Schwäbische Zeitung (Bad Saulgau)
Ein Grab aus der Lostrommel
Auf dem Alten Friedhof in Berchtesgaden werden die begehrten Plätze der Gerechtigkeit halber verlost, weil es zu wenige gibt
BERCHTESGADEN (lby) - Grabesstimmung war das nicht: Unter großem Andrang und begleitet vom Jubel der Gewinner hat der oberbayerische Ort kürzlich Gräber auf seinem Alten Friedhof verlost. Einige Hundert Einheimische drängten ins Kongresszentrum, um an der ungewöhnlichen Aktion teilzunehmen.
„Warum soll man sich mit dem Thema nicht auseinandersetzen? Das gehört zum Leben dazu", sagte die 53-jährige Sieglinde Skriwan, die sich mit ihrem Mann für eine der Ruhestätten beworben hatte. Ihr Los wurde als erstes gezogen – und so durften die beiden sich als Erste ihre künftige Grabstätte aussuchen. Schon vorher konnten sich die 280 registrierten Interessenten im Internet oder direkt auf dem Friedhof über die 140 freien Erdbestattungsund 60 Urnengräber informieren, in denen sie selbst oder ihre Angehörigen dereinst ruhen sollen. Kosten: Rund 500 bis 760 Euro für eine zehnjährige Liegezeit.
Skriwan und ihr Mann wählten eine Stelle unweit vom Grab des Onkels ihres Mannes, „mittendrin“im Friedhof, „unter einem Baum“und mit schöner Aussicht.
Auf vielen Friedhöfen herrscht nach Angaben des Bundesverbandes Deutscher Bestatter kein Mangel an Grabstätten, zumal der Trend zur Urne oder zur anonymen Bestattung in Waldfriedhöfen geht. Große Familiengräber bleiben mancherorts sogar leer. Anders auf dem 1685 eröffneten denkmalgeschützten Alten Friedhof in Berchtesgaden. Dort haben eingesessene Familien traditionell ihre Gräber. Jahrzehntelang waren keine Plätze mehr vergeben worden. Mit der Zeit seien aber Nutzungsrechte ausgelaufen, sagte Bürgermeister Franz Rasp. Das Los sollte eine möglichst gerechte Vergabe gewährleisten. „Es ist uns nicht bekannt, dass in Deutschland sowas je gemacht wurde.“
Die vergebenen Gräber wurden bei der Verlosung gleich auf einem Belegungsplan markiert, der via Beamer für alle sichtbar an eine Leinwand projiziert wurde. Mancher verpasste sein Traumgrab. „Den Platz wollte eigentlich ich“, klagte ein älterer Herr, als ein bestimmtes Grab weggestrichen wurde. Anna Glossner, Berchtesgadens Nachtwächterin, sagte: „Ich denke zwar noch nicht ans Sterben, aber die Hoffnung auf mein Wunschgrab stirbt zuletzt.“
Dabei gingen die Vorstellungen von der optimalen Stätte für die ewige Ruhe auseinander: „Der eine möchte es eher pflegeleicht, der andere möchte eine besonders schöne Lage unter dem Baum, der Dritte möchte nicht unter den Baum – weil da das Laub drauf fällt", sagte Rasp.
Die Gräberlotterie erregte überregional Aufmerksamkeit. Er habe noch von keinem vergleichbaren Fall gehört, sagte Oliver Wirthmann, Sprecher des Bundesverbandes Deutscher Bestatter. „Dass so ein großes Interesse besteht, zeigt auch, dass Trauer einen Ort braucht.“Es sei „ein sehr positives Zeichen, dass alte Friedhöfe reaktiviert werden“– und dass man die kulturelle Gewachsenheit von Friedhofsanlagen erkennt.“Friedhöfe in Städten seien wichtig. „Es ist nicht gut, wenn Friedhöfe an den Rand gedrängt werden, nach dem Motto: Das wollen wir nicht sehen.“
Manche Familien hatten sich gleich mit drei, vier oder acht Leuten beworben, um sicher zum Zuge zu kommen. „Der Ansturm der Bewerber überrascht uns nicht“, sagte Bürgermeister Rasp. Wohl aber der Presserummel. „Wir haben nicht damit gerechnet, dass wir komplett das Sommerloch belegen.“Selbst der arabische Nachrichtensender AlDschasira hatte ein Team nach Berchtesgaden geschickt.
Immerhin dürfte die Aktion vorerst einmalig bleiben: Am Ende blieben wegen der Mehrfachbewerbungen sogar 85 Gräber übrig, wie Anton Kurz, Geschäftsführer bei der Gemeinde, nach der dreieinhalbstündigen Aktion sagte. „Ich glaube, dass der Großteil die Grabstelle bekommen hat, die er sich gewünscht hat.“