhörer.
Auch ihre Einstellung zur Sexualität müsse die katholische Kirche grundlegend ändern, forderte der Referent. In der Ostkirche seien acht Prozent der Priester verheiratet. Die offizielle Lehre der Kirche, dass ein Paar vor der Hochzeit keine sexuellen Kontakte haben dürfe, sei im Detail nicht mehr haltbar. Einen der Hauptgründe für die Kirchenaustritte sehe er darin, dass die Kirche unglaubwürdig geworden sei.
In einer sich anschließenden Diskussionsrunde machte sich der Referent stark für ein „Diözesan-Konzil von unten“. Alle – Männer und Frauen, Priester, das ganze Kirchenvolk – müssten an einem Tisch zur kritischen Situation der Kirche frei und offen ihre Meinung kundtun dürfen.